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Meinungs­frei­heit – für Kurden unter Vorbehalt? - Das Verbot des kurdischen Senders Roj TV

Grundrechte-Report 2009, Seite 107

Am 13. Juni 2008 wurde der kurdische Sender Roj TV samt deutscher Produktionsfirma vom Bundesinnenministerium (BMI) verboten. Der Sitz des Senders ist in Brüssel, gesendet wird seit 2004 via Satellit mit dänischer Lizenz. Trotz des Verbots ist Roj TV daher über Internet und Satellit zwar überall weiter zu empfangen, die Berichterstattung, Werbung und Produktion in Deutschland aber wurde unterbunden.

Roj TV versteht sich als politisches und kulturelles Forum für Kurdinnen und Kurden. Berichtet wird vor allem aus allen Teilen Kurdistans, wobei den in der Türkei bis heute andauernden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischem Militär und der kurdischen Arbeiterpartei PKK ein breiter Raum eingeräumt wird. Nach offizieller türkischer Lesart ist Roj TV der Haussender der PKK, dessen Verbot von allen europäischen Regierungen gefordert wird. Belgien und Dänemark sind dem bis heute zur großen Verärgerung der türkischen Regierung nicht gefolgt – anders als Deutschland. Der Sender hat ein Rechtsmittel eingelegt, über das noch nicht entschieden ist.

Verbot auf Grundlage des PKK- Verbots

Laut BMI verstößt der Sender Roj TV gegen das seit 1993 bestehende Betätigungsverbot für die PKK. Gründung und Gestaltung von Roj TV würden auf PKK-Beschlüsse zurückgehen. Der Sender diene als Sprachrohr der Partei und zur Aufrechterhaltung ihres organisatorischen Zusammenhalts. Roj TV schüre einen Personenkult um den in der Türkei inhaftierten Parteiführer Abdullah Öcalan und sei mediale Plattform für PKK-Funktionäre. Über Interna des Senders sieht sich das Ministerium aus der Überwachung von Telefonaten informiert.

Tätigkeit und Zweck des Senders liefen, so das BMI, dem „Gedanken der Völkerverständigung zuwider“ und gefährdeten „das friedliche Zusammenleben von Ausländern und Deutschen sowie Ausländern untereinander und damit die öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Dass Roj TV ein breites Programm anbietet, sieht zwar auch das BMI, deutet es aber zu seinem Nachteil: Unterhaltungs-, Kultur-, und Kindersendungen führten zu einer breiten Zuschauerschaft und dauerhafter „Kundenbindung“. Der Zuschauer fühle sich umfassend informiert und suche daher nicht nach einem anderen Fernsehsender.

Einschrän­kung der Presse­frei­heit?

Die Begründung des Verbots ist nicht neu. Bei der Schließung der kurdischen Zeitung Özgür Politika im Jahre 2005 hatte das BMI ähnliche Vorwürfe erhoben. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot damals für rechtswidrig erklärt und aufgehoben. Nicht zuletzt als Reaktion auf diese Entscheidung setzte das Bundesinnenministerium eine Verschärfung des Vereinsgesetzes durch, um Verbote von Unternehmen aus politischen Gründen zu vereinfachen. Das Verbot von Roj TV ist die erste Anwendung dieses neuen Gesetzes auf die kurdischen Medien.

Die Verbotsverfügung des BMI ist an der grundgesetzlich garantierten Pressefreiheit in Deutschland (Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz) zu messen. Funktion der Pressefreiheit ist es: „(…) umfassende Information zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten. (…)“ (Bun¬des¬ver¬fas¬sungs-gericht, Entscheidungssammlung, 52. Band S. 283 ff, 296). Ohne Pressefreiheit keine Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit aber ist grundlegend für eine Demokratie. Sie ist das Recht auf freie Rede, Äußerung und öffentliche Verbreitung einer Meinung in Wort, Schrift und Bild. Schranken für die Meinungsfreiheit bestehen da, wo gegen Strafgesetze verstoßen wird oder der Gedanke der Völkerverständigung „schwerwiegend, ernst und nachhaltig beeinträchtigt werden kann“ (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Juni 1981, Az. 1 C 61.76). Wird auf dieser Grundlage ein Verbot ausgesprochen, muss das Ministerium auch Tatsachen darlegen, aus denen sich die gesetzlichen Verbotgründe ergeben sollen.

Die Beweisführung des BMI stützt sich auf die in manchen Sendungen gezeigten Bilder: Aufnahmen von Militäreinsätzen und kämpfenden Guerillas, Opfern und Zerstörungen des Krieges – Bilder der Gewalt, wie sie auch in jeder Tagesschau zu sehen sind. Nur dass diese Bilder aus Kurdistan als PKK-Propaganda interpretiert werden. Eine Begründung des Verbots an Hand von eindeutigen Zitaten und klar propagandistischen Bildsequenzen erfolgt ebenso wenig, wie ein konkreter Beweis für die organisatorische Unterstützung der PKK gebracht wird. Stattdessen müssen etwa eine Live-Schaltung zu einer Pressekonferenz der Anwälte Öcalans und Berichte von Feiern zum kurdischen Neujahrsfest Newroz als Beweise für eine Tätigkeit des Senders für die PKK herhalten. Für das BMI ist auch unerheblich, „dass die PKK in der Vergangenheit in Deutschland keine extreme Gewaltbereitschaft gezeigt“ habe, denn „(…) im Rahmen möglicherweise stattfindender (türkischer) Offensiven … seien auch die Sicherheitsinteressen der BRD betroffen.“ Warum aber macht das BMI dann keinerlei konkrete Aussagen dazu, wie sich eine „Verschärfung und Veränderung“ der Lage seit der letzten türkischen Offensive im Frühjahr 2007 in den Sendungen widerspiegelt?

Neue Schranken der Meinungs­frei­heit

Stattdessen erfindet das Ministerium neue Schranken der Meinungsfreiheit. Ein Verbot sei auszusprechen, wo das Maß der Berichterstattung weiter über das hinausweiche, welches üblich, vertretbar und verantwortungsvoll sei, wo mithin nicht nur eine zulässige „politische Färbung“ vorliege. Wann hört eine Sendung auf, in zulässiger Weise „politisch gefärbt“ zu sein, und ab welchem Sendeumfang wird einer verbotenen Organisation ein „beachtlicher und bedeutender Raum“ eingeräumt? Gerade wo eine ausführliche Argumentation zu erwarten gewesen wäre, schweigt die Verbotsverfügung. Ist ein Medienverbot aber wegen inhaltlich unüblicher und nicht mehr „verantwortungsvoller“ Berichterstattung zu rechtfertigen?

Begründung und Zeitpunkt des Verbots nähren den Verdacht, dass nicht etwa reale Verstöße gegen das Vereinsrecht, sondern das Drängen der türkischen Regierung, die einen unliebsamen Sender zum Schweigen bringen will, für das BMI ausschlaggebend waren. Der einmal mehr rein repressive Umgang auch in Deutschland mit einem beachtlichen Teil der kurdischen Opposition wirft die Frage auf, welche Freiräume in einer demokratischen Gesellschaft eigentlich für diese Minderheit bestehen sollen. Es entsteht der Eindruck, dass letztlich das BMI seine eigene Meinung zum Maßstab dessen macht, was als Meinungsäußerung erlaubt ist.

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