Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2011

Staats­schutz gegen Buchhand­lungen

Grundrechte-Report 2011, Seiten 94 – 98

Meinungs- und Medienfreiheit sind Themen von dauerhafter Brisanz. Während das Bundesverfassungsgericht nur wenige Jahre nach Einlegung einer Beschwerde gegen die Durchsuchung von Räumen des Freien Sender Kombinats in Hamburg dankenswert deutlich die Bedeutung der Medienfreiheit unterstrichen hat (vgl. Alain Mundt in diesem Band, S. 98 ff.), werden vor dem Amtsgericht Tiergarten schon die Weichen für weitere Staatsaktionen gegen das freie Wort und dessen Umfeld gestellt, die dazu führen könnten, dass das Bundesverfassungsgericht etwa 2018 erneut bahnbrechende Beschlüsse zur Buchhändlerfreiheit veröffentlichen könnte. Denn darum geht es jetzt: Was dürfen Buchhändler unter welchen Bedingungen verkaufen? Was müssen sie selbst auf strafrechtliche Relevanz prüfen
und dann – auch ohne vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen oder Verbot – dennoch nicht zum Verkauf oder
zur Verbreitung bereithalten. Derzeit laufen vier Verfahren, der erste Prozess dieser Art soll am 18. Februar 2011 beginnen. Angeklagt ist der Geschäftsführer des Buchladens Oh21.

Das Kaiserreich kämpfte gegen den politischen Katho­li­zismus

Die Vorwürfe, die gegen die Buchhändlerinnen und Buchhändler erhoben werden, sind weitgehend identisch: sie sollen gegen § 130a Strafgesetzbuch (StGB; Anleitung zu Straftaten) in Verbindung mit § 40 Waffengesetz (WaffG; Verbotene Waffen) verstoßen haben, indem sie Ausgaben der Zeitschrift interim »für die Kunden zur Mitnahme griffbereit im öffentlichen Bereich der Geschäftsräume« ausgelegt und »zumindest billigend in Kauf« genommen haben sollen, dass »sich auf Seite 6 des Druckwerks folgende Textstellen finden: ›Da es im letzten Jahr zum 1. Mai auch wieder verstärkt zu Molli-Würfen kam, wollen wir mit dieser kurzen Anleitung noch mal zeigen, wie ihr die Teile … sicher baut …‹« Auch, dass es in der inkriminierten Zeitschrift auf dem Deckblatt hieß »1. MAI NAZIFREI AUF NACH BERLIN« wurde von der Anklagebehörde missbilligend registriert, ebenso wie der Abdruck eines – seit einiger Zeit nach offizieller Sprachregelung als »Selbstbezichtigungsschreiben« zu bezeichnendes – Bekennerschreibens, das einen Anschlag auf einen Geldautomaten zum Gegenstand hat, die Bauanleitung für einen elektronischen Zeitzünder, aber auch der Aufruf am 1. Mai »Kapitalismus & Nazis die Zähne zu
zeigen« wird erwähnt, um die angebliche Strafbarkeit des Tuns der Buchhändlerinnen und Buchhändler zu unterfüttern.

§ 130a StGB wird als sogenanntes Kommunikations- oder
Verbreitungsdelikt gesehen. Der renommierte Leipziger Kommentar
skizziert, dass der Ursprung der Vorschrift im Kaiserreich liegt: »Anlass des im Jahr 1871 in das Reichsstrafgesetzbuch eingefügten § 130a war der beginnende Kulturkampf der Reichsregierung gegen den politischen Katholizismus. Der ›Kanzelparagraph‹ richtete sich gegen katholische Geistliche und stellte unter Strafe, wer Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung machte.« 1981 wurde der § 130a StGB wegen der von ihm ausgehenden Gefahr für die Meinungsfreiheit abgeschafft. 1986 hielten ihn die Gesetzgeber aber wieder für erforderlich – und zwar in einer gegenüber den früheren Fassungen erheblich erweiterten Form. Verglichen mit anderen Delikten dieser Art (Anstiftung zu einer konkreten Straftat nach §§ 26, 30 StGB oder Aufforderung zu Straftaten nach § 111 StGB) zielt die Strafbarkeit der
bloßen Anleitung auf ein weit ins Vorfeld konkreter Straftaten verlagertes Handeln. Es reicht hier, wie der Leipziger Kommentar
dankenswert deutlich schreibt, »eine Beeinflussung in subtiler, mittelbarer Weise durch unterschwellige Motivierung zur Tatbegehung nach dem anleitenden Strickmuster. Maßgeblich ist, ob mit der tendenziell auf Begehung gerichteten Handlungsbeschreibung ein Nachahmungsanreiz geschaffen wird.« Wegen dieser weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit und der zudem wenig bestimmten Formulierung der Vorschrift, entzündet sich an ihr auch viel Kritik. In der strafrechtlichen Literatur wird der § 130a StGB auch als »Paradebeispiel eines politisch motivierten Strafrechts« bezeichnet.

Insofern ist es zwar erklärlich – Buchhändler sind anders als die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Zeitschrift interim leicht heimzusuchen -, aber gerade deswegen höchst bedenklich, wenn nun mit dieser extrem weit und unbestimmt gefassten Vorschrift ausgerechnet gegen Buchhändler vorgegangen wird, deren Läden sich von Tankstellen dann doch darin unterscheiden, dass sie nicht nur Schokoriegel, Bild und Biodiesel verkaufen, sondern bekanntlich ein höchst vielfältiges Sortiment auf Lager haben. Dass sie mit Inhalt, Stil und Ausgestaltung der einzelnen Werke, die sie zudem schon aus zeitlichen Gründen im Einzelnen oft überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen können, auch nur ansatzweise übereinstimmen, ist selbst bei
spezialisierten Buchhandlungen, wie es linke Buchhandlungen in gewisser Hinsicht sind, nicht anzunehmen.

Buchhändler als Laien­-Ju­ris­ten?

Das haben in den 1980er Jahren, die nicht gerade als Jahrzehnt besonders liberaler Strafrechtspraxis in die Geschichte eingegangen sind, auch die Gerichte so gesehen. Prozesse, die damals von Staatsanwaltschaften (auch in Berlin) gegen Buchhändler angestrengt worden sind, die ebenfalls die kriminalisierte Zeitschrift radikal vertrieben haben, führten daher nicht zur Verurteilung. Das Kammergericht Berlin hat 1987 bemerkenswert klar ausgeführt: »Im Normalfall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Inhaber eines Buch- und Zeitschriftenhandels alle in seinem Geschäft feilgebotenen Druckerzeugnisse vor dem Verkauf liest und auf einen etwaigen strafbaren Inhalt überprüft oder überprüfen lässt; dies dürfte schon aus zeitlichen Gründen in der Regel gar nicht möglich sein (hier: Vertrieb der linksextremistischen Druckschrift radikal Nr. 132).« (KG Berlin, Az.: (2) 2 OJs 9/86 (3/87).

Das will die Staatsanwaltschaft Berlin jetzt anders bewertet wissen. Sie stützt sich dabei nicht auf diesen Beschluss des obersten Berliner Strafgerichts, sondern auf einen anderen, der allerdings nichtlinke Buchhändler ins Visier nimmt, sondern einen rechten und antisemitischen Drucker, der auch nicht wegen Anleitung zu Straftaten, sondern im Ergebnis wegen Beihilfe zur Beschimpfung eines religiösen Bekenntnisses verurteilt worden war. Die Staatsanwaltschaft hat aus diesem Verfahren die Erkenntnis destilliert: wer bei einer vorangegangenen Durchsuchung und Beschlagnahme auf die Tendenz des Inhalts einer Zeitschrift hingewiesen wurde, weiß auch, dass diese zu Straftaten anleitet. Ein origineller, in seiner Konsequenz aber nicht akzeptabler Gedanke: Jeder Durchsuchungsbeschluss erwiese sich so für Buchhändler auch noch als staatsanwaltschaftliche Lese- und Prüfungsanordnung. Buchhändler sind aber keine Laien-Juristen zur Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 130a StGB und ihre Buchhandlungen keine ausgelagerten Prüfstuben des Staatsschutzes. Dass die Öffentlichkeit auch wünscht, dass das so bleibt, sollte sie begleitend zu den anstehenden Prozessen nachdrücklich deutlich machen, damit wir nicht darauf warten müssen, dass vielleicht die Verfassungsrichter in vielen Jahren sagen, was eigentlich heute hätte selbstverständlich sein müssen.

nach oben