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Staatliche Einschüch­te­rung. Wie der Verfas­sungs­schutz Opfer der Nazis verfolgt

Eckart Spoo

Grundrechte-Report 2003, S. 147-152

Im Jahr 2001 verbuchte die Humanistische Union (HU) einen Erfolg: Im Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministers wurden die JungdemokratInnen/ Junge Linke nicht mehr wie in den Vorjahren unter «linksextremistische Organisationen» erwähnt. Die HU, die sich für die Rechte dieser Jugendorganisation engagiert hatte, nahm den Erfolg zum «Anlass, auf die Widersin nigkeit von Verfassungsschutzberichten hinzuweisen, die kaum nachvollziehbare und demokratisch nicht legitimierte ‹Erkenntnisse› veröffentlichen» – mit manchmal einschneidenden Folgen für die betroffenen Organisationen und deren Mitglieder. Ein Jahr später gerieten die JungdemokratInnen/ Junge Linke und auch die Humanistische Union selber in den Verfassungsschutzbericht des Hamburger Innensenators Ronald Schill. Zwar sind sie da nicht einzeln aufgeführt, aber im Kapitel über den Linksextremismus wird – übrigens ohne jeden Bezug zu Hamburg – die «Plattform gegen Rassismus in Staat und Gesellschaft» angeprangert, zu der sich in Berlin neun Organisationen zusammengeschlossen hatten, neben der HU und den JungdemokratInnen unter anderem die Internationale Liga für Menschenrechte, das Komitee für Grundrechte und Demokratie sowie, woran der Verfassungsschutzbericht besonderen Anstoß nimmt, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. (Dass sich der «Plattform» nach ihrer Gründung noch etliche weitere Organisationen anschlossen, darunter der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein, die BundesschülerInnenvertretung, der Freie Zusammenschluss von Studierendenschaften und die damalige IG Medien, lässt der Bericht
unerwähnt.)

Der Hamburger Bericht gibt anonyme Äußerungen über die Absichten der «Plattform gegen Rassismus in Staat und Gesellschaft » wieder, geht aber mit keinem Wort auf den Inhalt der so überschriebenen Erklärung ein, auf die sich die neun Organisationen geeinigt hatten. So erfahren die Leserinnen und Leser des Berichts nicht, wogegen sich die Erklärung wendet, nämlich unter anderem gegen staatliche Behinderung radikaldemokratischer, antifaschistischer und antirassistischer Initiativen, besonders gegen «ihre Einschüchterung durch hoheitliche Verrufserklärungen in Berichten von Bundes- und Landesbehörden des Verfassungs schutzes sowie die gezielte Kriminalisierung ihrer politischen Aktivitäten », gegen Methoden also, mit denen, wie es dort weiter heißt, diese Behörden die Demokratie schädigten; geschwächt würden die ohnehin geringen Kräfte, die sich aktiv gegen Rechtsextremismus einsetzen und Solidarität mit den Opfern gewalttätiger Übergriffe üben.

Von diesen Inhalten gibt der Verfassungsschutzbericht keine Kenntnis; stattdessen diffamiert er die «Plattform» allein schon dadurch, dass er sie unter der Überschrift «Linksextremismus» anprangert und so den Eindruck erweckt, als wäre sie verfassungswidrig. Die Auseinandersetzung mit den Forderungen der «Plattform» wird ersetzt durch den Hinweis auf die Beteiligung der VVN/BdA – als begäbe sich jeder, der in Kontakt mit dieser weitaus größten deutschen Vereinigung von Nazi-Verfolgten tritt, automatisch in den Verdacht, an linksextremistischen Umtrieben mitzuwirken.

Mit dieser Praxis des Verdächtigens und Diffamierens steht das Hamburger Verfassungsschutzamt des Rechtsextremisten Schill freilich nicht allein da. Jahr für Jahr berichten die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder in alarmierendem Ton über VVN-Aktivitäten, als ginge von ihnen große Gefahr für Freiheit und Demokratie aus. Hauptargument ist die zahlreiche Mitgliedschaft von Kommunisten, die jedoch kein geheimdienstlich zu enthüllendes Geheimnis ist, sondern sich einfach daraus ergibt, dass Kommunisten zahlreicher als jede andere politische Gruppe vom Nazi-Regime verfolgt wurden, auch mit besonderer
Härte.

Namhafte ehemalige Widerstandskämpfer (darunter die Vorsitzende des Auschwitz-Komitees der Bundesrepublik, Esther Bejerano, der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau, Max Mannheimer, der Vorsitzende der Emslandlager-Gemeinschaft, Georg Gumpert, und der Generalsekretär des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, Werner Haendler) appellierten 2001 gemeinsam an alle Abgeordneten des Bundestags, darauf hinzuwirken, «dass endlich Schluss damit gemacht wird, antifaschistische Organisationen durch den Verfassungsschutz zu bespitzeln und als angeblich ‹extremistisch› zu verleumden – und damit Aktivitäten gegen den Rechtsextremismus zu behindern». Der Appell blieb wirkungslos. Die Verfassungsschutzämter setzen ihre Praxis noch immer fort.

Der Wahrheitsgehalt ihrer angeblichen «Erkenntnisse», die als Indizien oder gar als Beweise für behauptete «Verfassungsfeindlichkeit » dienen sollen, erweist sich oft als dürftig. Die in den Berichten der Verfassungsschutzämter enthaltenen Bewertungen sind niemals mehr als bloße Meinungsäußerungen, nicht etwa Ergebnisse eines förmlichen, geschweige denn richterlichen Verfahrens zur Tatsachenfeststellung; die Betroffenen werden nicht angehört. Mit der Vokabel «verfassungsfeindlich» unterläuft die Exekutive die grundgesetzlich geregelte Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, Organisationen für «verfassungswidrig» zu erklären. Manche staatliche oder kommunale Verwaltung akzeptiert die regierungsamtlich verlautbarten Bewertungen und richtet sich danach, als wären es Rechtsbescheide.

Für die JungdemokratInnen hatte das, solange sie als «verfassungsfeindlich » rubriziert waren, zur Folge, dass ihnen der Entzug staatlicher Zuschüsse zu Bildungsmaßnahmen drohte. Die Dauererwähnung der VVN in den Verfassungsschutzberichten wirkt sich unter anderem so aus, dass die rheinische Stadt Eschweiler eine von der VVN mit Unterstützung der IG Metall geschaffene Wanderausstellung über den Neonazismus in Deutschland absagte, die im Rathaus gezeigt werden sollte. Bürgermeister Rudi Bertram erklärte, es sei beabsichtigt gewesen, «viele, insbesondere junge Menschen mit dem Inhalt und der Bot schaft der Ausstellung zu erreichen, aufzurütteln und zum Handeln zu bewegen». Doch dann sei die Gefahr entstanden, dass eine aufkommende – durch den Verfassungsschutzbericht hervorgerufene – Diskussion über die ideologische Ausrichtung der VVN-BdA «das Ziel der Ausstellung negativ überlagern
könnte».

Ähnliches geschah in Pforzheim. Im Januar 2003 sollte die Wanderausstellung im dortigen Kulturhaus Osterfeld gezeigt werden, veranstaltet vom örtlichen DGB und der IG Metall. Nach Angriffen von Pforzheimer Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern der in Baden-Württemberg regierenden CDU, die sich auf die Bewertung der mitveranstaltenden VVN im Verfassungsschutzbericht beriefen, wurde die Ausstellung abgesagt. Der CDU-Kreisvorsitzende, der baden-württembergische Staatssekretär Stefan Mappus, hatte dem Kulturhaus mit der Streichung öffentlicher Zuschüsse gedroht.

Die verfassungsschutzamtliche Abstempelung der VVN verbindet sich mit der unverhohlenen Absicht, diese Organisation gesellschaftlich zu isolieren, ihr also die Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung möglichst zu erschweren. Weshalb sonst erwähnte der 2002 vorgelegte Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministers Otto Schily für das Jahr 2001 zum Beispiel den Aufruf eines lokalen antifaschistischen Bündnisses gegen einen NPD-Aufmarsch in Hannover? Neben der VVN hatten auch der regionale DGB und die niedersächsischen Jungsozialisten unterzeichnet. Mit einer als politisches Schmuddelkind abgestempelten Organisation sollen brave Kinder nicht spielen, sonst laufen sie Gefahr, selber in die Schmuddelecke gestellt zu werden. (Ebenso wie der VVN ergeht es dem «Bundesausschuss Friedensratschlag ». Ihm lastet Schilys Verfassungsschutzbericht Antiamerikanismus, das Bemühen, den aggressiven Imperialismus «zum Frieden zu zwingen«, und insofern eine politische Tendenz bis hin zur Gewaltbereitschaft gegen «westliche Verfassungsstaaten mit marktwirtschaftlichen Ordnungssystemen» an, denn Imperialismus sei ein Pseudonym für diese Staaten – was die Verfasser des Berichts alles einem 1989, lange vor Gründung des Friedensratschlags, erschienenen «Kleinen Politischen Wörterbuch» entnehmen, aus dem sie hoch wissenschaftlich zitieren.)

Wenn an einer Ausstellung über den Neonazismus in Deutschland inhaltlich etwas zu beanstanden wäre, könnte und sollte man sich in öffentlicher Diskussion damit auseinander setzen. Verfassungsschützer jedoch, die solche Berichte schreiben, sind offenbar unfähig, sachlich zur Diskussion beizutragen. Wenn dieser Geheimdienst – immer unter der politischen Verantwortung der Innenminister – stattdessen darauf hinwirkt, Aufklärung über den Neonazismus zu unterbinden, weil sie von denen kommt, die durch ihr Lebensschicksal gegenüber Gefahren von rechts zweifellos besonders sensibilisiert sind, dann ist das blanker Hohn, und er konterkariert damit die gelegentlich nach neonazistischen Gewalttaten zu hörenden Aufrufe führender Politiker zum Engagement, zur Zivilcourage, ja zum «Aufstand der Anständigen» gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Meldungen wie die, dass ein zeitweiliges Bundesvorstandsmitglied der NPD im Laufe der Jahre 370000 Mark vom nordrhein-westfälischen Landesamt für Verfassungsschutz erhielt, dass das Geld in die Parteikasse weiterfloss und dass dieser NPD-Funktionär inzwischen den meisten seiner zeitweiligen Verbindungsführer im Verfassungsschutzamt in gedruckter Form bestätigte, seine Gesinnungsgenossen zu sein, bestärken die Zweifel, dass dieser Geheimdienst die Verfassung schützt. Und es bestätigen sich die von namhaften Bürgerrechtsorganisationen in der «Plattform gegen Rassismus in Staat und Gesellschaft» erhobenen Mahnungen und Warnungen.

Literatur

Andreas Förster: «370000 Mark und eine Pistole für den V-Mann», in: Berliner Zeitung vom 20. 6. 2002
Martin Höxtermann: «Politische Erpressung – Pforzheimer Kulturhaus sagt Neofaschismus- Ausstellung auf Druck der CDU ab», in: junge Welt vom 15. 1. 2003
Jürgen Seifert: «Der Verfassungsschutz auf Abwegen», in: Grundrechte-Report 2001

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