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In der Abseits­falle - Kein Abpfiff für die BKA-Datei »Gewalttäter Sport«

Grundrechte-Report 2011, Seiten 37 – 41

Die Datensammelwut deutscher Polizeibehörden wird im Grundrechte-Report seit Jahren beklagt. Zu Recht, denn immer wieder erweist sich, dass Menschen aus nichtigem Anlass oder auf bloßen Verdacht polizeilich erfasst werden. Mit jeder Erfassung aber steigt das Risiko, im Fall des Falles zu den Störern oder Verdächtigen gerechnet zu werden. Aber es bestand Hoffnung: Nach dem Bundeskriminalamtgesetz (BKAG)
setzen Dateien beim Bundeskriminalamt grundsätzlich eine Rechtsverordnung des Bundesinnenministers voraus, aus der sich das Nähere über die von dem Gesetz nur in groben Zügen umrissenen Dateien ergeben soll. Eine solche Verordnung existierte für die Dateien beim Bundeskriminalamt lange Zeitnicht. Mehrere Oberverwaltungsgerichte hatten deshalb auf die Klagen Betroffener hin schon die Löschung von Daten angeordnet.

»Gewalttäter Sport« – einer unter 12 725

Unterstützt von kritischen Fußballfans spielte sich seit dem Jahr 2006 auch ein Betroffener auf dem Rechtsweg nach vorne, der seine polizeiliche Erfassung nicht länger hinnehmen wollte. Konkret ging es um die Datei »Gewalttäter Sport«, die beim Bundeskriminalamt (BKA) besteht und von den Länderpolizeien mit Daten über angebliche Gewalttäter, die bei Fußballspielen aufgefallen sein sollen, gefüttert wird. Diese seit 2001 bestehende Datei ist die mit Abstand größte der fünf Gewalttäter-Dateien beim Bundeskriminalamt und erfreut sich eines beeindruckenden Wachstums: aus 9284 erfassten Personen im September 2006 waren im August 2010 nicht weniger als 12 725 Betroffene geworden. Voraussetzung für die Speicherung ist nicht etwa eine rechtskräftige Verurteilung wegen eines Gewaltdelikts bei Ausschreitungen. Eintrittskarte in die Gewalttäter-Welt kann bereits eine polizeiliche Personalienfeststellung sein. In der Lyrik polizeiinterner Regelungen kommt noch hinzu, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen müssen, dass der oder die Betroffene anlassbezogene Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werde. Dazu kann in der Praxis ein Polizeibericht über eine geringfügige Auffälligkeit
ausreichen. Wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, wird sogar auf solche Spekulationen – im Polizeijargon Prognose genannt – verzichtet. Die Datei Gewalttäter-Sport »ermöglicht das Gewinnen von Anhaltspunkten für das sachgerechte und wirksame Treffen von Eingriffsmaßnahmen«, wie es vollmundig in der Errichtungsanordnung heißt. Mit anderen Worten: die Datei soll dafür sorgen, dass Eingriffe schon die Richtigen treffen, und zwar wirksam.

Der so als Gewalttäter gebrandmarkte Fußballfan mag zu Recht erwartet haben, dass ihm diese Bezeichnung noch einige Nachteile, nicht nur vor dem Fußballstadion, einbringen könnte. Er klagte auf Löschung seiner Daten. Schließlich war ein gegen ihn eingeleitetes Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, da ihm gewalttätige Ausschreitungen nicht nachgewiesen werden konnten. Die beklagte Polizeibehörde verteidigte sich damit, dass der Kläger immerhin polizeiliche Anweisungen nicht beachtet und eine Absperrung im Stadion übergangen habe und trotz der Einstellung des Ermittlungsverfahrens ein »Resttatverdacht« fortbestehe. Ergo sei zu befürchten, dass sich der Kläger bei anderen Fußballspielen nicht
»ordnungsgemäß« verhalten werde. Schon das Oberverwaltungsgericht
hatte für diese Meinung der Polizei einiges übrig gehabt. Trotzdem ordnete es die Löschung der Daten an, denn es fehlte an der Rechtsverordnung.

Abseits oder Foul?

Die Polizei ging in die nächste Instanz. Wenn der Kläger Recht behalten hätte, wäre den Dateien des Bundeskriminalamts damit aus formalen Gründen auf einen Schlag die Rechtsgrundlage entzogen gewesen. So wurde es spannend, als das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung auf den 9. Juni 2010 ansetzte. Zu der erwarteten Grundsatzentscheidung kam es aber nicht. Stattdessen ließ der Bundesinnenminister, tief in der eigenen Spielhälfte kurz vor dem Torschuss des Klägers, die Abseitsfalle zuschnappen: in letzter Sekunde erging die BKA-Daten-Verordnung (BKADV), welche pünktlich mit dem
9. Juni 2010 in Kraft trat. Damit war, nur zwanzig Jahre nach Inkrafttreten des Bundeskriminalamtgesetzes, auch die gesetzlich
vorgeschriebene Rechtsverordnung ergangen.

Aber wer hätte wirklich erwartet, dass eine Rechtsverordnung des Bundesinnenministers die bürgerrechtlichen Probleme polizeilicher Datenspeicherung beseitigen würde? Da wundert es niemanden, dass die BKADV die bisherige Speicherungspraxis des Bundeskriminalamts nicht nur absegnet, sondern ein Monster besonderer Art geworden ist: Zu 25 Personengruppen – neben den üblichen Verdächtigen wie etwa Beschuldigten in Strafverfahren oder Asylantragstellern beispielsweise auch Kriegsgefangene – ist jetzt genau verordnet, welche von mehr als 100 in der Verordnung genannten Arten von Daten gespeichert werden dürfen. Also beispielsweise Angaben zu Finanztransaktionen, Mundart oder »Opfertyp«.

Der Rest ist Routine

Der Rechtsstreit war damit nicht entschieden, aber die Partie verlor an Glanz. Routiniert spielte das Bundesverwaltungsgericht sie zu Ende. Der Bürger verlor seine Klage letztlich, weil nach dem Gesetz nicht etwa die Einstellung von strafrechtlichen Ermittlungen mangels Schuldnachweis ausreichen soll, um den Makel eines »Gewalttäters« zu beseitigen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt daraus für den Löschungsrechtsstreit auf eine faktische Beweislastumkehr: Wer verdächtig ist, müsste selbst den Resttatverdacht ausräumen. Außerdem hielt es die Prognose für berechtigt, dass der Kläger in Zukunft als Sportzuschauer Vorgaben und Absperrungen der Polizei zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Fußballspiels nicht beachten
werde. Zwischenzeitlich erlittene 15 Monate Stadionverbot, verhängt durch einen Fußballverein, taten ein Übriges, um die rechtsstaatlichen Bedenken der Revisionsrichter zu zerstreuen. Damit war das Spiel aus. Eine Verfassungsbeschwerde des Fußballfans ist nicht bekannt geworden.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2010 dürfte als beklagenswerte Niederlage des Grundrechtsschutzes in die Geschichte der Auseinandersetzung um die Gewalttäter-Dateien des Bundeskriminalamts eingehen. Trotz eines originellen Angriffs setzten sich letztlich routinierte Akteure mit altbewährter Taktik durch. Verlierer sind diejenigen Betroffenen, die auf bloßen Verdacht oder als potentielle Unordnungsstifter ihr von Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 1 Absatz 1 GG garantiertes Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu Hause lassen müssen, wenn sie wieder ins Stadion gehen. Falls sie rein gelassen werden. Denn es wäre ja möglich, dass sie sich nicht
ordnungsgemäß verhalten. So bleiben Gewalttäter-Dateien, die weder Gewalt noch Tat voraussetzen, ein fortdauerndes Grundrechte-Problem mit hohen Wachstumsraten. Die auf diesem Wege zu den üblichen Verdächtigen Erklärten könnten heute schon mehr als eine Bundesliga-Fankurve füllen.

Literatur

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 9. Juni 2010, Geschäftszeichen:
6 C 5.09

Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen
zu den Dateien des Bundeskriminalamts: BT-Drs. 16/2875 und
17/2803

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