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„Prüf­be­richt Illegalität“: Weder Gnade noch Recht für Menschen ohne Papiere - Bundes­re­gie­rung verweigert Papierlosen elementare Rechte

Grundrechte-Report 2008, Seite 24

Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung vom 11. November 2005 wurde ein Prüfauftrag für den Bereich „Illegalität“ vereinbart. Das Bundesinnenministerium wurde damit betraut, die Datenlage, Rechtslage und Handlungsoptionen bezogen auf die „illegal aufhältigen Migranten in Deutschland“ zu prüfen und hierüber einen Bericht zu verfassen. Dass sich aus diesem Auftrag ein bahnbrechender Reformansatz entwickeln würde, hat wohl niemand ernsthaft in Erwägung gezogen. Die Ergebnisse des Prüfberichts unterschreiten sogar noch die niedrigen Erwartungen. Der Bericht aus dem Hause Schäuble, der behördenintern seit Februar 2007 vorliegt, aber erst im November 2007 offiziell veröffentlich wurde,  verschreibt sich voll und ganz der Politik der harten Hand gegenüber Menschen ohne Aufenthaltspapiere. Alle Forderungen gesellschaftlicher Gruppen zur Verbesserung der sozialen Situation der Betroffenen werden vom Tisch gewischt. Dem Problemdruck begegnet das Bundesinnenministerium mit dem Vorschlag, den Druck weiter zu erhöhen.

Missstände seit langem bekannt

Bereits die Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ unter der Leitung von Rita Süßmuth hatte in ihrem Bericht vom 4. Juli 2001 zentrale soziale Probleme, unter denen Menschen ohne Papiere zu leiden haben, benannt und – zumindest einige – Lösungsvorschläge gemacht. Die so genannte Süßmuth-Kommission war von der damaligen Bundesregierung eingesetzt worden, um den Reformbedarf im Bereich „Zuwanderung“ zu ermitteln. Erkannt wurde schon damals, dass die Situation von Papierlosen etwa bei schweren Erkrankungen schwierig ist. Da sie regelmäßig nicht krankenversichert sind, müssen sie für die entstehenden Kosten selbst aufkommen oder riskieren, abgeschoben zu werden, wenn sie sich um Unterstützung der Behörden bemühen. Gleiches gilt, wenn sie ihre Kinder zur Schule schicken wollen. Aus Angst vor Entdeckung vermeiden viele Eltern dies. Ebenso ist schon lange das Problem bekannt, dass die Betroffenen von Arbeitgebern ausgebeutet und um Lohn geprellt werden. Eine Klage auf Auszahlung des Lohns ist auch hier mit der Gefahr verbunden, dass der illegale Aufenthalt entdeckt wird und der Betroffene abgeschoben wird.
Heute wie damals ist eine der Hauptursachen für die schwierige Lage von Papierlosen die so genannte Übermittlungspflicht gemäß § 87 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz. Danach müssen öffentliche Stellen den Ausländerbehörden ihre Kenntnisse über den Aufenthalt eines Ausländers mitteilen, der keinen erforderlichen Aufenthaltstitel und keine Duldung besitzt. Diese von Kritikern auch als Denunziations-Paragraph bezeichnete Norm führt dazu, dass Menschen ohne Papiere ihre sozialen und grundlegenden Menschenrechte nicht wahrnehmen. Eine Meldung bei der Ausländerbehörde führt nicht selten zur Abschiebung. Das Recht auf Bildung, Gesundheit oder Entlohnung der Erwerbsarbeit wird den Betroffenen auf diese Weise faktisch verweigert. Wer glaubwürdig für die Achtung der Menschenrechte von Papierlosen eintritt, muss als erstes die Denunziationspflicht abschaffen.

Denun­zia­ti­ons­pflicht auch für Lehrer?

Der Prüfbericht des Bundesinnenministeriums weist die Abschaffung der Übermittlungspflichten als indiskutabel zurück und beruft sich auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG): „Würde der Staat die Übermittlungspflichten und damit einen Teil seiner Kontrollmöglichkeiten aufgeben, würde sich die Frage stellen, ob der Staat sich seiner Kontrollmöglichkeiten in einem verfassungsrechtlich nicht mehr vertretbaren Maß begibt“ (Prüfbericht, Seite 41). Diese nicht gerade überzeugende „verfassungsrechtliche“ Argumentation und weitere Abwägungen resultieren aus Sicht des Innenministeriums in der Forderung, die Übermittlungspflichten sogar noch auszuweiten. Die öffentlichen Stellen sollen ausnahmslos zur Meldung bei der Ausländerbehörde verpflichtet werden. Bisher wird zumindest überwiegend eine solche Pflicht als nicht gegeben angenommen, wenn das Wissen um den fehlenden Aufenthaltstitel nur „bei Gelegenheit“ der Diensterfüllung erlangt wurde – also etwa wenn ein Lehrer während der Pausenaufsicht zufällig ein Gespräch mit entsprechendem Inhalt mithört. Das Innenministerium will nun mit der Verschärfung die Rechtsunsicherheit beseitigen. Gleichzeitig betont das Bundesinnenministerium, dass die abschreckende Wirkung, die von den Übermittlungspflichten ausgehe, auch beabsichtigt sei. Dies stellt einen herben Rückfall selbst hinter die Ergebnisse der Süßmuth-Kommission dar, die eine eindeutige Klarstellung gefordert hatte, dass Schulen und Lehrer insgesamt nicht verpflichtet seien, den Behörden ausländische Schüler zu melden, die sich illegal in Deutschland aufhalten.

Medizi­ni­sche Versorgung scheitert an der Melde­pflicht

Eine ignorante Haltung nimmt die Innenbehörde auch in punkto medizinische Versorgung für Papierlose ein. Es wird schlicht darauf verwiesen, dass auch Personen ohne Aufenthaltstitel einen Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hätten. Gelobt wird der eigene hohe Standard im Vergleich zu anderen EU-Staaten. Diese Behauptung ist falsch und  zudem zynisch. Denn die tatsächliche Inanspruchnahme von öffentlichen Kostenübernahmen für Krankenbehandlungen scheitert an der Meldepflicht der zuständigen Behörden. Weiterhin sind auch die Verwaltungen öffentlicher Krankenhäuser zur Datenweitergabe verpflichtet.

In der Debatte, wie die Gesundheitsversorgung alternativ sicher gestellt werden könnte, werden unterschiedliche Modelle genannt – etwa die Möglichkeit, eine Krankenversicherung anonym abzuschließen, die Einführung eines anonymen Krankenscheins, die Errichtung eines Fonds, der Ärzte oder Krankenhäuser die Kosten für die Behandlung von Papierlosen ersetzt. Diese Alternativen verwirft der Prüfbericht. Eine Finanzierung durch öffentliche Mittel wird – angesichts der schwierigen Haushaltslage in Bund und Ländern – abgelehnt. Es dürften keine „Anreize zur Rechtsverletzung“ geschaffen werden. Diese Begründung taucht wiederholt an verschiedenen Stellen des Berichtes auf.

Bleibt humanitäre Hilfe strafbar?

Die Süßmuth-Kommission hatte bereits gefordert, klarzustellen, dass Personen und Organisationen, die sich aus humanitären Gründen um Papierlose kümmern, nicht in Strafverfahren hineingezogen würden. Nun wurde mit dem Ende August 2007 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Zuwanderungsgesetzes der entsprechende Paragraf § 96 Absatz 1 Nummer 2 AufenthG aufgehoben. Danach konnte sich derjenige, der Papierlose unterstützt, wegen Hilfe zum illegalen Aufenthalt strafbar machen. Trotz dieser Aufhebung ist unklar, ob eine Strafbarkeit humanitärer Hilfe besteht. Denn auch nach dem allgemeinen Strafrecht (§ 27 Strafgesetzbuch) ist die Beihilfe zu strafbaren Delikten stets selbst strafbar. Es hätte einer ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung bedurft, dass das Hilfeleisten gegenüber Papierlosen nicht strafbar ist.

Die Menschen­würde wird angetastet

Menschenrechte gelten auch für Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Die Papierlosen haben ein Recht auf Achtung ihrer Menschenwürde. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Berthold Sommer hat aus der Menschenwürde die für Papierlose geltenden Mindestrechte hergeleitet – und zwar das Recht auf Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhalts (subsidiäre durch staatliche Hilfe), das Recht auf ärztliche Hilfe in Fällen schwerer Erkrankungen, das Recht der Existenzsicherung durch Arbeit und legalen Gelderwerb, die Durchsetzung von Lohnansprüchen und Bezahlung notfalls mit Hilfe staatlicher Gerichte, das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Teilnahme am Schulunterricht und anderen öffentlichen Erziehungseinrichtungen (Protokoll des Innenausschusses des Deutschen Bundestages Nr. 16/15, Seite 28-30). Statt Regelungen zu schaffen, die die Wahrnehmung dieser Rechte ermöglichen, mauert das Bundesinnenministerium. Kontrolle geht vor Menschenwürde – so lautet die Devise aus dem Hause Schäuble. Unter der Geltung des Grundgesetzes und der europäischen und internationalen Menschenrechte ist dies indes inakzeptabel.

Literatur

Bundesministerium des Innern, Illegal aufhältige Migranten in Deutschland, Datenlage, Rechtslage, Handlungsoptionen, Bericht des Bundesministerium des Innern zum Prüfauftrag „Illegalität“ aus den Koalitionsvereinbarungen vom 11. November 2005, Kapitel VIII 1.2, 2007.

Keßler, Stefan, Rechtlos in der Schattenwelt? Umgang mit „Statuslosen“ in Deutschland, in Informationsbrief Ausländerrecht, 1/2008, S. 12.

Fischer-Lescano, Andreas/Löhr, Tillmann, Menschenrecht auf Bildung – Mitteilungsverbote von Bildungseinrichtungen in aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten, in Informationsbrief Ausländerrecht, 1/2008, S. 54

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