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Alte Zöpfe und juristische Sippenhaft - Zur Reform des Unter­halts­rechts

Grundrechte-Report 2008, Seite 94

Paradigmenwechsel im Unterhaltsrecht haben zurzeit Konjunktur.

Auf diesem Boden gedeihen Parolen von Seiten der Politik, nun werde etwas Bahnbrechendes für die Kinder getan, besonders gut, obwohl es doch eigentlich nur um Verschiebung der Mangelverwaltung und die Frage „Wer bekommt zuerst Transferleistungen?“ geht. Denn jeder, der als Praktiker des Unterhaltsrechts tätig ist, weiß, dass die „großartigen“ Neuerungen zugunsten der Kinder nur dann greifen, wenn ein Unterhaltsverpflichteter nicht alle Unterhaltsansprüche seiner Angehörigen bezahlen kann. Dann sind künftig Kinder gegenüber früheren Ehegatten besser gestellt – nichts anderes steckt dahinter. Da man Kinder nicht verpflichten kann, arbeiten zu gehen, um mit jedem erdenklichen schlecht bezahlten Job die staatlichen Kassen zu entlasten, dient die Verschiebung in der Mangelverwaltung vorrangig den öffentlichen Kassen.

Hier soll nun vordringlich ein anderer Aspekt beleuchtet werden: Die deutsche Gesetzgebung tut sich von jeher schwer mit nicht verheirateten Eltern und ihren Kindern. Es sei nur an die peinlich lange Zeit bis zu der gesetzlichen Regelung eines gemeinsamen Sorgerechts für nicht verheiratete Eltern, trotz eindeutigen Auftrags des Bundesverfassungsgerichts, erinnert. Zudem wurde erst 1998 mit § 1615 Absatz 1 BGB eine Regelung eingeführt, die der nicht mit dem Vater ihres Kindes verheirateten Mutter einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt für maximal 3 Jahre zusprach. Erst langsam gelangte es nämlich ins gesellschaftliche Bewusstsein, dass mit der Regelung von Betreuungsunterhalt auch und gerade die Interessen der Kinder berührt sind, nicht vorrangig die der Eltern.

Jahrelange Ungleich­be­hand­lung

In einem Punkt waren zumindest bislang Kinder mit verheirateten bzw. geschiedenen Eltern – unter Zugrundelegung dieser Perspektive – besser gestellt: Nach § 1570 BGB kann – von je her – ein geschiedener Elternteil von dem früheren Ehegatten Unterhalt verlangen, solange und soweit von ihm wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Übereinstimmend ging die familiengerichtliche Rechtsprechung davon aus, dass bis zum Alter eines Kindes von acht Jahren beziehungsweise zumindest bis zum Ende seiner Grundschulzeit für den betreuenden Elternteil keine Erwerbsobliegenheit besteht. Demgegenüber war der in § 1615 Absatz 1 BGB seit 1998 normierte Anspruch eines Elternteils, der ein nichteheliches Kind betreut und deshalb einer Erwerbstätigkeit nicht nachgeht, deutlich schwächer ausgestaltet. Die Verpflichtung des anderen Elternteils zur Gewährung von Unterhalt an den betreuenden Elternteil endet – wie bereits beschrieben- gemäß § 1615 Absatz 2 Satz 3 BGB im Regelfall spätestens drei Jahre nach der Geburt des Kindes. In der „real existierenden“ Ehe besteht für den betreuenden Elternteil nach § 1360 BGB – unbegrenzt – der Anspruch, Unterhalt zu bekommen.

Im Fall der Trennung verheirateter Eltern ergibt sich ein Betreuungsunterhaltsanspruch analog dem des § 1570 BGB bei der Betreuung von kleinen Kindern.

Schon zum 1. Juli 2007 sollte die Unterhaltsrechtsreform in Kraft treten. Damals verhinderten konservative Kreise die Verabschiedung. Ein wesentlicher Punkt war der Widerstand gegen die geplante Angleichung der gesetzlichen Regeldauer des Betreuungsunterhalts für Kinder von verheirateten und nicht verheirateten Eltern. Dies berücksichtige den besonderen Schutz der Ehe nicht. Mit resignativem Zorn ließen sich SPD und Bundesjustizministerium darauf ein, die bisherige Ungleichbehandlung fortzuschreiben.

Im Mai 2007 wurde eine bis dahin unbemerkt gebliebene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2007 veröffentlicht, die jedoch genau dies für verfassungswidrig erklärte: Die unterschiedliche Regelung der Unterhaltsansprüche wegen der Pflege oder Erziehung von Kindern in § 1570 BGB (also bei geschiedenen Eltern) und § 1615 Absatz 1 BGB (also bei nicht verheirateten Eltern) verstoße gegen Artikel 6 Absatz 5 des Grundgesetzes. Damit war die geplante Unterhaltsrechtsreform „gestorben“ und musste verschoben werden.

Im zweiten Anlauf löste der Gesetzgeber „elegant“ das Problem, indem die Regeldauer für den Betreuungsunterhalt bei geschiedenen, getrennt lebenden, verheirateten und nicht verheirateten Eltern auf 3 Jahre festgelegt wurde.

Die Tücken der Reform

Ist nun alles ganz einfach gelöst? Nein, denn Probleme in der Praxis, Fragen und Kritikpunkte bleiben.

• Zunächst einmal bleibt es empörend, dass eine kleine, aber einflussreiche Gruppe deutschnationaler und „katholizistischer“ Fundamentalisten den Schutz der Ehe immer nur dann als gewährt ansieht, wenn andere Lebensformen diskriminiert werden und dies auch 1:1 auf die Kinder überträgt, die für die Lebensentwürfe ihrer Eltern nicht in juristische Sippenhaft genommen werden dürfen. Dieses gesellschaftliche Phänomen ist ebenso kinder- wie grundgesetzfeindlich. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts drückt eine Selbstverständlichkeit aus und ist keineswegs eine große Errungenschaft.

• Die Gleichstellung von verheirateten und nicht verheirateten Eltern ist lediglich bei der Berücksichtigung von Trennung und Scheidung formal verwirklicht. Es gibt kein Pendant für den Fall, dass beide Eltern eine längere Betreuungszeit des Kindes als 3 Jahre vorsehen, der betreuende Elternteil ist dann auf den „good will“ des anderen Elternteils, der täglich widerrufen werden kann, angewiesen.

• Die Dreijahresfrist berücksichtigt nicht, dass der Anspruch auf Kindertagesbetreuung ab dem dritten Lebensjahr noch nicht überall realisiert bzw. durchführbar ist.

• Der Anspruch des nicht verheirateten betreuenden Elternteils ist keineswegs in jeder Hinsicht völlig gleichwertig. So muss der betreuende Elternteil, der mit dem anderen nicht verheiratet ist, anders als der (ehemals) verheiratete, seinen Vermögensstamm einsetzen, bevor Betreuungsunterhalt geltend gemacht werden kann.

• Die plötzliche Herabsenkung des Betreuungsunterhaltsanspruchs für geschiedene Elternteile auf 3 Jahre wirft viele Fragen des Bestandsschutzes im weitesten Sinne auf, die durch Übergangsvorschriften nicht geregelt sind und geregelt werden können. Möglicherweise ein Einfallstor für unterschiedliche Behandlung, die gerade nicht gewollt ist.

• Es bleibt ferner abzuwarten, wie die Ausnahmevorschriften von § 1570 BGB und § 1615 Absatz 1 BGB, die unter gewissen Voraussetzungen eine Verlängerung des Betreuungsunterhaltsanspruchs über 3 Jahre hinaus ermöglichen, gehandhabt werden und ob diese ein weiteres Einfallstor für Ungleichbehandlung von Kindern (ehemals) verheirateter und nicht verheirateter Eltern darstellen.

Die Verfassungswirklichkeit wird Artikel 6 Absatz 5 GG erst gerecht, wenn es dazu keiner Verfassungsgerichtsentscheidung über Selbstverständliches und keiner übereilten gesetzgeberischen Aktivität zur formalen Erfüllung dieser Entscheidung mehr bedarf. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Literatur

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28.Februar 2007, Az. 1 BvL 9/04

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