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Entweder Sozialist oder Deutscher … - Wie der Verfas­sungs­schutz Einbür­ge­rungen behindert

Grundrechte-Report 2011, Seiten 176 – 178

Menschen mit Migrationshintergrund, so wird in politischen Debatten immer wieder verlangt, müssen die Bereitschaft und den Willen aufbringen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Am Integrationswillen des jungen Hannoveraners Aram Ali ist nicht zu zweifeln: Die Schülervertretungen der hannoverischen Gymnasien haben ihn als ihren Sprecher in den niedersächsischen Landesschülerrat gewählt. Doch die hannoverische Stadtverwaltung, Fachbereich Recht und Ordnung, lehnte seinen Antrag auf Einbürgerung ab. In der Begründung stand, Ali sei Mitglied der Sozialistischen Deutschen
Arbeiterjugend (SDAJ), die erklärtermaßen darauf hinarbeite, dass »sozialistische Auffassungen unter der Jugend Verbreitung finden«. So liege »die Schlussfolgerung nahe, dass Sie die Ziele der SDAJ auch im Landesschülerrat Niedersachsen verfolgen«, musste sich Ali im Ablehnungsbescheid vorhalten lassen.

Im Einbürgerungsverfahren hatte er sich schriftlich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekannt und versichert, dass er keine Bestrebungen verfolge oder unterstütze beziehungsweise verfolgt oder unterstützt habe, die gegen diese Grundordnung verstoßen. Die Behörde aber akzeptierte diese Erklärungen nicht und teilte dem Antragsteller mit, das Niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz habe Sicherheitsbedenken erhoben, denn wegen »Unterstützungshandlungen« für die SDAJ ließen sich »tatsächliche Anhaltspunkte begründen, die die Annahme rechtfertigen, dass Sie Bestrebungen verfolgen oder unterstützen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind«.

Außer der Mitgliedschaft in der seit 1968 bestehenden Jugendorganisation (die sich in ihrer Satzung ebenfalls zu dieser Grundordnung bekennt) nannte die Behörde noch zwei konkrete
»Unterstützungshandlungen«:

  • Zum einen habe Ali eine Petition gegen das Verbot der Kommunistischen Jugend Tschechiens (KSM) unterschrieben. Das Prager Innenministerium habe den Verband mit der Begründung aufgelöst, dass er es laut Programm für notwendig
    erachte, das Privateigentum an Produktionsmitteln durch kollektives Eigentum zu ersetzen. Mit seiner Unterschrift habe sich Ali »öffentlichkeitswirksam für die o. g. kommunistischen
    Belange eingesetzt, die im Widerspruch zu denen der Bundesrepublik Deutschland stehen«.
  • Zum anderen sei Ali Mitorganisator einer Protestaktion des
    »Bündnis gegen Rechts« gewesen, die sich gegen Rassismus,
    Nazismus und rechte Gewalt in Hannover-Misburg« gerichtet habe. »Das breite Bündnis hatte sich«, wie das hannoverische Amt für Recht und Ordnung zutreffend erwähnte, »zusammengeschlossen, nachdem es mehrfach zu gewaltsamen
    Übergriffen von Neonazis auf Jugendliche in diesem Stadtteil gekommen war«. Ali als Mitorganisator habe erklärt, »dass man gemeinsam ein Zeichen gegen Intoleranz und fehlende Zivilcourage setzen wolle«.

Hätten die Behörden – die städtische und die staatliche – solches Engagement nicht besonders begrüßen sollen? Stattdessen machten sie es dem Antragsteller ohne weitere Begründung zum Vorwurf. Das Amt für Recht und Ordnung ließ Ali nur eine Wahl: seinen Antrag selber zurückzunehmen, dann seien die von ihm zu tragenden Verfahrenskosten geringer, oder einen endgültigen Ablehnungsbescheid zu erhalten und dann eine höhere Summe zahlen zu müssen.

Der Fall erregte Aufsehen und löste auch im niedersächsischen Landtag Debatten aus – vor allem im Zusammenhang mit dem gleichzeitigen Fall Janine Hamilton. Da hatte die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde Einspruch gegen die Einbürgerung erhoben, weil die Antragstellerin Mitglied der Partei Die Linke ist. Deren Landtagsfraktion setzte sich energisch für sie ein, und die Auseinandersetzungen führten dann zu einem Meinungswechsel bei der sozialdemokratisch geführten Kommunalverwaltung. Der christdemokratische Innenminister Uwe Schünemann, Vorgesetzter der Verfassungsschutzbehörde, hätte die Kommunalverwaltung per Anweisung verpflichten können, beide Anträge endgültig abzulehnen, worauf er aber schließlich angesichts des starken Widerstands in der Öffentlichkeit verzichtete.

Der in Syrien geborene Aram Ali, dessen Vater in Deutschland Zuflucht gefunden hatte, weil er in seinem Heimatland als Mitglied einer Menschenrechtsorganisation verfolgt worden war, ist inzwischen ebenso wie Janine Hamilton deutscher Staatsbürger geworden. Aber das Verfassungsschutzamt hat seine Grundposition nicht aufgegeben, die sich auf die kurze Formel bringen lässt: Wer Deutscher werden will, muss dem Sozialismus abschwören – obwohl Artikel 15 GG die Überführung von Produktionsmitteln in Gemeineigentum ausdrücklich
vorsieht.

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