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Feuertod im Polizei­ge­wahrsam

Grundrechte-Report 2008, Seite 67

Zwei Polizeibeamte müssen sich für den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh vor dem Landgericht Dessau verantworten

Vor dem Landgericht Dessau findet seit März 2007 ein Strafverfahren gegen zwei Polizeibeamte statt, die mutmaßlich für den qualvollen Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich sind. Anfang 2005 hatten Dessauer Polizisten den Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone aufgegriffen, weil er Reinigungskräfte auf der Straße belästigt haben soll. Jalloh war betrunken und wurde in Gewahrsam genommen. Die Polizisten fesselten ihn an Händen und Füßen, weil er angeblich Widerstand leistete, fixierten ihn auf einer Matratze in der Arrestzelle Nr. 5 und ließen ihn stundenlang allein zurück – unterbrochen nur durch gelegentliche Kontrollgänge. Dieser » Verhinderungsgewahrsam« sollte seiner »Eigensicherung« dienen. Am 7. Januar 2005 verbrannte er in der rundherum gekachelten Sicherheitszelle bei lebendigem Leib. Todesursache: Hitzeschock.

Verschlepptes Verfahren und drängende Fragen

Die Aufklärung dieses tragischen Todesfalles wurde mehr als zwei Jahre lang verschleppt. Die Staatsanwaltschaft hatte sich frühzeitig auf die Hypothese einer rätselhaften Selbstanzündung festgelegt: Das Opfer habe die schwer entflammbare Matratze, trotz vorheriger Durchsuchung und Fesselung, selbst angezündet – mit einem Feuerzeug, das nach dem Brand erst bei einer zweiten Zellendurchsuchung gefunden worden sein soll. Erst auf Veranlassung von Freunden des Verbrannten konnte eine zweite Obduktion durchgeführt werden, die einen Nasenbeinbruch und eine Mittelohrverletzung zu Tage brachte, Verletzungen, die Jalloh vor seinem Feuertod erlitten haben musste.

Das Landgericht hat im Verlaufe des Prozesses drängende Fragen zu klären: Ist Oury Jalloh vor seinem Tod misshandelt worden? Darf ein Betrunkener mit fast drei Promille in einer Zelle an allen Gliedmaßen fixiert werden, ohne dass er ständig beaufsichtigt wird? Wie gelangte ein Feuerzeug, trotz intensiver Durchsuchung, in die Zelle und warum wurde es so spät gefunden? Wie kann ein stark alkoholisierter, an Händen und Füßen fixierter Mensch ein Feuerzeug aus der Hosentasche fingern und eine feuerfeste Matratze anzünden? Weshalb hat einer der Angeklagten nicht rechtzeitig auf den Brandmelder reagiert? War es Selbsttötung, die durch rechtzeitiges Reagieren hätte verhindert werden können, war es unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung oder gar Mord aus rassistischer Motivation, wie manche mutmaßen und worauf gewisse Umstände hindeuten könnten?

Wider­sprüche und Erinne­rungs­lü­cken

Einem der angeklagten Polizisten wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung durch Unterlassen vor: Bei der Durchsuchung von Oury Jalloh habe er ein Feuerzeug übersehen, mit dem dieser später das Feuer gelegt haben soll. Dem Hauptangeklagten Andreas S. wirft die Staatsanwaltschaft Körperverletzung mit Todesfolge vor, ebenfalls durch Unterlassen: Er habe die Gegensprechanlage wegen der starken Geräusche aus der Gewahrsamszelle leise gestellt, den Brandalarm zweimal weggedrückt und erst auf Drängen einer Kollegin die Zelle aufgesucht. Diese Hauptbelastungszeugin hat vor Gericht ihre belastende Aussage relativiert – sie stand enorm unter Druck, nachdem sie gegen ihren Willen versetzt worden war und dies als Bestrafung empfand. Inzwischen hat ein Kollege des Haupt-angeklagten bekundet, dieser habe ihm gegenüber zugegeben, zu spät reagiert zu haben.

Den Prozess durchziehen eklatante Widersprüche und auffällige Erinnerungslücken der auftretenden Polizeizeugen. Es stellte sich heraus, dass während des laufenden Prozesses im Polizeirevier ein ominöses Zeugeninformationstreffen stattgefunden hat, in dem es um Verhaltensregeln und Falschaussagen einzelner Polizeizeugen ging. Die Anwälte der Nebenklage, die Mutter, Vater und Bruder des Opfers vertreten, sprechen vom Versuch einer »massiven Manipulation«, und der Vor-sitzende Richter Manfred Steinhoff stöhnt: »Dieses Verfahren strotzt nur so vor Schlamperei und Versäumnissen«.

Am zehnten Prozesstag, es ist der 24. Mai 2007, platzt dem Vorsitzenden dann der Kragen. Zumindest einer der Polizeizeugen müsse bewusst falsch ausgesagt haben, um den Hauptangeklagten Andreas S. zu schützen, »Nennen Sie uns den, der hier die Unwahrheit sagt«, verlangt er vorn Angeklagten. »Sie sind Beamter des Landes Sachsen-Anhalt und wir leben in keiner Bananenrepublikk«, poltert der Richter. »Ich werde den Prozess in Grund und Boden verhandeln, ich werde notfalls jeden Zeugen zehnmal vorladen. Irgendwann fällt jemand um.«

Die richterliche Standpauke zeigte Wirkung. Die erneute Vernehmung des Polizeibeamten Gerhardt M. drehte sich um die letzte Phase der Tragödie. Aufhorchen ließ seine erstmals gemachte Aussage, dass er nach Öffnen der Gewahrsamstür durch den Angeklagten – trotz des schwarzen Qualms – zwei Schritte in die Zelle gemacht und Jallohs festgeschnallten Körper gesehen habe. Er habe versucht, die Matratze zu löschen, was ihm aber nicht gelungen sei. »Das einzige, was geholfen hätte, wäre gewesen, ihn sofort loszumachen.« Jalloh hätte von seinen Hand- und Fußfesseln befreit werden müssen, aber er habe keine Schlüssel gehabt. Die hatte der Hauptangeklagte, der stets bestritten hatte, dass es möglich gewesen sei, die Zelle zu betreten, da es zu stark gequalmt habe.

Organi­sierte Verant­wor­tungs­lo­sig­keit

Die Aussagen der Polizeizeugen erlauben einen erschreckenden Einblick in die Organisation, das Verhalten und die Mentalität im Dessauer Polizeirevier: Hier lernt man eine Sicherheitsbehörde kennen, in der »Sicherheit« offenbar über Menschenwürde und Bürgerrecht gestellt wird. Man könnte auch von organisierter Verantwortungslosigkeit sprechen. Da wird ein hoch alkoholisierter Migrant angeblich nur zur ldentitätsfeststellung für gewahrsamstauglich erklärt, an allen vier Gliedmaßen über Stunden fixiert und angeblich zur eigenen Sicherheit nahezu bewegungsunfähig gemacht; da werden trotz gesteigerter Garantenpflicht gegenüber dem Fixierten Kontrollgänge höchst nachlässig absolviert und beunruhigende Auffälligkeiten ignoriert, da gibt es kaum Schulungen der Polizei, geschweige denn ausreichende Brandschutzmaßnahmen.

Am Ende geriet die angebliche Eigensicherung zur ausweglosen Todesfalle und der Sicherheitsgewahrsam zu einer Todeszelle. Erst nach diesem Vorfall ist die Gewahrsamsordnung geändert worden: Heute wäre Oury Jalloh in seinem alkoholisierten Zustand nicht mehr in Gewahrsam genommen, sondern in ein Krankenhaus gebracht und dort medizinisch betreut worden.

Bereits zu Beginn des Prozesses konnten die Anwälte der Nebenklage einen wichtigen Erfolg verbuchen: Nun wird auch jener Todesfall in dem Verfahren verhandelt, der sich schon 2002 in derselben Zelle des Polizeireviers ereignet hatte. Damals starb ein 36-jähriger Obdachloser im Gewahrsam, in dem er 15 Stunden verbringen musste, davon mehrere unkontrolliert. Als verantwortlich gilt einer der jetzt angeklagten Polizeibeamten und der Arzt, der auch die »Gewahrsamstauglichkeit« von Oury Jalloh feststellte. Zwar wurde das Ermittlungsverfahren damals eingestellt, aber die Frage nach einer Pflichtwidrigkeit des Angeklagten in jenem Fall, die disziplinarrechtlich noch nicht entschieden ist, wird auch in diesem Verfahren von großer Bedeutung sein. Es drängen sich jedenfalls erstaunliche Parallelen auf.

Der Prozess, der mit großem Aufwand geführt wird, hat auch deshalb besondere Bedeutung, weil es immer wieder vorkommt, dass Angehörige sozialer Randgruppen, darunter Obdachlose, Drogenabhängige und Flüchtlinge in Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder gar ums Leben kommen; häufig bleiben solche Fälle unaufgeklärt und ungesühnt. Nach einer Studie der Universität Halle starben zwischen 1993 und 2003 bundesweit 128 Menschen im Polizeigewahrsam; dabei hätte jeder zweite Tod verhindert werden können.

Der Prozess läuft seit Ende März 2007 – ein Ende des Verfahrens ist bei Redaktionsschluss noch nicht in Sicht.

Literatur

Heide/Henn/Hanke/Kleiber/Stiller, Erste Ergebnisse der Studie zu Todesfällen im Polizeigewahrsam in Deutschland 1993-2003, in: Rechtsmedizin, Berlin, Bd. 15/2005

Wendel, Smoking gun missing, in: analyse & kritik (ak 522) v. 16.11.2007, S. 3

Prozessberichte unter: www.prozessouryjalloh.de und www.rolfgoessner.de/ProzessbeobZusstellg.htm

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