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Abschied vom einfachen Feindbild - Die Urteile in Sachen Ramelow gegen Bundesamt für Verfas­sungs­schutz

Grundrechte-Report 2010, Seite 185

Bodo Ramelow, von 1981 bis 1990 Gewerkschaftssekretär in Hessen, von 1990 bis 1999 Landesvorsitzender der Gewerkschaft HBV in Thüringen, im März 1999 als Parteiloser auf der Landesliste der PDS in den Thüringer Landtag gewählt, April 1999 Eintritt in die PDS, bis Oktober 2005 Abgeordneter des Thüringer Landtages und Chef der Thüringer PDS, seit Oktober 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages, sah sich jahrelanger Beobachtung durch den Verfassungsschutz ausgesetzt.

Neugierig auf die über ihn beim Verfassungsschutz gespeicherten Daten ist Ramelow geworden durch eine Broschüre des CDA-Landesverbandes Thüringen, die 2003 unter dem Titel „Transmissionsriemen der Postkommunisten?“ u.a. Informationen über ihn enthielt und von denen er vermutete, dass diese nur vom Verfassungsschutz stammen konnten. In der nachfolgend beim Bundesamt gehaltenen Auskunftsanfrage wurden über Ramelow insgesamt 26 Auskünfte mitgeteilt. Zu deren Speicherung hat sich das Bundesamt berechtigt gesehen, weil Ramelow von 1986 bis April 1999 die DKP, danach die spätere Linkspartei/PDS nachdrücklich unterstützt und somit für Personenzusammenschlüsse gehandelt habe, die die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen oder außer Kraft setzen wollten. Ramelow bestritt die Rechtmäßigkeit dieser über zwanzig Jahre währenden Beobachtung und beantragte beim Verwaltungsgericht Köln, die Rechtswidrigkeit seiner Beobachtung festzustellen.

Gerichtlich verordnet: Abschied vom Feindbild

Was angesichts der politischen Karriere von Ramelow zunächst wie ein Heimspiel für die Verfassungsschützer aussah, markiert den gerichtlich verordneten Abschied vom auch historisch überlebten einfachen Feindbild DKP. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren aufgetrennt in einen Zeitabschnitt bis Oktober 1999 (20 K 5429/07, Urteil vom 23.04.2009 – inzwischen rechtskräftig) und in die Zeit ab Oktober 1999, in der Ramelow zuerst Landesparlamentarier, dann Bundestagsabgeordneter war (20 K 3077/06 vom 13. 12.2007 und OVG NRW 16 A 845/08 vom 13.02.2009 – durch beiderseitige Zulassungsbeschwerden beim Bundesverwaltungsgericht anhängig). Das Verwaltungsgericht hat sich im Einzelnen  mit den Informationen auseinandergesetzt, die Ramelow in den Augen des Verfassungsschutzes zum Langzeitbeobachteten des Amtes gemacht haben.

Die Ausbeute des Amtes: Im Jahre 1982 habe Ramelow in dem DKP-Zentralorgan Unsere Zeit (UZ) seine Hochzeitsanzeige veröffentlicht, was nach Ansicht des Amtes ein enges, in das persönliche hineinreichende Verhältnis von Ramelow zur DKP offenbare. Sodann habe Ramelow im Februar 1985 eine Erklärung zur hessischen Kommunalwahl mit dem Titel „Wir wählen am 10. März die DKP“ mitunterzeichnet, die insbesondere eine Solidaritätskundgebung für das DKP-Mitglied Bastian enthielte, der sich als Postbeamter aktiv für die verfassungsfeindliche DKP betätigt habe. Dabei wären die Unterzeichner, wie Ramelow, für die „Beseitigung von Berufsverboten“ eingetreten. Durch diese „Kampagne“ hätte die Bundesrepublik im In- und Ausland diskreditiert werden sollen und die Kampagne sei maßgeblich auch von der DKP instrumentalisiert worden. Weiter habe Ramelow im Mai 1985 ein Flugblatt einer „Initiative 40. Jahrestag der Befreiung und des Friedens“ unterzeichnet, das von zwei kommunistischen Funktionären der „Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Anti-Faschisten“ (VVN-BdA) ins Leben gerufen worden sei. Dann habe er noch einen Gastkommentar in seiner Funktion als Gewerkschaftssekretär in der DKP-Zeitung Marburger Echo verfasst und eine Solidaritätserklärung für ein damals vom sogenannten Extremistenbeschluss betroffenes DKP-Mitglied abgegeben. Auch nach seinem Wechsel nach Thüringen habe Ramelow seine Unterstützung der DKP nicht aufgegeben, sondern vielmehr als Mitglied des Bundesvorstandes der Linkspartei die Kandidatur von DKP-Mitgliedern auf Listen der PDS gutgeheißen und solche Wahlkämpfe unterstützt.

Einig waren sich Gericht und Bundesamt noch darin, dass die DKP ohne Zweifel verfassungsfeindlich sei, und bei PDS bzw. Linkspartei immerhin „tatsächliche Anhaltspunkte“ für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorlägen. Einigkeit bestand auch darin, dass Ramelow selbst nicht Extremist, in der Sprache der Verfassungsschützer, selbst kein Träger extremistischer verfassungsfeindlicher Bestrebungen sei. Zu entscheiden war, ob die einzelnen Vorgänge, oder ihre Zusammenschau, es rechtfertigten, in Ramelow einen „nachhaltigen Unterstützer“ dieser Organisationen zu sehen, der deshalb beobachtet und die dabei erhobenen Daten gespeichert und bundesweit in NADIS, dem bundesweiten Informationssystem der Geheimdienste, zum Abruf bereit gehalten werden durften.

Wohltuend hat das Gericht dem Verfassungsschutz den Widerhaken verfassungsschützerischer Kontaktschuld verbogen. Man darf persönliche Freunde in der DKP haben und zu deren Information auch eine Hochzeitsanzeige in einer DKP-Zeitung schalten, ohne damit gleich selbst zum Parteigänger und Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes werden. Das Gericht hat auch nicht ausreichen lassen, einen Wahlaufruf zur DKP in der Kommunalwahl in Marburg: da im Vordergrund gestanden habe die Solidaritätsbekundung für den damaligen Postbeamten und DKP-Kommunalverordneten Bastian, könne hierin nicht ohne weiteres eine Unterstützungshandlung für die DKP als solche gesehen werden. Das gleiche Schicksal ereilte den Vorhalt an Ramelow, als Gewerkschafter einen Gastkommentar in der DKP-Zeitung Marburger Echo veröffentlicht zu haben.

Nach einer mehrjährigen Pause wurden ab 1991 wurden wieder Daten über Ramelow erfasst, wieder wegen Unterstützung der DKP, nun über den Umweg der PDS.Die Linke. Das Gericht folgte auch jetzt nicht der pauschalen Argumentation des Amtes, dass allein die Nähe zu von der DKP bzw. PDS vertretenen Zielen zum Unterstützer von DKP und PDS werden lasse. Wenn Erklärungen mit politischen Forderungen wie „Erfurter Erklärung“ vom Januar 1997 sich sowohl an die SPD, Bündnis 90/Die Grünen als auch die PDS wenden würden, dann könne hierin nicht von vornherein eine einseitige Parteinahme für die PDS gesehen werden. Ebenso wurden auch Unterstützungserklärungen für die Thematik PKK-/Kurdenfrage als völlig unzureichender Beleg für eine Unterstützung der DKP angesehen. Auch die Erfassung des Wahlergebnisses, wonach Ramelow als parteiloser Kandidat auf Platz 2 der Landesliste gewählt worden sei, reiche für sich nicht hin, einen tatsächlichen Anhaltspunkt für eine nachhaltige Unterstützung der PDS darlegen.

Unver­hält­nis­mä­ßige Dauer­be­ob­ach­tung

Das Verwaltungsgericht Köln beließ es aber nicht bei der Einzelbewertung, sondern stellte die wichtige Frage nach der Berechtigung einer jahrelangen Erfassung von Personen, denen selbst nicht der Vorwurf verfassungsfeindlicher Bestrebungen gemacht wurde, und beantwortet diese: „Es liegt eine mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbare Dauerbeobachtung vor, wenn sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht bestätigt hat und die für die Beobachtung maßgeblich tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind“ (so die vom VG in Bezug genommene Entscheidung des OVG NRW im Urteil vom 13.02.2009 – 16 A 845/08, Rnr. 364, mit dem das bereits vorher ergangene Urteil des VG Köln zur Rechtswidrigkeit der Beobachtung von Ramelow in der Zeit als Landtags- und Bundestagsabgeordneter bestätigt worden war, weil durch die damit gegebene Stigmatisierung ein Vertrauensverlust in die Parlamentstätigkeit verbunden sei.) Damit ist es dem Verfassungsschutz verboten, Personen über Jahre und Jahrzehnte hinweg als „Unterstützer“ auch aus nur öffentlichen Quellen zu beobachten, die sich innerhalb des demokratischen Spektrums befinden, aber Kontakte zum Verfassungsschutz beobachteten Organisationen oder Personen haben. Fälle wie die 38 Jahre währende Beobachtung des Publizisten und Rechtsanwaltes Rolf Gössner (s. Sönke Hilbrans in Grundrechte-Report 2009, S.187), über den – ohne dass man ihn als Linksextremisten einstufte – tausende von Seiten gesammelt worden waren, sollten dann nicht mehr möglich sein.

Das Urteil des OVG NRW vom 13.02.2009  ist von beiden Seiten angegriffen worden. Von Ramelow, weil dort die Partei Die Linke zum zulässigen Beobachtungsgegenstand des Verfassungsschutzes gemacht worden ist. Vom Verfassungsschutz, weil dieser die rechtlichen Korsettstangen wieder loswerden will, die ihm durch die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes im Gefolge des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts von 1983 auferlegt worden sind. Es bleibt abzuwarten, auf welche Seite das Pendel ausschlägt.

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