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In Verruf geraten

Grundrechte-Report 2008, Seite 20

Im November 2007 hat Dick Marty einen Bericht veröffentlicht, der auf die Terrorlisten des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und der Europäischen Union hinweist. Der Bericht listet sorgfältig die verschiedenen Beschlüsse auf, mit denen Einzelne oder Gruppen im Zuge des Kampfes gegen den Terror benannt und damit im wortwörtlichen Sinne in Verruf gebracht wurden. Es begann mit Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nach dem 11. September 2001, als zunächst die Taliban, dann bald danach Osama bin Laden als Terroristen bezeichnet und sozusagen geächtet wurden. Inzwischen wurden die Listen deutlich erweitert.

Dick Marty schildert, was das bedeutet. Die Betroffenen werden nicht verständigt, sondern erfahren davon, wenn sie eine Grenze überschreiten oder über ihr Bankkonto verfügen wollen. Es gibt keine Anklage, kein rechtliches Gehör, keine offizielle Benachrichtigung, keine zeitliche Begrenzung und keine Rechtsmittel gegen diese Maßnahme. Zu Recht weist Dick Marty darauf hin, dass damit die grundlegenden Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und wichtige Menschenrechtskonventionen verletzt sind. Marty ist davon überzeugt, dass auch völlig Unschuldige betroffen sind, obwohl das ohne förmliche Verfahren kaum bewiesen werden kann. An die Stelle der Unschuldsvermutung tritt eine Schuldvermutung, die sofort einschneidende Konsequenzen hat.

Keine Rechts­mittel gegen Fehler und Verleumdung

Natürlich sind derartige Beschlüsse fehleranfällig. Bei Einzelpersonen sind Verwechslungen möglich und falsche Anschuldigungen, gegen die man sich ohne ein geordnetes Verfahren nicht wehren kann. Bei Gruppierungen ist die Bewertung als Freiheitsbewegung oder Terrorgruppe von politischen (Vor-)Urteilen abhängig, die alles andere als objektiv und rechtsstaatlich einwandfrei sind. Vor allem aber werden mit den Terrorlisten ohne gerichtliche Verfahren und Widerspruchsmöglichkeiten alle Prinzipien des Rechtsstaates und des Internationalen Rechts über Bord geworfen. Klagen können schon daran scheitern, dass bei in Frage kommenden Gerichten höchstens die Staaten zur Klage berechtigt sind, die den Verruf selbst beschlossen haben. Marty beklagt, dass sich keine Staaten gegen dieses Vorgehen gewandt haben. Gegen Terrorlisten der Europäischen Union können aber auch direkt Betroffene klagen. Allerdings wird diese Möglichkeit durch die Sperrung ihrer Konten sehr erschwert.

Der Europäische Gerichtshof korrigiert, aber ohne Erfolg

Immerhin sind inzwischen einige Fälle vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) verhandelt worden. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien, insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör, missachtet wurden. Das hat dazu geführt, dass einige betroffene Gruppen und Terrorverdächtige nachträglich angehört wurden. Aber Abhilfe geschaffen wurde nicht. Die Verfemten blieben verfemt, weil die Stellen, die die Listen aufstellen, in dem demokratisch weder legitimierten noch kontrollierten Listungsverfahren bei ihrer Beurteilung blieben. Letzten Endes muss festgestellt werden, wie es Marty tut, dass grundlegende Menschenrechte und demokratische Regeln verletzt werden, dass Terroristen auf diese Weise nicht erfolgreich bekämpft werden können, sondern geradezu einen Sieg davontragen, wenn die Einhaltung von Menschenrechten als Schönwetterrecht erscheint. Wer Rechtsstaat und Menschenrechte verteidigen will, kann das nur, wenn er deren Grundlagen auch selbst achtet.

Literatur

Der Bericht des Europarat-Ermittlers Dick Marty steht in englischer und französischer Sprache im Internet unter:
http://assembly.coe.int/ASP/APFeaturesManager/defaultArtSiteView.asp?ID=717; dort auch die Angaben über einschlägige Urteile.

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