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Zwangs­tren­nung ohne Perspektive - Wie der Staat den Ehegat­ten­nachzug aus dem Ausland verhindert

Grundrechte-Report 2008, Seite 89

Kommt die Rede auf das Thema Immigration, zerfällt Deutschland – bei nur leicht vergröbernder Betrachtung – zuverlässig in zwei Lager. Auf der einen Seite eine bunte Koalition aus Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Flüchtlingsräten, Migrantenverbänden, Gewerkschaften und auch Wirtschaftsvertretern, die aus im Detail unterschiedlichen Gründen heraus für durchlässigere Grenzen plädieren und für eine offene Gesellschaft werben, die Einwanderen faire Chancen bietet. Auf der anderen Seite die Phalanx der Innenministerien von Bund und Ländern, flankiert von den konservativen Parlamentsfraktionen und im Hintergrund dirigiert von ihren intellektuellen Stichwortgebern. Hier wird Einwanderung seit jeher unter ordnungspolitischer Perspektive gesehen, wird vor „Überfremdung“ und „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ gewarnt.

Die Novellierung des Zuwanderungsrechts im Sommer 2007 bot diesem Lager eine willkommene Gelegenheit, die einwanderungspolitischen Schrauben anzuziehen. Der Anlass war die Umsetzung diverser europäischer Richtlinien, u. a. zur Familienzusammenführung (Richtlinie 2003/86/EG).

Bei der Umsetzung der Gemeinschaftsregelungen in nationales Recht verfolgte der Gesetzgeber offenbar vor allem ein Ziel: Der Ehegattennachzug sollte erschwert, eins der letzten Türchen im Zaun eines auf Abwehr ausgerichteten Migrationsrechts mit einem Knall zugeschlagen werden. Rhetorisch verbrämt wurde dies mit dem behaupteten Kampf gegen Zwangs- und Scheinehen.

Dialog verweigert

Protest interessierte die Protagonisten wenig. Besorgte Stellungnahmen einschlägiger Verbände und Organisationen, im Frühjahr 2006 in unziemlicher Eile eingeholt, fanden kaum Gehör. Dass die türkischen Vertreter dem Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin im Sommer 2007 fernblieben, weil sie mit sicherem Gespür erfassten, dass der Gesetzentwurf vor allem ihren Landsleuten galt, sorgte allenfalls für kurze mediale Aufmerksamkeit, gab aber keinen Anlass für einen echten Dialog. Man rechnete offensichtlich damit, die Gemüter würden sich schon wieder beruhigen.

So trat das Gesetz Ende August 2008 trotz aller Bedenken in Kraft, das den Ehegattennachzug mit neuen Restriktionen versah: Festlegung eines Mindestalters für beide Ehepartner von 18 Jahren (§ 30 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Aufenthaltsgesetz, AufenthG), Erfordernis wenigstens einfacher Deutschkenntnisse (Nummer 2), Herabstufung des Anspruchs auf Befreiung vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung für Ehepartner von Deutschen von einer „Ist-“ zu einer „Soll“-Regelung (§ 28 Absatz 1 Satz 3 AufenthG).

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem bis heute grundlegenden Beschluss vom 12. Mai 1987 (BVerfGE 76, 1) zwar festgestellt, dass Artikel 6 GG Ausländern keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt ihrer ebenfalls ausländischen Ehepartner vermittle. Das Grundrecht sei aber berührt, wenn eine gesetzliche Regelung dem in Deutschland lebenden Ausländer nur die Wahl lasse, die Ehe im Ausland zu leben – unter Aufgabe seines sozialen und wirtschaftlichen Integrationsstandes im Bundesgebiet. Bestehende eheliche und familiäre Bindungen seien daher bei der Abwägung mit öffentlichen Interessen in einer Weise einzubeziehen, die dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie Rechnung trage. Eine generelle Wartezeit von drei Jahren ab Eheschließung sah das Gericht bereits damals als nicht verfassungsgemäß an. Jede Regelung, die mit einiger Wahrscheinlichkeit auf eine ähnliche Trennungsdauer hinausläuft, muss demnach ebenfalls verfassungswidrig sein.

Mehrjährige Trennung vorpro­gram­miert

Hieran gemessen, begegnet das nunmehr geforderte Mindestalter von 18 Jahren für beide Ehepartner ernsthaften Bedenken jedenfalls in der Konstellation, in der – was auch nach deutschem Zivilrecht zulässig ist – wenigstens einer der Ehepartner erst 16 Jahre alt ist. Eine zweijährige Trennung ist hier vorprogrammiert.

Auch abgesehen von diesem Spezialfall dürfte das Mindestalter zudem unverhältnismäßig sein: Wenn sein Zweck, wie in der Gesetzesbegründung angegeben, die Verhinderung von Zwangsehen sein soll, fehlt es dem Mittel bereits an der Eignung, dieses Ziel zu erreichen. Einerseits kann ein/e Minderjährige/r (zwangs-)verheiratet werden und dann mit dem Visumantrag bis zur Volljährigkeit abwarten, andererseits erfasst die Regelung nicht den – durchaus vorkommenden – Fall, dass es die oder der bereits in Deutschland lebende Verlobte ist, auf den Druck ausgeübt wird, einen volljährigen, bisher im Ausland lebenden Partner zu ehelichen.

Ähnlichen Bedenken begegnet das Erfordernis einfacher Sprachkenntnisse. Integrationspolitisch ist zwar jede Sprachkompetenz zu begrüßen. Die Forderung, der nachziehende Partner müsse sich vor dem Zuzug in einfacher Weise verständigen können, vom Auswärtigen Amt im Visumhandbuch weiter dahingehend konkretisiert, es sei ein bestimmtes Zeugnis, vorzugsweise des Goethe-Instituts, beizubringen, verstößt jedoch bereits gegen den Text der Richtlinie. Nach dieser darf die Teilnahme an „Integrationsmaßnahmen“ gefordert werden, nicht jedoch ein festes Ergebnis. Mit anderen Worten: Die Teilnahme an einem Kurs kann verlangt werden, nicht aber ein Zeugnis über ein bestimmtes Sprachniveau.

Nachzug dauerhaft verhindert

So aber, wie die Regelung jetzt ausgestaltet ist, birgt auch diese Änderung die Gefahr, den Zuzug des ausländischen Ehepartners auf Dauer zu verhindern oder doch in, gemessen an Artikel 6 GG, unzumutbarer Weise hinauszuzögern. Anwältinnen und Anwälte sowie Organisationen wie Pro Asyl und der Verband binationaler Partnerschaften verwiesen bereits Ende 2007 auf erste bekannt gewordene Fälle, in denen der ausländische Ehepartner die neuen gesetzlichen Anforderungen in absehbarer Zeit nicht würde erfüllen können: Die vorübergehend alleinerziehende philippinische Frau, die ihre Arbeit aufgeben und mit zwei Kindern nach Manila ziehen müsste, um einen Kurs zu besuchen, der Analphabet in den kurdischen Bergen, die Schwangere im palästinensischen Flüchtlingslager in Jordanien – wie, wann, wo sollen sie Kurse des Goethe-Instituts besuchen? Zumal sich schnell herausschälte, dass mit, wie ursprünglich gedacht, einem einzigen Drei-Monats-Kurs die Prüfung ebensowenig zu schaffen ist wie als Autodidakt.

Dass für diese und ähnliche Fälle keine Härtefallregelung vorgesehen ist, macht im Kern die Verfassungswidrigkeit der Norm aus. Zugleich werden hier in schwer erträglicher Weise Angehörige einfacherer Bevölkerungsschichten im Verhältnis zu gut Gebildeten, wirtschaftlich Wohlhabenden diskriminiert.

Einen faden Beigeschmack gewinnt das vorgebliche Engagement gegen Zwangsehen auch dadurch, dass für Hochqualifizierte, an deren Zuwanderung ein erhebliches wirtschaftliches Interesse besteht, Ausnahmen sowohl vom Mindestalter als auch vom Spracherfordernis gemacht werden – was man wohl so lesen muss, dass das Ziel der Verhinderung von Zwangsehen hinter den ökonomischen Interessen der Bundesrepublik zurücktritt.

Einge­bür­gerte: Staats­bürger zweiter Klasse

Als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 GG stellen sich schließlich zwei weitere Aspekte der Gesetzesänderung dar: Bis August 2007 konnte ein Deutscher seinen ausländischen Ehepartner auch dann nachziehen lassen, wenn dessen Lebensunterhalt nicht gesichert war. Nunmehr besteht hierauf nur noch ein Regelanspruch; insbesondere bei Bindungen des deutschen Partners an das Herkunftsland des ausländischen kann hingegen darauf verwiesen werden, die Ehe dort zu leben. Dies zielt klar auf Eingebürgerte und diskriminiert sie mittelbar – geschaffen wird ein Status von „Staatsbürgern zweiter Klasse“. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer sprach in diesem Zusammenhang schon im Juni 2007 in Berlin kritisch von einer „Lex Türkei“.

Eine ebenfalls an Artikel 3 GG zu messende Inländerdiskriminierung liegt darin, dass hier lebende Bürger bestimmter Länder, u. a. US-Amerikaner und Japaner, ebenso wie EU-Bürger ihren Ehepartner ohne Sprachprüfung nachholen dürfen, Deutsche, ob autochthon oder eingebürgert, hingegen nicht.

Rechtsstaatlich zweifelhaft ist schließlich das Fehlen jeglicher Übergangsregelungen. Es ist zu hoffen, dass spätestens in Karlsruhe oder Luxemburg die gesetzgeberischen Fehlleistungen korrigiert werden. Das Verwaltungsgericht Berlin sah sich jedenfalls hierzu in einem Urteil vom 19. Dezember 2007 (Az. VG 5 V 22.07) nicht in der Lage. Es begründete die Entscheidung ausführlich, entschied jedoch hinsichtlich fehlender Sprachkenntnisse gegen die klagende Ehefrau.

Literatur

BVerfG, Beschluss v. 12.5.1987, Az. 2 BvR 1226/83, z. B. in Neue Juristische Wochenschrift 1988, S. 626-636

VG Berlin, Urteil vom 19.12.2007, Az. VG 5 V 22.07, unter
http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/vg/presse/archiv/20080128.1525.92893.html

Markard, Nora /Truchseß, Nina, Neuregelung des Ehegattennachzugs im Aufenthaltsrecht, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2007, 1025-1028

Reinhard Marx, Familiennachzug nach dem Richtlinienumsetzungsgesetz, in: Familienrechtsberater international 2008, S. 22-25

Stellungnahmen der Sachverständigen vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages, 21. Mai 2007 (Teil 1), unter
http://webarchiv.bundestag.de/archive/2007/0814/ausschuesse/a04/anhoerungen/Anhoerung08-1/Stelllungnahmen_SV/index.html#

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