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«We made a good show». Wie die Infor­ma­ti­ons- und Meinungs­frei­heit dem Krieg zum Opfer fällt

Eckart Spoo

Grundrechte-Report 2002, S. 99-105

Nach dem Nato-Krieg gegen Jugoslawien dauerte es mehr als anderthalb Jahre, bis die ARD in ihrem ersten Fernsehprogramm mit dem Film «Es begann mit einer Lüge» einem Millionenpublikum zeigte, dass es über Entstehung und Verlauf jenes Krieges nicht nur mit einer, sondern mit etlichen Lügen irregeführt worden war. Der Film bestätigte mit vielen Einzelheiten, was der Grundrechte-Report zuvor festgestellt hatte («Irreführung der Öffentlichkeit», Grundrechte-Report 2000, Seite 83).

Dass falsche, oft sogar frei erfundene Behauptungen zur Kriegspropaganda gehören, jedenfalls zur Propaganda der Angreiferseite, ist nicht neu, mit demokratischen Prinzipien ist es aber unvereinbar. Freie Meinungsbildung – nie so notwendig wie bei Entscheidungen über Krieg und Frieden, sodass eigentlich gerade dann die Regierung in besonderer Informations- pflicht gegenüber der Bevölkerung steht – wird unmöglich, wenn die Öffentlichkeit desinformiert wird, bei ihren Reaktionen also zwangsläufig von falschen Voraussetzungen ausgeht. Namentlich Bundesminister Rudolf Scharping (dessen Aufgabe eigentlich die Verteidigung, nicht der laut Artikel 26 GG ausgeschlossene Angriff ist), hat damals mit unbewiesenen, unbeweisbaren Gräuelgeschichten maßgeblich dazu beigetragen, die auf Völker- und Verfassungsrecht, Vernunft und Moral gegründeten Bedenken gegen die Bombardierung Jugoslawiens wegzuschwemmen. Er wurde dafür bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. Das Parlament fand sich damit ab – soweit die Abgeordneten überhaupt daran Anstoß nahmen, dass die Regierung nicht zutreffend informiert hatte.

Der Pressesprecher der Nato in jenem Krieg, der gern spöttelnde Geschichtsprofessor Jamie Shea, rühmte sich inzwischen sogar: «What do you want? We created stories and we made a good show.» Shea hatte in den Nato-Staaten die öffentliche Wahrnehmung des Krieges sehr wirksam mit dem Wort «collateral damages» geprägt. Eine kluge Jury kürte «Kollateralschäden » später zum «Unwort des Jahres», doch bis heute hat sich in Deutschland die Vorstellung gehalten, die 78-tägige Bombardierung Jugoslawiens habe nur militärischen Zielen gegolten, zivile Schäden seien allenfalls unbeabsichtigt und unvermeidbar nebenbei entstanden. Dass systematisch die Industrie des Landes zerstört, vielen Hunderttausenden Jugoslawen der Arbeitsplatz, Millionen Menschen die Existenzgrundlage genommen, das ganze Land um Jahrzehnte seiner wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeworfen wurde, während das Militär größtenteils funktionsfähig blieb, ist in Deutschland noch immer weitgehend unbekannt – ebenso wie die Tatsache, dass das verarmte Jugoslawien nun seit Jahren zusätzlich für viele Hunderttausende Flüchtlinge und Vertriebene sorgen muss. Die Medien, die fast durchweg bereitwillig die Darstellungen der Nato und der Bundesregierung übernommen hatten, unterließen es zumeist, sich zu korrigieren.

Nichts deutet darauf hin, dass die üblichen Methoden und Mechanismen der Kriegspropaganda im inzwischen entbrannten «Krieg gegen den Terror» außer Kraft gesetzt wären. Im Gegenteil: Massiv wie nie zuvor nahm die Führungsmacht dieses Krieges – der Deutschland sofort «uneingeschränkte Solidarität » bekundete – für sich in Anspruch, gegen «das Böse» zu kämpfen. «Wenn ihr nicht für uns seid, seid ihr für die Terroristen », sagte Präsident Bush. Die US-Regierung behauptete, das von der Taliban-Bewegung regierte Afghanistan habe einem Mann Aufenthalt gewährt, der schuld an den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington sei. Beweise dafür wurden nicht vorgelegt, allenfalls Indizien. Aber wo es an Überzeugungskraft fehlte, wurde umso stärker emotionalisiert – ganz nach dem Rezept, das der stellvertretende Nato-Pressesprecher zur Zeit des Kriegs gegen Jugoslawien, der deutsche Generalmajor Walter Jertz, inzwischen in seinem Buch «Krieg der Worte, Macht der Bilder» gab: «Personalisierung, Emotionalisierung und Dramatisierung» seien die «Stilmittel», die der Pressesprecher beherrschen müsse. Jertz schrieb in seinem Buch auch dies: «Der Zwang zum spektakulären Bild ist bei den Medien inzwischen weit verbreitet. Die Nahaufnahme bringt Einschaltquoten. Die Bilder suggerieren die Wahrheit, aber auch die Aussage, dabei gewesen zu sein . . . Wer in einem Konflikt in einer zunehmend leidensunfähigen und hypersensiblen Gesellschaft, die vor allem in der westlichen Welt anzutreffen ist, auf dieser Klaviatur zu spielen vermag und Bilder gezielt für seine Zwecke einsetzt, nutzt diese damit letztlich auch als Waffe.» Während sich Europol-Chef Jürgen Storbeck und Generalbundesanwalt Kay Nehm von Meldungen distanzierten, sie hät ten Spuren oder Indizien, die von den Anschlägen in New York und Washington zu Osama bin Laden führten, war gleichwohl täglich zu lesen und zu hören, dass die «Hinweise» auf bin Ladens Schuld «sich verdichten», wie Franziska Augstein am 20. September 2001 in der Süddeutschen Zeitung feststellte. «Welcher Art diese Hinweise sein sollen, wird nicht gesagt», fügte sie hinzu. «Was immer dichter wird, nähert sich der Dichtung.» Der Westen benötige aber auch derzeit gar keine Beweise gegen bin Laden. Er habe vielmehr «ein schuldiges Gesicht» gebraucht, das seine Wirkung getan habe.

Die mediale Inszenierung des Konflikts zwischen gut und böse begann schon am 11. September: Die Bilder der hohen Türme, die in sich zusammensinken, die Bilder der verzweifelt in den Tod springenden Menschen, diese immer wiederholten entsetzlichen Bilder wurden jeweils konfrontiert mit den Bildern jubelnder Palästinenser. Das waren zwei Welten: Trauer und Häme, zivilisiert und barbarisch, gut und böse, westlich und orientalisch. Das ARD-Magazin Panorama deckte später auf, was es mit den vor Freude tanzenden Palästinensern auf sich hatte: Die Kinder und die dicke Frau hatten sich nicht über das grausige Geschehen in New York gefreut. Ihnen waren Süßigkeiten und Kuchen für fröhliches Treiben vor der Kamera versprochen worden.

Vor der Qualität der in Deutschland regierungsamtlich kritiklos übernommenen US-amerikanischen Berichterstattung warnte schon kurz nach Kriegsbeginn Norman Birnbaum in den Blättern für deutsche und internationale Politik 11/2001 mit Stichwörtern wie: Zensur auf Veranlassung des Weißen Hauses, Kriegstreiberei vieler Kolumnisten in den tonangebenden Zeitungen der großen Medienkonzerne, keinerlei Fragen nach den Absichten des Präsidenten, keinerlei Diskussion über Alternativen, Diffamierung der Friedensbewegung, Hetze gegen jede Kri tik am Präsidenten, als wäre sie subversiv oder gar landesverräterisch. Aber diese Warnungen fanden wenig Beachtung – ebenso wie die des katholischen Militärbischofs Mixa, eine «fast blinde Nibelungentreue» zu den Vereinigten Staaten dürfe nicht dazu führen, alle kritischen Fragen über den Kriegseinsatz zu unterdrücken (Frankfurter Allgemeine Zeitung 8. 11. 2001). Der von der US-Regierung finanzierte Sender Voice of America wollte eine Stellungnahme des Taliban-Führers Mullah Mohammed Omar zu der den Krieg ankündigenden Kongress-Rede des US-Präsidenten ausstrahlen. Nach Intervention des stellvertretenden US-Außenministers Richard Armitage wurde das Interview nicht gesendet. Ein Sprecher des State Department sagte, Mullah Omars Worte gehörten nicht in «unser Radio». Die Frankfurter Rundschau schloss daraus: «Den Gegner eines möglichen Krieges zu Wort kommen zu lassen, passt offensichtlich nicht zur Informationsstrategie der Bush-Administration.» So wurden dann auch tatsächlich gleich zu Beginn des Krieges die Radiosender der Taliban zerstört – ebenso wie im Krieg gegen Jugoslawien die dortigen Sender zerbombt worden waren und – auf deutsche Veranlassung – die Eutelsat-Zentrale in London die Übertragung von Fernsehbildern aus Jugoslawien unterbunden hatte. Es ging darum, die zum Feind Erklärten mundtot zu machen, jeden Austausch von Informationen und Argumenten – der stets die Alternative zum Krieg wäre – zu verhindern. «Wir werden über bestimmte Dinge lügen. Wenn dies ein Informationskrieg ist, dann werden die bösen Jungs mit Sicherheit lügen», zitierte die Washington Post einen US-Militärsprecher. Präsident Bush selber hatte in seiner Kongress-Rede an die Nation deutlich gemacht, welche Rolle den Medien zugedacht war: Es werde «dramatische Militärschläge geben, die man im Fernsehen sehen wird, und verdeckte Aktionen, die selbst im Erfolgsfall geheim bleiben werden». Er stieß damit bei den US-Medien, in denen der Patriotismus überschäumte, kaum auf Widerspruch. Skeptische Äußerungen gingen in Empörung unter, zum Beispiel die des Moderators Bill Maher in der Talkshow Politically Incorrect der Fernsehkette ABC, man könne «Selbstmordattentäter nicht unbedingt als Feiglinge bezeichnen, feige wäre es vielmehr, wenn die USA nun Zivilisten im fernen Afghanistan bombardieren würden. Zwei große Firmen zogen ihre Werbespots bei ABC zurück. Der Moderator entschuldigte sich prompt.

Unter ähnlichen Druck geriet ARD-Moderator Ulrich Wickert, der in der Zeitschrift Max geschrieben hatte, Bushs und bin Ladens Denkstrukturen seien «die gleichen». Politiker forderten, die ARD müsse den Moderator ablösen, so beispielsweise der Chef der Bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber; er sprach von «schwerem Schaden», den Wickert der ARD zugefügt habe. Auch Wickert entschuldigte sich sogleich – womit der übrigen Bevölkerung deutlich die engen Grenzen gezeigt wurden. Noch viel stärkeren Druck bekamen Lehrerinnen und Lehrer nach nonkonformen Äußerungen zu spüren (siehe den Beitrag von Martin Finkenberger in diesem Grundrechte-Report). Neben Politikern beteiligte sich vor allem der Springer- Konzern an der Verfolgung angeblich antiamerikanischer, proterroristischer Meinungen. Schon wenige Stunden nach den Anschlägen vom 11. September hatte dieser Medienkonzern die Unternehmensgrundsätze und damit implizit die Arbeitsverträge geändert: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nun auf «Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten» verpflichtet. Die «Bild »-Zeitung zeigte tagelang die amerikanische Fahne in ihrem Logo und machte damit klar: «Wir sind alle Amerikaner» – womit der Anspruch auf journalistische Objektivität in dem aktuellen Konflikt preisgege ben wurde. Nachdem dieses Blatt mit der Überschrift «Skandal bei Friedensdemo: Lehrer greift Amerikaner an» den Siegener Lehrer Bernhard Nolz attackiert hatte, suspendierte die Bezirksregierung ihn – ein deutliches Beispiel für den engen Wirkungszusammenhang von Medienmacht und staatlichem Handeln. Das Grundrecht auf Informations- und Meinungsfreiheit ist zum Opfer des «Kriegs gegen den Terror» geworden.

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