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Leidvolle Konse­quenzen einer verfehlten Straf­vor­schrift - BGH zieht Anwendung des § 129a StGB Grenzen

Grundrechte-Report 2008, Seite 170

Selten in der fast 30-jährigen Geschichte des Tatbestandes der terroristischen Vereinigung, § 129a Strafgesetzbuch (StGB), war eine Haftentscheidung des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof so heftig kritisiert worden wie die von Richter Hebenstreit vom 1. August 2007 gegen den Ostberliner Soziologen und politischen Aktivisten Andrej Holm. Holm war nach zehnmonatiger umfassender Überwachung in einem seit 2006 von der Bundesanwaltschaft geführten Verfahren wegen Mitgliedschaft in der nach Auffassung der Bundesanwaltschaft terroristischen Vereinigung „militante gruppe“ inhaftiert worden. Am gleichen Tag waren drei Personen wegen versuchter Brandstiftung an Lastkraftwagen der Bundeswehr in Brandenburg festgenommen worden. Es waren vor allem die mittlerweile oft zitierten Passagen aus dem Haftbefehl, die weit über den Kreis der geübten Kritiker der Terrorismusrechtsprechung hinaus für Aufsehen und Unmut sorgten.

Neben Kontakten zur linken Szene und insbesondere einem Kontakt zu einem der mutmaßlichen Brandstifter von Brandenburg wurden als Indizien gegen Holm vor allem neutrale Charakteristika, wie die Benutzung von Schlagwörtern und Phrasen, die auch in Texten der „militanten gruppe“ verwendet wurden, sowie der Zugang zu Bibliotheken und seine intellektuellen Voraussetzungen herangezogen. Intellektuelle wie Richard Sennett und Saskia Sassen kritisierten ebenso wie Bürgerrechtsorganisationen und die linke Szene den Tatbestand des § 129a StGB: Die Vorschrift sei mit einem rechtstaatlichen Strafrecht unvereinbar und diene vor allem als Ausforschungs- und Ermittlungsparagraph. Die Kritiker stehen in der Tradition einer langjährigen rechtspolitischen Debatte: In den 80er Jahren forderten die Grünen die Abschaffung der Norm als Relikt der Ausnahmegesetzgebung gegen die RAF, später griff DIE LINKE das Thema auf. Die großen Parteien hielten sich bedeckt.

Trotz aller Kritik: Schärfere Antiter­ror­ge­setze

Nach dem 11. September 2001 wurden die Terrorismus-Sondergesetze in Deutschland wie auf der ganzen Welt ausgedehnt. Nie waren die Voraussetzungen so günstig, unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung politisch, ethnisch und anderweitig unliebsame Gruppen zu verfolgen. Folgerichtig wurden im Rahmen der europäischen Anti-Terror-Maßnahmen die bisher nicht mit einer derartigen Gesetzgebung gesegneten Staaten Europas, wie z. B. Skandinavien, durch den Ratsbeschluss der EU vom 13. Juni 2002 aufgefordert, Anti-Terrorismusgesetze einzuführen bzw. zu verschärfen. In Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses reformierte die rot-grüne Bundesregierung den Tatbestand des § 129a StGB. Immerhin wurde der neue Tatbestand deutlich enger gefasst als bisher. Die stark kritisierte Rechtsprechung zur Werbung für eine terroristische Vereinigung – dadurch dass man deren angebliche Ziele, in welcher Weise auch immer, propagiert – verlor damit ihren Boden. Die rot-grünen Rechtspolitiker betonen zudem, dass erstmals eine Legaldefinition für Terrorismus Eingang in die Gesetzgebung gefunden hätte, und dass insbesondere mit dem objektiven Tatbestandsmerkmal, wonach die unter den Tatbestand des Paragraphen fallenden so genannten Katalog-Taten objektiv dazu geeignet sein müssen, durch die Art ihrer Begehung oder ihrer Ausübung einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich zu schädigen, eine wichtige rechtstaatliche Schranke implementiert wurde.

Bis zuletzt hatten allerdings die grundsätzlichen Kritiker von Terrorismus-Gesetzgebung darauf verwiesen, dass man sich im Rahmen der UN auf keine gemeinsame Definition von Terrorismus einigen konnte .Viele Staaten der Südhalbkugel kritisierten, dass die Entscheidung, ob ein Regime oder eine Befreiungsbewegung als terroristisch bezeichnet würden, sich in erster Linie nach den politischen Interessen der mächtigen Staaten der Erde richte. Dies hinderte die Bundesrepublik nicht, ebenfalls aufgrund europäischen Rahmenbestimmungen neben den inländischen auch so genannte ausländische terroristische Vereinigungen mit Hilfe des § 129b StGB zu verfolgen. Diese Vorschrift bringt enorme Probleme mit sich. Deutsche Strafgerichte müssen nun über die Völkerrechtswidrigkeit bestimmter Konflikte und über die Legalität oder Illegalität von Konfliktparteien entscheiden. Darüber hinaus sind fast nur noch Geheimdienste und Militärs in der Lage, in den Konfliktgebieten Beweise zu sichern, so dass die Strafverfahren wegen Verfolgung ausländischer terroristischer Vereinigungen in außergewöhnlichem Maße von der Exekutive und dabei insbesondere von Geheimdiensten und Militärs gesteuert zu werden drohen. Dabei finden nicht zuletzt unter Folter bzw. unmenschlicher und grausamer Behandlung gewonnene Erkenntnisse über den internationalen Geheimdienstkreislauf Eingang in solche Verfahren.

Schlappe für die Straf­ver­folger

Das Verstummen einer lautstarken Kritik hat die Bundesanwaltschaft möglicherweise dazu verleitet, das Arsenal der Terrorismusbekämpfung nicht nur gegen mutmaßliche Islamisten einzusetzen, sondern auch – in alter Tradition – zur Aufklärung der Brandanschläge der „militanten gruppe“. Dieses Vorgehen bekam den Bundesanwälten nicht: In Sachen Holm stellte der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nach drei Wochen Untersuchungshaft und knapp zweimonatiger Haftverschonung klar, „dass sich der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit der ihm angelasteten Tat schuldig gemacht“ haben müsse, „bloße Vermutungen“ dagegen nicht genügten. Nach diesem Maßstab könne ein dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten Holm nicht bejaht werden. Die bisher aufgedeckten Beweistatsachen würden nicht mehr als einen Anfangsverdacht ergeben. Nach dieser herben Schlappe war man gespannt darauf, wie derselbe Strafsenat mit den Haftbefehlen wegen des Verdachtes der Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung gegen die mutmaßlichen Brandstifter von Brandenburg entschied. In der Entscheidung vom 28. September 2007 setzte der 3. Strafsenat nicht nur den Haftbefehl gegen die drei Beschuldigten außer Vollzug, sondern nahm eine Klarstellung zur Neufassung des § 129a StGB vor.

„Die von der Gruppierung begangenen Taten – auch im Zusammenwirken mit möglicherweise geplanten weiteren vergleichbaren Taten („Nadelstichtaktik“, …) – [konnten] weder durch die Art ihrer Begehung noch durch ihre Auswirkungen die Bundesrepublik Deutschland, die als betroffener Staat hier alleine in Betracht kommt, erheblich schädigen; der konturenlose und wenig aussagekräftige Begriff der erheblichen Schädigung [bedürfe] einer strukturierten, konkretisierten Auslegung durch die Rechtsprechung.“

Der BGH stellte klar, dass dem Staat nur dann ein relevanter Schaden drohe, wenn die Straftaten geeignet seien,

„die Bevölkerung in erheblicher Weise einzuschüchtern, eine Behörde rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen des Staates erheblich zu beeinträchtigen. Vermögensnachteile [reichten] dagegen nicht aus.“

Während das Verfahren gegen Andrej Holm und andere Beteiligte ohne das Hinzukommen neuer Beweise mutmaßlich von der Bundesanwaltschaft eingestellt werden muss, sehen die drei mutmaßlichen Brandstifter einem Verfahren wegen Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer krimineller Vereinigung entgegen. Es hätte sowohl für die Beteiligten als auch für zukünftige weitere Beschuldigte in Terrorismusverfahren sicherlich schlimmer kommen können, wenn der Bundesgerichtshof nicht die beiden zitierten Entscheidungen getroffen hätte. Der Schaden für die Beteiligten in Form von erlittener Untersuchungshaft und ausufernden Ermittlungsmaßnahmen gegen Beschuldigte und gegen viele Nicht-Betroffene, u. a. auch Presseorgane, ist hingegen kaum wieder gut zu machen. In Ermangelung politischer Erfolgsaussichten für die weitergehende Reformierung oder gar Abschaffung der Terrorismusparagraphen bleibt den Kritikern derzeit vorbehalten, auf die Instrumentalisierung juristischer Instrumente für politische Verfahren (politische Justiz) hinzuweisen und den Schaden für die betroffenen Einzelpersonen, aber auch für die Protestbewegungen, so gering wie möglich zu halten.

Literatur

Pressespiegel zum Verfahren gegen Andrej Holm im Internet unter: http://einstellung.so36.net

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