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Spitzel wider Willen - In Hamburg arbeiten Auslän­der­be­hörde und Verfas­sungs­schutz offen­sicht­lich Hand in Hand

Grundrechte-Report 2010, Seite 181

Yassir Miloudi hatte ursprünglich einen sicheren Aufenthaltstitel, ein Visum für ein Studienkolleg in Köthen in Sachsen-Anhalt. Weil ihm das Studium aber nicht lag, zog er 2007 nach Hamburg, um dort ein Jurastudium zu beginnen. Das sollte sich als Fehlentscheidung erweisen, denn sein Visum war örtlich beschränkt und in der Hansestadt nicht gültig. Seine Bewerbung für den Studienplatz wurde mit Hinweis auf das Köthen-Visum abgelehnt – und eben dieses wiederum nicht verlängert.

Seit Ende 2007 lebte Miloudi damit „illegal“ an der Elbe. Ohne staatliche Daseinsberechtigung drohte ihm auf Schritt und Tritt die Entdeckung, und am 15. Dezember 2007 schließlich passierte es: Yassir wurde beim Schwarzfahren erwischt. Wegen des fehlenden Aufenthaltsstatus landete er direkt im Untersuchungsgefängnis. Tags darauf wurde er zur Ausländerbehörde gebracht.

Falle aufgestellt

Dort geschah folgendes: Erst wurde ihm geraten, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Dies ist insofern seltsam, als er niemals behauptet hatte, dass ein Asylgrund vorläge: „Ich habe in den Anhörungen immer ehrlich gesagt, dass ich nur hier bin, um zu studieren und nicht politisch verfolgt werde“ berichtet Miloudi. Das änderte indes nichts an der seltsamen Empfehlung des Sachbearbeiters. „Der Beamte hat mit mir den Antrag geschrieben. Dann sagte er mir, dass noch ein Kollege kommen werde, um mit mir zu sprechen.“

Dieser „Kollege“, erzählt Miloudi weiter, stellte sich ihm kurz darauf im Warteraum als „Nils“ vor und unterbreitete ohne großes Federlesen das Angebot, für den Verfassungsschutz zu arbeiten. Yassir Miloudi solle die „linke Szene“ ausspionieren, denn dort sei man – so erläuterte „Nils“ –  sehr freundlich zu Ausländern, weshalb es ihm ein Leichtes sein sollte, Kontakte zu knüpfen. Im Gegenzug wurden ihm 100 Euro pro Auftrag versprochen und „Nils“ versicherte, er würde sich „darum kümmern“, dass das seit eben laufende Asylverfahren auch positiv ausgehe – das habe er schon mehrfach gemacht.

Deckname „Kai“

Dass dies keine leeren Versprechungen waren, zeigte sich schon wenige Tage später. Just als Miloudi sich auf dem Weg zur Anhörung wegen des Asylverfahrens befand, rief der Verfassungsschutz an und teilte mit, dass die Anhörung nun doch nicht stattfände, stattdessen jedoch das erste Treffen mit „Nils“, wo er seinen ersten Auftrag und 100 Euro erhielt. Er sollte in die „Rote Flora“ gehen und dort Kontakte knüpfen.

Von nun an fanden wöchentlich Treffen mit „Nils“ statt. Stets wurde Miloudi auf seinem Handy angerufen und zu Treffpunkten beordert, mal auf einen Parkplatz am S-Bahnhof Wandsbeker Chaussee, mal in die HafenCity oder in eine Fischbude an den Landungsbrücken. Monatelang ging das so. Miloudi besuchte Veranstaltungen in der „Roten Flora“, Lesungen im „Libertären Zentrum“ und Anti-Nazi-Demos. Jeweils erhielt er 100 Euro sowie 50 Euro zusätzlich, wenn er auch Namen und Funktionen von „führenden Autonomen“ liefern konnte. „Nils“ ließ sich die Auszahlung stets mit Miloudis Decknamen „Kai“ quittieren. Und auf ominöse Weise war von der noch ausstehenden Anhörung keine Rede mehr.

Falle zugeschnappt

Im Juni 2008 bekam es Miloudi schließlich mit der Angst zu tun, er brach den Kontakt ab. Und was bislang gedauert hatte, ging nun auf einmal ganz schnell: Kurz darauf, aber immerhin fast ein Jahr nach der Festnahme wurde er prompt zur Anhörung geladen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt und Miloudi aufgefordert, das Bundesland binnen einer Woche zu verlassen. Offenbar hatte ihn die Ausländerbehörde in ein offensichtlich unbegründetes Asylverfahren gedrängt, das dann verschleppt wurde, um dem Verfassungsschutz ein Druckmittel zur Spitzelakquise an die Hand zu geben.

Ein „hanebüchener Skandal“, wie Miloudis Anwältin Sigrid Töpfer findet. Momentan lässt sie die Nichtigkeit des Asylbescheids gerichtlich feststellen, „mit sehr guten Erfolgsaussichten“, wie sie meint. Nachdem der Fall durch die Hamburger Presse ging, wurde mittlerweile auf politischem Wege erreicht, dass Miloudi bis zu den nächsten Semesterferien am Hamburger Studienkolleg studieren darf. Dann muss er nach Marokko ausreisen und sich dort ein neues Visum beschaffen, für das er jedoch bereits eine „Vorabzustimmung“ hat – für ihn persönlich also Glück im Unglück.

Operative Belange

Dies ändert aber nichts daran, dass das Ganze ein rechtsstaatlich mehr als bedenklicher Vorgang ist. Nicht nur, dass Miloudi offenkundig in ein falsches Verfahren gezwängt und so zum Spitzeln genötigt wurde, auch ist das verfassungsrechtliche Trennungsgebot in Hamburg anscheinend nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Auf eine von der Bürgerschaftsfraktion von „Die.Linke“  in Hamburg gestellte kleine Anfrage, inwiefern es eine Zusammenarbeit zwischen der Ausländerbehörde, dem Landesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in diesem Fall gegeben habe, wich der Senat mit dem Hinweis aus, dass „datenschutzrechtliche Bestimmungen einer Beantwortung“ entgegen stünden. Außerdem seien „operative Belange“ des Landesamts für Verfassungsschutz berührt. Allerdings sei es keineswegs ständige Praxis, dass die Ausländerbehörden in ihren Räumlichkeiten dem Landesamt für Verfassungsschutz die Möglichkeit zu Kontakten biete, vielmehr richte sich die Wahl der Örtlichkeit eben „nach den Umständen des Einzelfalls“.

Der Fall Miloudi also ein Einzelfall? Selbst wenn, wäre dies ein Fall zuviel. Die Umstände lassen indes anderes vermuten. Auch Rechtsanwalt Mahmut Erdem aus Hamburg sind solche Fälle bekannt, im Herbst 2008 wurde einem seiner Mandanten in der Ausländerbehörde Harburg vom Verfassungsschutz ein ähnliches Angebot gemacht: „Der Verfassungsschutz und die Ausländerbehörde arbeiten anscheinend Hand in Hand. Es werden die unsicheren Aufenthaltssituationen von Migranten dazu benutzt, um diese als Spitzel anzuwerben.“ Solche Berichte und die Routine, mit der gehandelt wurde nähren den Verdacht, dass der Fall von Yassir Miloudi keineswegs als Einzelfall anzusehen ist – sondern eher als Spitze eines Eisbergs.

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