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Der ganz alltägliche Terror von Rechts. Ein Bericht aus Ludwigslust und Umgebung

Heike Kleffner

Grundrechte-Report 2003, S. 65-69

Als Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) den Bundesverfassungsschutzbericht für das Jahr 2001 vorstellte, glänzte ein Bundesland mit einem auffälligen «Erfolg» bezüglich rechtsextremer Gewalt. Mecklenburg-Vorpommern meldete in der Rubrik «Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund» kein einziges Delikt. Dass diese Statistik mit der Realität in dem norddeutschen Bundesland (Migrantenanteil: zwei Prozent von 1,7 Millionen Einwohnern) wenig gemein hat, macht nicht nur ein Blick in die Statistik des Schweriner Landeskriminalamtes (LKA) deutlich. Das hatte für den Zeitraum des Jahres 2001 noch 38 rechtsextrem und fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten registriert. Nichtregierungsorganisationen wie LOBBI e. V., die ihren Arbeitsschwerpunkt auf die Betreuung und Unterstützung von Opfern rassistischer, rechtsextremer und antisemitischer Gewalt gelegt haben, beobachten kontinuierlich anhaltende Gewalttaten gegen alle, die nicht ins rechte Weltbild passen: Linke und nicht-rechte Jugendliche, Migrantinnen und Migranten sowie Asylsuchende, Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Art. 2 (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Obdachlose und sozial Randständige. So zählte LOBBI e. V. alleine in den Monaten zwischen Januar und August 2002 95 rechtsextrem motivierte Angriffe.

Dass die Entstehung so genannter «no-go-areas» für Flüchtlinge, Migranten und alternative Jugendliche anhält, wird sichtbar, wenn man die Situation in der 13000- Einwohner-Stadt Ludwigslust und deren Umgebung analysiert. Geändert hat sich seit dem von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Sommer 2000 proklamierten «Aufstand der Anständigen» in erster Linie, dass Rechtsextremismus als schlagzeilenträchtiges Medienthema kaum noch existiert. Doch im Alltag vieler Menschen ist er zu einem Faktor geworden, der bestimmt, wann man welchen Nachhauseweg nimmt, mit wie vielen Freunden man vom Flüchtlingsheim zum Einkaufen ins Stadtzentrum geht oder ob man die Tochter oder den Sohn im Teenager-Alter nachts von einer Party abholt, um sicherzustellen, dass das eigene Kind – weil es einen Punkhaarschnitt bevorzugt oder sich ganz einfach dem rechten Mainstream an seiner Schule verweigert – unbeschadet nach
Hause kommt.

LOBBI e. V. betreut in Ludwigslust und umliegenden Kleinstädten wie Boizenburg derzeit ein halbes Dutzend nicht-rechte und linke Jugendliche sowie einige Migrantinnen und Migranten, die in den Jahren 2001 und 2002 Opfer rechter Angriffe wurden. Am Anfang stand ein Angriff auf einen griechischen Restaurantbesitzer und dessen Ehefrau in Boizenburg am 3. September 2001. Der Mann wurde in seinem Restaurant nach Feierabend von drei Rechten mit Sprüchen wie: «Wir kriegen euch schon noch raus», bedroht und mit einer Holzbohle ins Gesicht geschlagen. Er musste mit einem vierfachen Jochbeinbruch und einem Nasenbeinbruch stationär behandelt werden, ebenso wie seine Ehefrau, die mit einem Schock ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Hier sprühten Unbekannte ein Hakenkreuz an ihre Krankenzimmertür.

Der Angriff liegt inzwischen eineinhalb Jahre zurück, die Opfer haben Anzeige gegen die Täter erstattet, einen Nebenklageanwalt gefunden und versuchen, ihr Leben so zu führen wie vor der Tat. Das erweist sich jedoch als extrem schwierig. Insbesondere die Tatsache, dass im Jahr 2002 weitere Übergriffe auf das Restaurant stattfanden, machten eine Verarbeitung des Traumas kaum möglich. Da ein Prozesstermin nicht in Sicht ist, überlegt das griechische Ehepaar inzwischen, Boizenburg zu verlassen.

Auch andere Opfer haben den Eindruck, dass der lange Zeitraum zwischen Angriffen und strafrechtlichen Konsequenzen die Täter ermutigt. Zum Beispiel Frau B. aus Ludwigslust, deren heute 17-jährige Tochter in der Silvesternacht 2001 eine Feier organisierte, die innerhalb von wenigen Stunden zwei Mal von Rechten angegriffen wurde. Nach dem ersten Angriff verständigte das Mädchen die Mutter und die Polizei, die nach geraumer Zeit auch erschien und eine Anzeige gegen die namentlich bekannten Täter aufnahm. Als der Streifenwagen wieder weggefahren war, kehrten die Angreifer zurück, traten die Haustüre ein, verwüsteten das Mobiliar und verletzten mehrere Partygäste. Das Mädchen verständigte erneut seine Mutter und einen Bekannten. Es gelang ihnen, die Angreifer aus dem Haus zu drängen. An der rechten Gesinnung der Täter hat Frau B. keine Zweifel: «Das konnte ich sowohl an den Sprüchen wie ‹Sieg Heil› als auch an T-Shirts mit Aufdrucken wie ‹White Power› erkennen», erinnert sie sich. Auch nach dem zweiten Angriff kam die Polizei erst, als die Angreifer das Haus bereits verlassen hatten. Frau B. litt lange Zeit nach der Tat an Schlaflosigkeit und Angstzuständen. Ihre größte Sorge war, dass die Angreifer ihr oder ihrer Tochter zu Hause auflauerten. Diese Furcht erwies sich als begründet, denn ein halbes Jahr nach der Tat wartete die gleiche Gruppe tatsächlich wieder vor dem Haus der Familie. Das Gefühl der Unsicherheit besteht für Frau B. bis heute weiter – auch weil ein Gerichts verfahren gegen die Täter bislang nicht terminiert wurde. Selbst der Schweriner Verfassungsschutz räumte im vergangenen Jahr ein, dass der Landkreis Ludwiglust eine «Sonderstellung bezüglich neonazistischer Aktivitäten» einnimmt. Den Zulauf zu den Rechten, die sich in Mecklenburg-Vorpommern vor allem in so genannten Freien Kameradschaften organisieren, führen Beobachter auf eine «verstärkte Rekrutierung und Politisierung des ohnehin vorhandenen Potenzials» zurück, so die Leiterin des Jugendclubs
«West End».

Beim Verfassungsschutz heißt es dazu: Seitdem der Hamburger Neonazi Klaus Bärthel im Jahr 2000 nach Ludwigslust zog, lassen sich verstärkte rechtsextreme Aktivitäten feststellen. Der 62-jährige Bärthel ist kein Unbekannter. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hielt ihn einem Strafverfahren wegen Volksverhetzung für den Herausgeber des «Zentralorgans», eine der über mehrere Jahre lang einflussreichsten bundesdeutschen Neonazipublikationen. Im Herbst 1999 prangte auf der Titelseite des Hochglanzmagazins die antisemitische Parole «Juden raus». Trotzdem kann Bärthel in Ludwigslust ungestört agieren. Und er zeigt Präsenz, die einschüchtert: als Anmelder von rechtsextremen Demonstrationen mit überregionaler Beteiligung, als Beobachter öffentlicher Jugendausschusssitzungen oder bei der jährlichen Theodor-Körner- Gedenkfeier in der Mahn- und Gedenkstätte Wöbbelin. Seitdem Bärthel in Ludwigslust wohnt, werden nach Ansicht von Sozialarbeitern und Stadtverwaltung schon 12- und 13-Jährige in die rechte Szene eingebunden; bei 16- bis 18-Jährigen zeige sich ein verfestigtes rechtsextremes Weltbild, das durch Diskussionen und sozialarbeiterische Tätigkeit nicht mehr beeinflussbar sei.

Nach dem Motto «Schafft national befreite Zonen», das im Sommer 2001 als Titelparole auf dem «Zentralorgan» prangte, hat sich die rechtsextreme Jugendszene in Ludwigslust seit dem Frühjahr 2002 neue Treffpunkte geschaffen – und damit weitere «no-go-areas» für linke und nicht-rechte Jugendliche in der Stadt etabliert. Den Passantinnen und Passanten auf der größten Einkaufsstraße des Ortes leuchtet der weiße Schriftzug «Tattoo Walhalla » unübersehbar entgegen. Wer zur Mittagszeit den Laden betritt, wird von einem halben Dutzend Skinheads misstrauisch beäugt. Harte Beats einer Rechtsrockband dröhnen durch den Raum, an den Wänden hängt neben unverfänglichen Tattoosymbolen auch eine Tafel mit stilisierten Abbildungen von Landsern. Die Stadtverwaltung erklärt sich im Fall von «Tattoo Walhalla », dessen Betreiber wegen rechter Gewaltdelikte vorbestraft ist und als aktives Mitglied der Neonaziszene gilt, für ebenso machtlos wie angesichts der Aktivitäten von Klaus Bärthel. Linke und nicht-rechte Jugendliche nehmen seit der Eröffnung von «Tattoo Walhalla» oft weite Umwege in Kauf, um unbehelligt zum Bahnhof zu kommen. Das hilft nicht immer, wie ein alternativer Jugendlicher im Juni 2002 erfahren musste, der gemeinsam mit einem Freund von zwei stadtbekannten Rechten im Bahnhofsshop angepöbelt und attackiert wurde.

Zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten, erfordert Mut, sagen die alternativen Jugendlichen. Die Angst davor, von den Beamten nicht Ernst genommen zu werden und im Falle eines Strafverfahrens verstärkt zur Zielscheibe von Neonazis zu werden, ist durchaus nicht unbegründet, sagen die Berater von LOBBI e. V. Sie ermutigen die Opfer indessen, trotz dieser Ängste Strafanzeige zu stellen: um ihnen das Gefühl zu geben, ihr Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen zu können, um den Behörden eine beliebte Ausrede zu nehmen («Uns liegen aber gar keine Kenntnisse über eine rechte Szene vor, weil keine Anzeigen vorliegen. ») und um einer Zivilgesellschaft den Rücken zu stärken, die ihre Minderheiten allzu oft alleine lässt.

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