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ELENA - nicht schöne Göttin, sondern Einkom­mens­da­ten­monster

Grundrechte-Report 2010, Seite 27

Als sich die Landesbeauftragten für Datenschutz im Jahr 2004 gegen das damalige JobCard-Verfahren als übermäßige Datenspeicherung von Einkommensdaten öffentlich zur Wehr setzten, interessierte sich kaum jemand für die schon seit einigen Jahren verfolgten Pläne der damaligen rot-grünen Bundesregierung. Im Jahr 2005 stellte die Konferenz der Datenschutzbeauftragten fest, dasss mit diesem Verfahren eine Datenspeicherung auf Vorrat erfolgt, ohne dass die gesetzgeberisch festzulegenden Zwecke absehbar seien. Die Bundesregierung wurde um verfassungsrechtliche Prüfung gebeten. Die Beauftragten nahmen zur Kenntnis, dass ihr Vorschlag einer sog. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unter der Datenhoheit der Betroffenen von den JobCard-Befürwortern als unrealistisch verworfen wurde. Im Juni 2008 brachte die rot-schwarze Bundesregierung einen Gesetzentwurf für das Verfahren unter dem Begriff ELENA ein. Der verzweifelte Versuch der Datenschutzkonferenz im November 2008, das Schlimmste bei dem Verfahren zu verhindern, zumindest mittelfristig den Betroffenen die technische Verfügungsmöglichkeit über die individuellen Daten den Betroffenen zu übertragen und ein differenziertes Löschungskonzept zu entwickeln und umzusetzen, waren im Ergebnis nicht erfolgreich, so dass das Gesetz vom Bundestag beschlossen wurde und im März 2009 in Kraft trat (BGBl. I, S. 634).

Bürokra­tie­abbau durch Daten­sam­meln

Bezeichnet wird damit nicht eine Göttertochter, die wegen ihrer verführerischen Schönheit von einem trojanischen Königssohn entführt wird. ELENA soll vielmehr die Einkommensdaten der gesamten abhängig beschäftigten Bevölkerung in Deutschland in eine gewaltige Datenbank entführen, wo sie für staatliche Sozialverfahren in Schach gehalten werden. ELENA steht für „Elektronischer Entgeltnachweis“. Geändert hat sich im Laufe der Jahre zwar der Name, nicht aber das geplante Verfahren: Sämtliche öffentlichen und privaten Arbeitgeber, ob Großkonzern oder Miniarbeitgeber, wenn es sich nicht gerade um geringfügige Beschäftigung handelt, sollen monatlich an eine zentrale Speicherstelle, die ZSS bei der Deutschen Rentenversicherung, einen gewaltigen Umfang von Entgelt- und Einkommensdaten elektronisch übermitteln, die dort verschlüsselt gespeichert werden und im Bedarfsfall eines Sozialverfahrens zur Leistungsberechnung abgefragt werden können.

Gemeldet werden müssen so ab Anfang 2010 Name, Anschrift, Versicherungsnummer, Gesamt-, Steuer- und Sozialversicherungs-Bruttoeinkünfte, Abzüge für die Sozialversicherung sowie steuerfreie Bezüge. Zu besonderen Anlässen wie Änderungen eines Arbeitsverhältnisses werden zusätzliche Pflichtangaben fällig, etwa, ob eine Kündigung schriftlich und ob sie per Post erfolgt ist, ob eine Sozialauswahl stattgefunden hat, von welcher Arbeitsagentur diese überprüft worden ist, ob nach Auffassung des Arbeitgebers ein vertragswidriges Verhalten vorgelegen hat. Gefragt wird nach kniffligen Umständen, die oft erst gerichtlich geklärt werden können, etwa ob eine Arbeitsabwesenheit rechtmäßig war oder als Vertragsbruch des Arbeitnehmers anzusehen ist. Es muss unterschieden werden bei unbezahlten Fehlzeiten zwischen sprichwörtlichem Blaumachen und unbezahltem Urlaub, um z.B. einen kranken Angehörigen zu pflegen.

All diese Daten sollen dem Bürokratieabbau und der Kostenersparnis dienen, von jährlich 85 Mio. Euro weniger Kosten, v. a. für die Arbeitgeber, ist die Rede. Im Fall einer Sozialbedürftigkeit soll nämlich nicht aufwändig beim Arbeitgeber eine Entgeltbescheinigung eingeholt werden müssen, was dem (evtl. ehemals) Beschäftigten Lauferei, dem Arbeitgeber Recherche- und Schreibaufwand und der Sozialbehörde Prüf- und Erfassungsaufwand auslöst. Vielmehr soll der Hilfebedürftige mit einer Signatur auf einer Chipkarte den Mitarbeitenden der Sozialbehörde die Befugnis einräumen, die Daten direkt bei der ZSS elektronisch abzurufen und in die Berechnung ab 2012 zunächst des Arbeitslosengeldes I, des Elterngeldes und des Wohngeldes einzubeziehen. Geplant ist die Nutzung des Verfahrens perspektivisch für sämtliche vorstellbaren sozialen Leistungen, vom BAFöG bis zur Prozesskostenhilfe. Dies bedeutet, dass für die Arbeitgeber 2010 und 2011 zunächst Doppelarbeit gefordert wird: Einspeisung der vielen Daten gemäß der 41-seitigen tabellarischen Datensatzbeschreibung unter Beachtung der 50-seitigen Ausfüllhilfe und parallel die Ausstellung von Entgeltbescheinigungen auf Anforderung des Beschäftigten.

Eine gewaltige Datenbank

Betroffen sind vor allem die ca. 40 Millionen Beschäftigten: Deren Daten verschwinden in einer gewaltigen Datenbank. Sie erhalten eine elektronische Signaturkarte, mit der sie ansonsten kaum etwas anfangen können, weil ein Signieren elektronischer Dokumente wohl eher nicht zum Tagesgeschäft des betroffenen Klientels gehört. Diese Karte gibt ihnen aber nicht die technische Hoheit über ihre eigenen Daten. Die liegt letztlich bei den Sozialbehörden, die auf die verschlüsselt abgelegten Daten zugreifen können. Hier setzt die Kritik der Datenschutzbeauftragten an: Der zentrale Datenpool mit hoch differenzierten und sensiblen Einkommensdaten der gesamten abhängig beschäftigten Bevölkerung in Deutschland löst zwangsläufig Begehrlichkeiten bei den unterschiedlichsten Bedarfsträgern aus, insbesondere solche, die ermittelnd tätig sind, vom Zoll bei der Schwarzarbeitbekämpfung über die Finanzämter bis hin zu Polizeien und Staatsanwaltschaften. Es ist erklärtes Ziel des Gesetzes, die Daten nach entsprechenden Gesetzesregelungen in immer mehr Sozialverfahren zu nutzen – unter Einbeziehung der Betroffenen. Es ist aber nicht ansatzweise ausgeschlossen, dass an den Betroffenen vorbei weitere Zugriffe erlaubt werden. Das Kontroll- und Diskriminierungspotenzial dieser Datenbank ist gewaltig. Tatsächlich handelt es sich bei der ELENA-Datenbank um klassische Vorratsdatenspeicherung. Mehr als 90% der Daten werden nie gesetzeskonform gebraucht werden; die Speicherung erfolgt auf den vagen Verdacht, dass die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer auf der Basis dieser Daten einmal eine Sozialleistung beantragen könnte.

Widerstand von Arbeit­ge­bern und -nehmern

Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände entdeckten sehr spät, welch monumentales Kuckucksei nun von ihnen ausgebrütet werden muss. Letztere protestierten gegen den gewaltigen Aufwand, der ihnen nun beim Liefern der Daten abverlangt wird. Arbeitnehmervertreter empörten sich über sensible Datenkategorien, etwa die gesonderte Auszeichnung von Streikzeiten. Die zuständige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen kündigte an, den Katalog der abgeforderten Daten zu überprüfen; so soll die direkte Zuordnung von Streiktagen nicht mehr möglich sein. Doch am Gesamtprinzip soll, so der erklärte Wille der Politiker bisher, nichts geändert werden. Die weiterhin bestehende Forderung der Datenschutzbeauftragten, die Daten mit einem asymmetrischen Verschlüsselungsverfahren vor Missbrauch zu schützen, steht weiterhin im Raum. Damit könnte auch noch nachträglich mehr Datensicherheit geschaffen werden: Nur mit dem privaten elektronischen Schlüssel auf der Karte der Betroffenen könnte vom Sozialamt auf die Daten, wie in einem Postfach, zugegriffen werden, sonst nicht, auch nicht vom Finanzamt oder der Polizei.

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