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Ernied­ri­gende Haftbe­din­gungen - Scharfe Kritik vom europä­i­schen Anti-­Fol­ter-­Ko­mitee

Grundrechte-Report 2008, Seite 55

Wer wissen will, wie gerecht eine Gesellschaft ist, so heißt es, der solle ein Gefängnis besuchen. Wie viel die hehren Prinzipien, die von Verfassungsrechtlern gerne referiert werden, konkret gelten, zeigt sich tatsächlich nirgends klarer als in einer solchen „totalen Institution“: Wo könnten die Voraussetzungen für die Behandlung eines Menschen als Subjekt schlechter (und also die Problematik der Menschenwürde präsenter) sein, als an einem Ort, an dem nahezu alle Lebensbereiche der Betroffenen fremdbestimmt und von staatlichem Zwang geprägt sind? Die Gefängnisse eines Landes machen auch anschaulich, wie umsichtig – oder leichtfertig – die jeweilige Gesellschaft von ihrer ultima ratio der Innenpolitik, dem faktischen Ausschluss einer Person aus ihrer Mitte, Gebrauch macht. Insofern bietet die Bundesrepublik Deutschland, ein Land mit 197 Justizvollzugsanstalten und einer stetig wachsenden Anzahl an Gefangenen, reichlich Anschauungsmaterial.

Von den rund 80.000 Menschen, die hierzulande gefangen oder „verwahrt“ sind, ist die größte Gruppe nicht etwa wegen Gewalttaten, sondern wegen Eigentumsdelikten inhaftiert. Die zweitgrößte Gruppe – über 9.500 Gefangene – sitzt wegen Drogendelikten ein, mehr als wegen Sexual- und Tötungsdelikten zusammen. Obwohl die Kriminalität in Deutschland seit Jahren rückläufig ist, landen heute mehr Menschen im Gefängnis als je zuvor – die Gerichte sind immer seltener dazu bereit, den Verurteilten eine Chance zur Bewährung zu geben. Die Vollzugsanstalten sind heute in fast allen Bundesländern überfüllt.

Wie es angesichts dieser Bedingungen um die menschenwürdige Behandlung von Inhaftierten in der Bundesrepublik bestellt ist, untersuchte kürzlich das Antifolterkomitee des Europarates, das Ende 2005 eine Reihe von „Orten der Freiheitsentziehung“ in Deutschland besuchte.

Die Grundlage für die unangekündigten Inspektionen durch das Komitee bildete die europäische „Konvention zur Verhinderung von Folter und erniedrigender Behandlung und Strafe.“ Die Konvention enthält auch eine Klausel, wonach das Antifolterkomitee seine Befunde erst dann der Öffentlichkeit mitteilen darf, wenn die betroffene Regierung zustimmt. So ist zu erklären, dass der aktuelle Bericht erst im April 2007 an die Öffentlichkeit gelangte: Die Bundesregierung hatte sich bis dahin gegen eine Veröffentlichung gesperrt. Nicht ohne Grund: Durch Indiskretionen aus dem Kreis des Komitees war zuvor durchgedrungen, dass etwa in der Untersuchungshaftanstalt in Hamburg „völlig inakzeptable Zustände“ vorgefunden wurden. In seinem ausführlichen Bericht erhebt das Antifolterkomitee teilweise schwere Vorwürfe.

Tagelange Fesselungen

So zeigt sich das Komitee entsetzt über die so genannten „Fixierungen“ in deutschen Gefängnissen, d.h. die Praxis, Gefangene mithilfe von Bändern oder Handschellen an Betten oder Pritschen zu fesseln. Vorübergehende Fesselungen sind zwar nach deutschem Recht nicht grundsätzlich verboten; ihre Notwendigkeit in bestimmten Situationen wird auch vom Antifolterkomitee nicht bestritten. Nach den Erkenntnissen des Antifolterkomitees wurden Strafgefangene in Deutschland jedoch teilweise bis zu sechs Tage lang „fixiert“. Akzeptabel seien allenfalls einige „Minuten, höchstens wenige Stunden.“

Im Jugendgefängnis Weimar-Ichtershausen, welches die internationalen Inspekteurinnen und Inspekteure als eines von drei Jugendgefängnissen für ihre Stichprobe ausgewählt hatten, wurde ihnen von einem Fall berichtet, der sich dort erst wenige Wochen zuvor zugetragen hatte. Ein 18jähriger Insasse war im September 2005 auf eine Matratze gefesselt worden. Dabei war er an Händen und Füßen mit Handschellen gefesselt worden, um „Selbstverletzungen zu verhindern“. Zudem zog ihn das Vollzugspersonal bis auf die Unterhose aus. Als die Gefängnisbediensteten bei einem späteren Kontrollgang bemerkten, dass der Gefangene uriniert und sich eingekotet hatte, schnitten sie dem 18jährigen die Unterhose vom Körper und spritzten ihn mit kaltem Wasser ab, um die Fäkalien zu entfernen. Aus den Gefängnisakten geht hervor, dass der Gefangene insgesamt 84 Stunden lang gefesselt blieb, wovon er 24 Stunden vollkommen nackt verbringen musste.

Mangel­hafter Schutz vor Gewalt

Mit besonderer Sorge registrierte das Antifolterkomitee, dass die Enge in den überbelegten Anstalten in den vergangenen Jahren zu einer weiteren Verschärfung der Gewalt unter den Gefangenen geführt hat. Die überaus dürftige Ausstattung mit Personal, die das Komitee in allen drei besuchten Jugendgefängnissen feststellen musste, sei für einen Schutz der Gefangenen völlig unzureichend. So stünden etwa in der Jugendstrafanstalt Hameln nachts nur zehn Bedienstete für die Aufsicht über fast 600 Gefangene zur Verfügung. In manchen Gebäudeteilen seien zur Nachtzeit überhaupt keine Vollzugsbediensteten mehr zugegen. In der Jugendstrafanstalt Weimar-Ichtershausen sei das Personal an Wochenenden derart reduziert, dass Besuche oder jegliche Aktivitäten, die über einen kurzen Hofgang hinausgingen, unmöglich seien. Die Gefangenen würden dort zweieinhalb Tage lang – von Freitagnachmittag bis Montagmorgen – in ihren Zellen sich selbst bzw. ihren Zellengenossen überlassen.

Baufällige und verdreckte Zellen

In mehreren der besuchten Haftanstalten kritisierte das Antifolterkomitee hygienische Mängel. Nirgends griff das Komitee jedoch zu so scharfen Formulierungen wie angesichts der Art und Weise, wie Abschiebehäftlinge in Hamburg untergebracht sind. Um die Ausländerinnen und Ausländer zu besuchen, die im Vorfeld ihrer Abschiebung inhaftiert sind, musste das Komitee sich in das Hamburger Untersuchungsgefängnis begeben – eine Einrichtung, in der Abschiebehäftlinge nach deutschen Recht eigentlich nichts verloren haben. Die Zellen, die im Hamburger Untersuchungsgefängnis dennoch für Abschiebehäftlinge abgestellt sind, seien sogar besonders kritisch gewesen, vermerkte das Antifolterkomitee: Die Möblierung war dürftig, die Räumlichkeiten waren baufällig und verdreckt („dilapidated and filthy“).

Männliche Abschiebehäftlinge seien in einem Korridor im Keller untergebracht gewesen. Ihre dortigen Zellen verfügten weder über Anschlüsse für warmes Wasser noch über Strom. Das Antifolterkomitee fand hier Zellen von teilweise nur 10 qm Grundfläche vor, in denen Personen zu dritt eingesperrt waren. Fernseher, Radiogeräte oder Brettspiele fehlten. Selbst der Zugang zu Lesestoff war für die Inhaftierten stark beschränkt. Die männlichen Abschiebehäftlinge blieben 23 Stunden am Tag ohne Beschäftigung in ihren unterirdischen Zellen eingeschlossen.

Unterdessen: Ein großer Teil der gewählten Politiker der Hansestadt Hamburg bemüht sich, wie derzeit auch ihre Kolleginnen und Kollegen in vielen anderen Bundesländern, um eine deutliche Verschärfung des Strafvollzugs und die Abschaffung eines von ihnen imaginierten, vermeintlichen „Hotelvollzuges“. Der schlichte Blick hinter Zellentüren lässt nicht nur auf das Elend der dort Inhaftierten blicken, sondern wahrlich auch tief in die Gesellschaft, die sich solche Zellen hält.

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