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Eine militante Kampagne gegen die Demon­s­tra­ti­ons­frei­heit - Staatliche Aktivitäten im Vorfeld des G8-Gipfels

Grundrechte-Report 2008, Seite 99

Am 1. Juni 2007, am Vorabend der Großdemonstration, die die Proteste gegen den G8-Gipfel einleiten sollte, befand sich die Gegend um Rostock und Bad Doberan in einer Art polizeilichem Belagerungszustand. Mannschaftswagen der Polizei aus ganz Deutschland waren selbst auf entlegenen Straßen unterwegs oder an Waldrändern geparkt. Während die ersten Demonstrant/innen in den Camps eintrafen, schien die Region in gespannter Ruhe auf das zu warten, was ihr seit rund einem Jahr als der „größte Polizeieinsatz der Nachkriegsgeschichte“ angedroht worden war.

Die Planungen dafür hatten bereits im Frühjahr 2005 begonnen. Sie oblagen wie die Führung des Einsatzes selbst von der „Aufklärung“ und Logistik bis zur „begleitenden Pressearbeit“ einer von der übrigen polizeilichen Organisation getrennten Sonderbehörde, einer „Besonderen Aufbauorganisation“ (BAO), die am 1. Dezember 2005 mit zunächst 25 Beamt/innen unter dem Leitenden Polizeidirektor Knut Abramowski ihre Arbeit aufnahm. Der Personalbestand der BAO „Kavala“ – benannt nach der nordgriechischen „weißen Stadt am Meer“ – sollte bis zum Beginn der „Einsatzvorphase“ im April 2007 auf 367 anwachsen. Ab diesem Zeitpunkt waren nicht nur Beamt/innen aus dem Bundeskriminalamt (BKA), sondern auch aus den anderen Bundesländern und der Bundespolizei in die Führungsstäbe von „Kavala“ integriert. Das BKA nahm darüber hinaus weitere Funktionen wahr: Als „nationale Kontaktstelle für öffentliche Ordnung und Sicherheit“ organisierte es den „frühzeitigen“ Informationsaustausch insbesondere mit seinen Partnerdienststellen in der EU und betrieb während des Einsatzes ein Zentrum für die Verbindungsbeamten ausländischer Polizeien und von Europol. Es führte eine eigene „Zentraldatei G8“. Und es koordinierte die Sicherheitsüberprüfung für die Journalist/innen, die sich für den Gipfel akkreditieren wollten. Weswegen neun Medienleute diese Hürde nicht schafften, wollte die Bundesregierung „aus Datenschutzgründen“ nicht erläutern.

Stachel­draht und Verbote

Gesorgt hatte man auch für eine gehörige Distanz zwischen dem hochsymbolischen Gipfel der Herrschenden und den zu erwartenden Protesten: Am Morgen des 30. Mai waren die Tore in dem zwölf Millionen Euro teuren und zwölf Kilometer langen Zaun, der die Luxusherberge für die acht Staatsleute und ihre Entourage weiträumig umgab, geschlossen worden. Diese „technische Sperre“ war seit Januar errichtet worden: 4.600 Stahlgitter von 2,50 Metern Höhe, mit je 900 Kilo schweren Betonfundamenten im Boden verankert, mit einem „Übersteigeschutz“ aus Stacheldraht gekrönt, mit Bewegungsmeldern und Videoanlagen zusätzlich gesichert.

Selbst diesem Monument der Bürgerferne hätten sich die Protestierenden jedoch nicht nähern sollen: Am 16. Mai hatte „Kavala“ eine Allgemeinverfügung erlassen, mit der nicht nur ein Streifen von 200 Metern vor dem Zaun generell demonstrationsbefreit werden sollte. Vielmehr sollten auch in einem erheblich weiteren Umkreis während der ganzen Protestwoche alle Spontandemonstrationen und während der drei Tage des Gipfels auch die bereits angemeldeten Demonstrationen verboten sein.

Gegen das Recht zu demonstrieren fuhr die Sonderpolizei „Kavala“ in der 23 Seiten langen Begründung eine Gefahrenprognose auf, die nach der Formel funktioniert: Je größer der mögliche Schaden, desto geringer die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit und den Nachweis einer Gefahr. Insbesondere die USA und ihr Präsident seien Feindbilder für „zahlreiche Gruppierungen. Hierzu zählen Linksextremisten, Rechtsextremisten, Umweltaktivisten, Globalisierungsgegner, Kriegsgegner sowie Gegner der Todesstrafe.“ Das „größte Gefährdungspotential“ drohe dem Gipfel jedoch nicht aus diesem Sammelsurium von Gegnern, das „Kavala“ unter anderem mithilfe von aus dem Zusammenhang gegriffenen und überbewerteten Zitaten aus dem Internet garnierte, sondern „aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus“, bei dem man sich nur auf die Spekulationen der „Sicherheitsbehörden der westlichen Welt“ stützen konnte. Die BRD sei mittlerweile „Teil eines die gesamte Welt umfassenden Gefahrenraumes“, die Präsenz „hoher Staatsgäste“ und der Medien erhöhten die Gefahr. Geradezu komisch mutet es an, dass die Bundesregierung just am selben Tag auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag antwortete, über „keine konkreten Erkenntnisse über mögliche zukünftige Anschläge“ zu verfügen.

Propaganda der Tat

Bei der abstrakten Spekulation über den Terrorismus waren sich die Sicherheitsbehörden schon lange vor dem Gipfel einig und taten das auch mit Wonne kund. Bereits im November 2006 hatte BKA-Chef Jörg Ziercke bei einer „internationalen Sicherheitskonferenz“ in Warnemünde geraunt, ein Gipfeltreffen sei „ immer ein Ereignis, das auch für islamistische Extremisten interessant sein könnte“ – eine Vermutung, die er zwei Monate später, diesmal vor dem „Europäischen Polizeikongress“, einem Ringelpiez von Polizisten, Ministern und Sicherheitsindustrie wiederholte, „ohne dass uns hierzu konkrete Hinweise vorliegen“.

Erheblich habhafter als die Propaganda des Wortes erwies sich die staatliche Propaganda der Tat: Anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 durchsuchte die bayerische Polizei linke Projekte, Betriebe und Privatwohnungen. Legitimiert wurde das Ganze durch Aufrufe, während des G8-Gipfels den Rostocker Flughafen Laage friedlich zu blockieren. In der polizeilichen Darstellung mutierte die Blockade flugs in eine Stürmung des Flughafens, und der Aufruf zu einer strafbaren öffentlichen Aufforderung zu Straftaten.

Am 9. Mai trat die Bundesanwaltschaft auf den Plan. In ihrem Auftrag stellten rund 900 Polizisten 40 Wohnungen und politische Zentren in Hamburg, Berlin, Bremen und Brandenburg auf den Kopf. Aus Brandanschlägen auf Autos hatte sie eine terroristische Vereinigung nach § 129a Strafgesetzbuch (siehe dazu auch die Beiträge von Peer Stolle und Wolfgang Kaleck in diesem Grundrechtereport, S. XXX) konstruiert: „militante Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel (G8) 2007“. Das Verfahren gegen zuletzt 18 Beschuldigte war im April 2006 förmlich eröffnet worden, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz einige Betroffene, die es für Autoren des Buches „Autonome in Bewegung“ hält, bereits seit Anfang des Jahrzehnts observiert und ihre Telefone im Rahmen so genannter G-10-Maßnahmen überwacht hatte. Bundesanwaltschaft und BKA fuhren nun ihrerseits alles auf, was der Ausforschungsparagraph 129a an Ermittlungsgeschütz hergibt: Observationen, Telekommunikationsüberwachungen, Videokameras an den Hauseingängen, Peilsender an Autos etc. In mindestens einem Fall nutzte die Polizei die Durchsuchung, um heimlich eine Wohnung zu „verwanzen“. Die bei den Durchsuchungen Festgenommenen mussten DNA- und zum Teil Geruchsproben hinterlassen. Auch wenn das Verfahren absehbar niemals zu Anklagen führt, so hat es doch dazu gedient, massenweise Daten anzuhäufen.

Die Durchsuchungen im Mai hatten jedoch gerade nicht den erwarteten Effekt, Leute von der Teilnahme an den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel abzuschrecken. Im Gegenteil: sie wurden zu einem bedeutenden Mobilisierungsfaktor. Erreicht hat die militante Kampagne der Sicherheitsbehörden jedoch eines: dass die Proteste rund um Rostock und Heiligendamm in der (Medien-)Öffentlichkeit nur noch unter der Frage diskutiert wurden, ob sie denn friedlich ablaufen würden. Aus den Demonstrationen gegen die kapitalistische Globalisierung wurden so Demonstrationen für das Recht zu demonstrieren.

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