Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2011

Bomben­ein­satz von Kunduz ohne Konse­quen­zen?

Grundrechte-Report 2011, Seiten 54 – 58

Momentaufnahme im Jahr Eins nach dem Bombardement von Kunduz am 4. September 2009: Auf der Webseite des Bundesverteidigungsministeriums finden sich Hinweise auf eine
Trauerfeier für bei Kunduz gefallene deutsche Soldaten und – immerhin – einen Besuch einer Fotoausstellung mit Porträts der Opfer des Luftangriffs und ihrer Hinterbliebenen durch den Bundesverteidigungsminister. Die Webseite des Deutschen Bundestages belegt das Engagement der Partei »Die Linke« um Aufklärung und die andauernde Tätigkeit des Kunduz-Untersuchungsausschusses. Auf der Homepage des Generalbundesanwalts liegt noch die Presseerklärung vom 19. April 2010, in der die Bundesanwaltschaft mitteilte, warum man das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein nur wenige Wochen nach seiner Eröffnung eingestellt hatte.

Tarnen und Täuschen?

Die unmittelbar nach dem Luftangriff eingeschlagene Taktik »Tarnen und Täuschen« von Bundeswehr und Bundesverteidigungsministerium
scheint erfolgreich gewesen zu sein. Zwar führten die unwahren Behauptungen des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Jung und die Manöver seines Nachfolgers Karl-Theodor zu Guttenberg zur Einsetzung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuss. Doch schnell wurde deutlich, dass es den Parteien mehr um die mögliche Diskreditierung des politischen Gegners als um eine Aufklärung der Geschehnisse vom 4. September 2009 ging und – bei abnehmendem öffentlichen Interesse – geht. Die Bundesanwaltschaft
leitete von sich aus zunächst gar keine Ermittlungen ein. Dann übernahm sie am 15. März 2010 das von der Generalstaatsanwaltschaft
in Dresden begonnene Verfahren, nicht ohne jedoch umgehend zu versichern, der Anfangsverdacht bewege sich »auf niedrigster Stufe« und man rechne mit baldiger Einstellung des Verfahrens. Eine self-fulfilling prophecy: Nach den Vernehmungen einer Handvoll Bundeswehrangehöriger wurde das Verfahren am 19. April 2010 eingestellt.

Aufklären!

Mit dieser Verfahrensweise geben sich allerdings einige Familienangehörige der Opfer des Luftangriffes nicht zufrieden. Sie
reichten beim Oberlandesgericht Düsseldorf einen Klageerzwingungsantrag ein und lassen durch ihre Anwälte Entschädigungsklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland prüfen.
Der in Düsseldorf anhängige Antrag ist nicht chancenlos. Denn die Bundesanwaltschaft hat sich bei der umfassenden Einstellung des Verfahrens grundgesetz- und strafprozessordnungswidrig Kompetenzen angemaßt, die den Staatsanwaltschaften in den Ländern zustehen. Zwar hätten die Karlsruher Strafverfolger bei der Übernahme des Strafverfahrens prüfen müssen und können, ob Vorschriften des 2002 in Kraft getretenen Völkerstrafgesetzbuches verletzt, namentlich ob Kriegsverbrechen begangen wurden. Wenn sie dann allerdings ohne größere Ermittlungen den beschuldigten Bundeswehrangehörigen den
direkten Vorsatz zur Tötung von Zivilisten absprechen, hätten sie das Verfahren wieder an die Staatsanwaltschaft eines Landes zu weiteren Ermittlungen abgeben müssen, ob nicht »normale« Straftatbestände des Strafgesetzbuches wie Mord und fahrlässige Tötung vorliegen. Doch um den politisch und militärisch Verantwortlichen den ohnehin großen Druck durch den umstrittenen Afghanistan-Einsatz abzunehmen, machte man lieber kurzen Prozess. Den Opferanwälten wurde selbst nach Einstellung des Verfahrens erst ein knappes halbes Jahr später Akteneinsicht gewährt und das auch nur in beschränktem Umfang. Auch der Einstellungsbescheid wurde um vermeintlich  sicherheitsrelevante Passagen gekürzt, ein Verfahren, das angeblich Monate in Anspruch nahm, weswegen der Bescheid aus dem April 2010 erst im Oktober zugestellt wurde. Selbst wenn das Oberlandesgericht Düsseldorf dieses Vorgehen für rechtswidrig erklärt und die Sache zur Ermittlung an die zuständige Staatsanwaltschaft beim Landgericht verweist, ist für die Opfer wenig gewonnen. Die Vorentscheidung ist durch die in Strafverfolgerkreisen tonangebenden Karlsruher bereits
gefallen und auch die abgelaufene Zeit wiegt schwer. Denn die strafrechtlichen Ermittlungen, insbesondere zur Zahl und Identität der Getöteten, müssten in einer zunehmend schwierigen Situation vor Ort in Afghanistan erst begonnen werden. Die Öffentlichkeit hat den Fall weitgehend abgehakt und die betroffenen paschtunischen Gemeinden südlich von Kunduz fühlen sich ohnehin alleine gelassen.

Menschen­recht­lich zwingend

Dabei würde die erste von deutschen Soldaten nach dem Zweiten
Weltkrieg zu verantwortende Tötung einer größeren Anzahl von Zivilisten eine sorgfältige Aufklärung und eine umfassende rechtliche Beurteilung verdienen. Die Aufklärung des Geschehens bei Kunduz am 4. September 2009 wäre nicht nur politisch geboten gewesen, sie ist auch nach innerstaatlichen und vor allem nach europäischen Rechtsstandards zwingend. Regelmäßig verurteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Staaten wie Russland und die Türkei nicht nur dafür, dass sie die Menschenrechte auf Leben und körperliche
Unversehrtheit verletzen, sondern auch ihre Untersuchungspflichten
missachten. Ansonsten führt auch die deutsche Bundesregierung vor, dass das humanitäre Völkerrecht zwar eine schöne Einrichtung ist, aber bitte doch nicht auf einen selbst angewandt werden möge, zumal wenn man sich im Krieg befindet. Alleine die Anlegung rechtlicher Kategorien auf das hoheitliche Handeln im bewaffneten Konflikt wird von Politikern
verschiedener Couleur schon als Zumutung empfunden. Monatelang kritisierten sie bereits die Tatsache, dass sich deutsche Staatsanwaltschaften mit der möglichen Strafbarkeit von Bundeswehrangehörigen etwa bei Tötungen an Straßensperren oder bei dem in Frage stehenden Bombenangriff beschäftigten. Das schlechte Gewissen, Soldaten in einen zunehmend sinnlosen Krieg zu schicken und sie Situationen auszusetzen, in denen es zu Tötungen auch von Zivilisten kommt, wird damit kompensiert, dass man den Unglücklichen wenigstens den Kadi ersparen will.

Es geht um Mord

Für Oberst Klein sähe es ernst aus, wenn ein Staatsanwalt näher
hinschauen und die Maßstäbe des humanitären Völkerrechtes und des Strafgesetzbuches auf die Order zum Bombardement anwenden würde. Denn das Abwerfen von Bomben auf Menschen stellt einen vorsätzlichen Mord mit gemeingefährlichen Mitteln dar, der allerdings nach der gewöhnungsbedürftigen Logik des Kriegsvölkerrechts unter bestimmten Umständen gerechtfertigt wäre. Dies ist allerdings bei Oberst Klein nicht der Fall. Nach dem Vorbringen der Familienangehörigen im Antrag vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf hat Klein zugleich Artikel 57 des Ersten Zusatzabkommens zu den Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsopfer verletzt, indem er die
dort vorgeschriebenen Vorsichtsmaßnahmen zum Schutze der
Zivilbevölkerung im Falle eines Angriffes missachtete. So hätte er unter anderem die Situation vor dem Bombenbefehl besser aufklären müssen, zumal eine unmittelbare Bedrohung durch den auf einer Sandbank feststeckenden Tanklastzug nicht bestand. Er hätte angesichts des – wenn überhaupt – geringen militärischen Vorteiles den Angriff wegen der absehbaren Unverhältnismäßigkeit nicht einleiten dürfen und schließlich die Personengruppe vor Ort warnen müssen. Man kann das humanitäre Völkerrecht durchaus dafür kritisieren, dass es dem militärischen Handeln insgesamt zu wenig Grenzen setzt, also zu viel erlaubt, wenn es gegen militärische Ziele geht. Für das Handeln von Oberst Klein hält es jedoch keine Rechtfertigung bereit. Wenn sich deutsche Staatsanwälte weiterhin beharrlich vor diesen Fragen drücken, stünde es der kritischen Öffentlichkeit durchaus gut zu Gesichte, die Folgen hoheitlichen Handelns deutscher Amtsträger gewissenhaft zu untersuchen und zu kritisieren, auch wenn es sich um nicht-deutsche Opfer handelt und sie zu einer Bevölkerungsgruppe gehören, die politisch wenig sympathisch erscheint.

Literatur

Kaleck, Wolfgang/Schüller, Andreas/Steiger, Dominik, Tarnen und Täuschen, in: Kritische Justiz 3/ 2010, S. 270–286

Kramer, Helmut, Justiz im Dienste des Angriffskriegs, in: Kritische Justiz 3/ 2010, S. 287–291

Finckh, Ulrich, Zwei Bomben zuviel, in: Grundrechte-Report 2010,
S. 52 ff.

nach oben