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Hoheitliche Paranoia - Neues vom Fall Rolf Gössner

Grundrechte-Report 2009, Seite 187

Das Interesse des Bundesamtes für Verfassungsschutz an dem Bremer Publizisten, Bürgerrechtler, Rechtsanwalt und stellvertretenden Verfassungsrichter Dr. Rolf Gössner haben wir im Grundrechte-Report bereits zwei Mal beleuchtet (vgl. Till Müller-Heidelberg, Grundrechte-Report 2000, S. 172 ff.; Sönke Hilbrans, Grundrechte-Report 2007, S. 35 ff.). Wir würden das nicht tun, wenn es nicht für den geheimdienstlichen Umgang mit politischer Opposition von links symptomatisch wäre. Zuletzt sah es so aus, als ob der „Fall Gössner“, der im Jahre 1970 mit der erstmaligen Speicherung von Daten Gössners beim Bundesamt für Verfassungsschutz begonnen hatte, mit Volldampf in sein fünftes Jahrzehnt fahren würde. Inzwischen dürfen wir uns sicher sein, dass er in diesem fünften Jahrzehnt auch ankommen wird.

Von der „Kontakt­schuld“ zum Vorwurf der Unter­stüt­zung

Wir erinnern uns: Los ging es mit der angeblichen „Kontaktschuld“ Gössners, der seine Beiträge und Meinungen nicht nur in bürgerlichen Medien, sondern auch in Zusammenhängen vertrat, die dem Verfassungsschutz als „linksextremistisch“ oder „linksextremistisch beeinflusst“ gelten (Grundrechte-Report 2000, S. 172 ff.). Musste im Grundrechte-Report 2007 davon berichtet werden, dass das Bundesamt dem umtriebigen Autor und Geheimdienstkritiker schon im Jahr 2006 nicht mehr nur Kontakte zu, sondern auch die nachhaltige Unterstützung von „linksextremistischen Bestrebungen“ vorhielt (Grundrechte-Report 2007, S. 37), so führte seine davon unbeeindruckte Vortrags- und Publikationstätigkeit danach geradewegs in den Verdacht der bewussten Untergrabung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik. Gössner, dessen Veröffentlichungen und Auftritte auch nach Meinung des Bundesamtes „kaum mehr aufzuzählen“ und inhaltlich keineswegs verfassungswidrig sind, agiere zwar nach Auffassung des Verfassungsschutzes noch im Sommer 2008 „ganz bewusst nicht als Mitglied einer offen extremistischen Partei oder Organisation“. Jedoch nicht etwa, „weil er sich von den verfassungsfeindlichen Zielen der unterstützten Organisationen distanzieren, sondern weil er so seine Glaubwürdigkeit nach Außen als vermeintlich unabhängiger Experte zu wahren“ versuche. Mit seinem Sachverstand und seiner „Prominenz als Jurist“, so das Bundesamt, habe er die inkriminierten Organisationen in ihren Zielsetzungen „nachhaltig unterstützt“.

Gut, dass wir ihn haben, den Verfassungsschutz. Sonst wäre Gössner wohl nach dieser Logik längst führendes Mitglied in einem Dutzend in- und ausländischer extremistischer Organisationen geworden. Ausschlaggebend waren für diese Einschätzung einmal mehr Berichte über einen Auftritt in einer öffentlichen Veranstaltung der DKP anlässlich des 50. Jahrestages des KPD-Verbots, ein Beitrag in der Zeitschrift „Geheim“ zum gleichen Thema und ein Interview in der „Jungen Welt“ zum EU-Beitrittsprozess der Türkei. Dass auch namhafte Publizisten und Wirtschaftswissenschaftler, Theologen und Orient-Experten, Bundestagsabgeordnete der Koalitionsparteien und Wirtschaftsjournalisten zuweilen in der „Jungen Welt“ publizieren und Gössner von „A“ wie ARD bis „Z“ wie ZDF auch in öffentlich- rechtlichen Medien und in Zeitungen der politischen Mitte niemandem eine kritische Stellungnahme zu aktuellen sicherheitspolitischen Themen schuldig blieb, konnte daran offenbar weiterhin nichts ändern. Und so landeten zur Vervollständigung des „Gesamtbildes“ über Gössner weiterhin Artikel aus der „Frankfurter Rundschau“ und dem „Weser Kurier“ in den Akten des Geheimdienstes.

Eskalation „von links“: Gössner verlangt Daten­lö­schung

Dass Gössners Bereitschaft, auch mit antikapitalistischen und nach Auffassung des Verfassungsschutzes „linksextremistischen“ Medien und Gruppen in kritischen Austausch zu treten, mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Kalten Krieg nicht nüchterner, sondern immer dramatischer dargestellt wird, mag mit der Entwicklung des Klageverfahrens des Publizisten vor dem Verwaltungsgericht Köln (dazu schon Grundrechte-Report 2007, S. 35 ff.) zusammenhängen. Dort ist seit Frühjahr 2006 seine Klage auf vollständige Auskunft aus der beim Bundesamt für Verfassungsschutz über ihn geführten Personenakte anhängig. Der Verfassungsschutz hatte dem Verwaltungsgericht die vollständige Vorlage der Personenakte „Gössner“ verweigert und die Sache dem Bundesinnenministerium vorgelegt. Dort überlegte man sich die Sache etwas genauer und gab schließlich von weit über 2.000 eingestandenermaßen seit 1970 gesammelten Seiten der Akte etwa 400 jüngere frei. Der Rest wurde dem Gericht mit zahlreichen Schwärzungen vorgelegt. Die Begründung: auch hausinterne Aktenzeichen und Querverweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz unterlägen ebenso der Geheimhaltung wie Randbemerkungen, Hinweise auf Beobachtungsobjekte des Dienstes und Informationen, die Rückschlüsse auf seine „Quellen“ und Arbeitsmethoden erlauben könnten. Gössner soll sich danach auch für die Zukunft im Wesentlichen mit Kopien seiner eigenen Schriften und Medienberichten über seine öffentlichen Auftritte bescheiden.

Warum also der neue, noch einmal schärfere Ton? Vielleicht, weil Gössner vor dem Verwaltungsgericht Köln seinerseits in die Offensive gegangen war. Nachdem das Bundesamt jahrelang mit Hinweis auf angebliche Sicherheitsgefährdung die Offenlegung seiner Erkenntnisse verweigert hatte, verlangte Gössner im Gegenzug nunmehr die Löschung aller Daten, da er gerade kein „Verfassungsfeind“ sei und sich erst recht nicht zur bloßen Tarnung das Denkmäntelchen eines unabhängigen Experten übergezogen habe.

Der erste Knoten platzt: Beobachtung ab sofort eingestellt

Mit Spannung wurde daher die erste mündliche Verhandlung beim Verwaltungsgericht Köln am 20. November 2008 erwartet. Doch es kam anders: Nur eine Woche vor dem Termin ließ das Bundesamt dem Kläger mitteilen, dass seine Beobachtung „nach aktuell erfolgter Prüfung“ eingestellt worden sei. Notbremse, Friedensangebot oder Schuldeingeständnis? Seine abrupte Umkehr begründete das Amt vor Gericht dann unter anderem damit, dass man inzwischen angesichts einer veränderten Bedrohungslage die knappen Ressourcen für andere Schwerpunkte einsetzen müsse. Hatte sich das Amt beim Kopieren und Auswerten von Veröffentlichungen des Klägers etwa tatsächlich übernommen? Und: Welche Betroffenen dürfen sich jetzt noch darüber freuen, dass sie aus Kapazitätsgründen nicht mehr überwacht werden?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat dem Gericht zugesichert, dass es die über Gössner bisher gespeicherten Daten ab sofort nicht mehr für notwendig erachte und löschen wolle. Vor dem Verwaltungsgericht Köln streitet Gössner jetzt weiter für die Feststellung, dass die 38 Jahre dauernde Überwachung und Speicherung von Daten über ihn rechtswidrig war. Und natürlich weiter für die vollständige Einsicht in die geheimdienstliche Akte.

Dem Fall Gössner ist mit der Einstellung der Überwachung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Spitze genommen, die Auswirkungen für die gesamte Beobachtungs- und Erfassungspraxis des Verfassungsschutzes haben könnte. Dass sich der Geheimdienstkritiker ohne Scheuklappen nach links auch von anderen Verfassungsschutzämtern beobachtet fühlen darf, hat er inzwischen aus Nordrhein-Westfalen schriftlich: Von dort erhielt Gössner im Mai 2008 die Auskunft, dass er unter anderem wegen seiner Teilnahme als Besucher in einem Berufsverbotsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim gespeichert wurde. Was dort vor sich ging, kann man gleich auch bei ihm selbst nachlesen (Rolf Gössner, „Berufsverbot aufgehoben“, Grundrechte-Report 2008, S. 145 ff.). Seine Mitteilung hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz sogleich mit der Versicherung verbunden, dass man die über Gössner gespeicherten Daten ab sofort nicht mehr benötige und deshalb löschen wolle. Der Betroffene wird auch diese Sache nicht auf sich beruhen lassen. Seine Klage auf vollständige Auskunft und die Feststellung, dass die Datensammlung rechtswidrig war, beschäftigt nun das Verwaltungsgericht Düsseldorf.

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