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Gemeinnutz von Geheim­diensts Gnaden - Verfas­sungs­schutz bleibt Mitent­scheider bei Förder­fä­hig­keit von Vereinen

Grundrechte-Report 2013, Seite 129

Vereine, die der Inlandsgeheimdienst für „extremistisch“ hält, sollten nach Plänen der Bundesregierung ihre Gemeinnützigkeit und damit unmittelbar ihre steuerlichen Begünstigungen verlieren. So sah es der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2013 vor. Wäre der Beschluss Gesetz geworden, hätten in den Verfassungsschutzberichten gelistete Organisationen zur Wiedererlangung der Gemeinnützigkeit zunächst gegen die Mutmaßungen des Verfassungsschutzes vor Verwaltungsgerichten klagen müssen. Erst dann wäre der Weg zu Finanzamt und Finanzgerichten wieder frei gewesen. Sowohl den Betroffenen als auch den Finanzbehörden wären damit alle Möglichkeiten genommen worden, Mutmaßungen und Behauptungen der   Geheimdienste „sachnah“ entgegenzutreten. Finanzämter und Finanzgerichte hätten ihr Mitspracherecht, Vereine und Körperschaften möglicherweise ihre Existenzgrundlage verloren. Durch eine breite Kampagne von rund 180 Organisationen kam es anders, der Verfassungsschutz hat aber sein Mitspracherecht behalten.

Denn bereits seit 2009 entscheidet auch der Verfassungsschutz über die Gemeinnützigkeit von Vereinen. Allerdings hieß es in der Abgabenordnung (AO) bisher, »bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind«. Der Gesetzentwurf sah vor, das Wort „widerlegbar“ zu streichen. Bereits die nur unbestimmte Nennung einer als gemeinnützig anerkannten Organisation in einem der 16 jährlich veröffentlichten Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder – das Saarland veröffentlicht keinen Bericht – hätte zu einer unmittelbaren Versagung der Steuervergünstigungen geführt. Auch die Möglichkeit, Spenden zu sammeln und Förderanträge zu stellen, wäre blockiert gewesen. Mit dem geplanten Jahressteuergesetz wäre übrigens einhergegangen, dass der jeweils aggressivste und/oder schludrigste Verfassungsschutz über das Wohl und Wehe gemeinnütziger Vereine entschieden hätte.
In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage bekräftigte die Bundesregierung zunächst, sie wolle – soweit überhaupt jemand gegen die Anwürfe des Geheimdienstes sich eine Klage zutrauen würde – nur noch die Verwaltungsgerichte als »die grundsätzlich sachnähere Instanz über Extremismusfragen entscheiden lassen«. Rechtsstaatliche Bedenken wollte sie ebenso wenig erkennen wie geplante Neuerungen.
Neu wäre aber gewesen, dass der Verfassungsschutz exklusiv exekutive Aufgaben übernimmt und nicht mehr die Finanzämter aufgrund seiner Möchtegern-Expertise entscheiden lässt. Neu gewesen wäre ebenfalls, dass nicht mehr das Finanzamt auf Grundlage der mindestens dreijährlich einzureichenden Geschäftsunterlagen und Tätigkeitsberichte einer Organisation prüft, ob der Status der Gemeinnützigkeit gewährt werden kann. Vielmehr hätte dem Geheimdienst, der zudem seine vermeintlichen Quellen nicht offenlegen muss, nachgewiesen werden müssen, dass er die Organisation ungerechtfertigt als ›extremistisch‹ einstuft.

Schlecht in Form – schlecht informiert

Schon bisher wurde vor allem gegen antifaschistische und linke Organisationen vorgegangen: 2003 entzog das Finanzamt in Leipzig dem Kulturzentrum Conne Island auf Zuruf des sächsischen Verfassungsschutzes die Gemeinnützigkeit, musste sie aber wegen fehlender Grundlagen wenige Wochen später wieder gewähren. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten wurde gleich in drei Verfassungsschutzberichten als »extremistisch« bezeichnet (Bayern: ab 2006, Baden-Württemberg: ab 2009; Rheinland-Pfalz: ab 2011), konnte im Februar 2012 aber nachweisen, dass die geheimdienstlichen Anwürfe haltlos sind. Schließlich scheiterte der sächsische Geheimdienst auch damit, einem in Leipzig ansässigen salafistischen Moschee-Verein rückwirkend die Gemeinnützigkeit entziehen zu lassen. Denn der Bundesfinanzhof hatte in seinem Urteil von April 2012 klargestellt, es »komme in dem Verfassungsschutzbericht für 2008 nicht klar zum Ausdruck, dass der Kläger selbst extremistisch sei«, vielmehr belegten dessen Unterlagen, »dass seine Aktivitäten seiner Satzung entsprächen. Damit habe er die Aussagen im Verfassungsschutzbericht hinsichtlich seiner Überzeugungen und seiner tatsächlichen Geschäftsführung widerlegt«.

(Extrem) gemein und nützlich

Mit dem Steuergesetz von 2009 wurden Vereine unter geheimdienstlichen Generalverdacht gestellt und das erste Gesetz geschaffen, in dem das Unwort ›extremistisch‹ vorkommt. Für diesen Begriff gibt es weder eine juristische Definition, noch wird er von den Geheimdiensten einheitlich verwandt. Vielmehr, darauf hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt im Dezember 2010 hingewiesen, ist die Bezeichnung ›extremistisch‹ ausdrücklich »eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Sie steht in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen«. Insoweit wäre es dringend geboten gewesen, den § 51 AO ersatzlos zu streichen, statt den Versuch zu unternehmen, ihn mit ungeeigneten Mitteln und untauglichen Behörden zu verschärfen.

Falsche Beschuldigungen und publizierte Halbwahrheiten durch die Inlandsgeheimdienste setzten sich nach 2009 fort. Zwei Beispiele: In München sieht sich seit Jahren die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle e.V. (a.i.d.a.) mit dem Geheimdienst konfrontiert. Sie taucht als vermeintlich ›linksextremistische‹ Gruppierung alljährlich im bayerischen Verfassungsschutzbericht auf, obwohl diverse Gerichte die Behauptungen des Verfassungsschutzes zurückgewiesen haben; erst 2012 hat es damit nach erneutem Gerichtsbeschluss (vorerst?) ein Ende. In Brandenburg wird seit Jahren versucht, Initiativen wie das Jugendwohnprojekt Mittendrin e.V. zu kriminalisieren. Das Potsdamer Verwaltungsgericht hielt dem Brandenburger Verfassungsschutz vor, er habe ungenau recherchiert, tendenziös berichtet und das Ziel verfolgt, die Arbeit des Vereins zu diffamieren. Im Jahr 2010 erfolgte die gerichtlich angeordnete Löschung des Eintrags, doch bereits im Jahresbericht 2011 tauchte der Verein wieder auf. Noch vor einer erneuten Klage der Betroffenen veranlasste das Innenministerium die Löschung der Passage.

Dass die AO immerhin von 1977 bis 2009 ohne einen einzigen Hinweis auf eine vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit oder gar einen ›Extremismus‹ auskam, ohne dass der Staat daran zugrunde gegangen wäre, daran mag sich heute niemand mehr erinnern. Das zu ändern, ist auch den mehr als 180 Organisationen nicht gelungen (so sie es denn wollten), die für diesmal das ›Steuern des Staatsschutz‹ zurückschlagen konnten.

Literatur

Bundesfinanzhof, Gemeinnützigkeit eines islamischen Vereins trotz Erwähnung in Verfassungsschutzbericht (Urteil I R 11/11), München 2012

Bundesregierung, Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 v. 23.5.2012

Bundesverfassungsgericht, Urteil der 1. Kammer des Ersten Senats (1 BvR 1106/08 v. 8.12.2010)

Deutscher Bundestag, Verlust der Gemeinnützigkeit von Vereinen bei Auflistung in Verfassungsschutzberichten (BT-Drs. 17/10291 v. 12.7.2012)

Eick, Volker, Hier steuert der Staatsschutz, in: Standpunkte, 12(10), 2012

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