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Die fortge­setzte Einschrän­kung von Mitwir­kungs- und Klage­rechten im Umwelt­be­reich

Frank Schreiber

Grundrechte-Report 1998, S.227-232

Kundenorientierung in der Verwaltung ist das Gebot der Stunde. Im Bereich der Umweltverwaltung ist aber nicht jeder Bürger „König Kunde“: Die Verfahrensrechte der von einem umweltrelevanten Großprojekt Betroffenen, etwa Pläne und Genehmigungsunterlagen einsehen zu können oder mit Einwendungen gegen das Vorhaben gehört zu werden, werden bereits seit einiger Zeit kontinuierlich eingeschränkt. Ihren vorläufigen Höhepunkt hat diese Entwicklung mit der zweiten Generation der „Beschleunigungsgesetze“ erreicht, mit denen die Vorschläge der sogenannten „Schlichter“-Kommission des Bundeswirtschaftsministeriums umgesetzt wurden. In einem „unseriösen Schnellverfahren“ (so MdB Michaele Hustedt) wurde das „Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz“, das „Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren“ und das „sechste VwGO-Änderungsgesetz“ am 27. Juni 1996 vom Bundestag verabschiedet. Die Regelungen sind im Herbst 1996 bzw. am 1. Januar 1997 in Kraft getreten.

Die verfassungsrechtliche Stellung von Mitwirkungs- und Klagerechten im Umweltbereich

Öffentlichkeitsbeteiligung ist kein Geschenk aus partizipationseuphorischen sozialliberalen Zeiten. Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren sind vielmehr zum Schutz der Grundrechte der Betroffenen unentbehrlich. In seinem „Mülheim-Kärlich“-Beschluß vom 20. Dezember 1979 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, „daß Grundrechtsschutz weitgehend durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist [… und daß] das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG auch die Anwendung der Vorschriften über das behördliche und gerichtliche Verfahren bei der Genehmigung von Kernkraftwerken beeinflußt. [… Es] kann davon ausgegangen werden, daß dazu auch die Vorschriften über die Beteiligung klagebefugter Dritter am Genehmigungsverfahren gehören“. Die Richter Simon und Heußner wurden in ihrem abweichenden Votum noch deutlicher: „Wahrscheinlich läßt es sich nur über das Verfahrensrecht verhindern, daß der Bereich zwischen Recht und Technik zum juristischen Niemandsland wird.“ Ferner enthält das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) strukturelle Anforderungen an Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nach dem Grundsatz der Fairneß des Verfahrens und der Garantie effektiven Rechtsschutzes. Aus dem Rechtsstaatsprinzip wird insbesondere eine grundsätzliche Begründungspflicht von Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen abgeleitet.

Aus Art. 20a GG als „ökologischem Verschlechterungsverbot“ wird auch eine Grenze für den Abbau von Beteiligungsrechten abgeleitet. Zulassungsverfahren müßten die Gewähr dafür bieten, daß in der Kommunikation zwischen gefährdetem Bürger und Behörde alle für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte ermittelt und berücksichtigt werden.

Beschleunigung ohne Bürgerinnen und Bürger

Der oben beschriebene Verfassungsauftrag ist in den drei neuen Beschleunigungsgesetzen nicht mehr zu erkennen. Die Zulassung von umweltrelevanten Projekten mittels Plangenehmigung, einer Art Planfeststellung „light“ ohne Öffentlichkeitsbeteiligung, wird erheblich erweitert. Bei ihren Einwendungen im Rahmen der „normalen“ Planfeststellung müssen sich die Betroffenen beeilen, denn Einwendungen können nur bis zwei Wochen nach Ende der Planauslegung erhoben werden, wobei es nunmehr ausgeschlossen ist, erst im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen, daß das Vorhaben den Kläger in seinen Rechten verletzt. Diese auf den ersten Blick nicht besonders schwerwiegende Anordnung einer „materiellen Präklusion“ erweist ihre Tücken bei der bei Großprojekten üblichen „Salamitaktik“, bei denen die Betroffenen durchaus nicht immer überblicken können, in welchem Verfahren sie ihre Rechte geltend machen müssen, wie ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. April 1997 (NuR 1997, S. 504) illustriert. Die Kläger wandten sich gegen einen Planfeststellungsbeschluß für einen Ausbauabschnitt der Bahnstrecke Hamburg-Berlin. Sie rügten unter anderem unzureichende Lärmschutzmaßnahmen, ohne jedoch Einwendungen zu erheben, da sie bereits in einem Verfahren zu einem anderen Teil_abschnitt entsprechende Einwendungen erhoben hatten. Das Gericht bestätigte die Anwendung der Präklusionsvorschrift. Selbst bei einer von den Klägern behaupteten „greifbaren Gesetzwidrigkeit des Beschlusses“ könne keine Ausnahme gemacht werden. Es sei „unvereinbar mit dem Zweck der Präklusionsvorschrift, den Fall der fehlerhaften Ermittlung und Würdigung _eines solchen Sachverhalts aus dem Anwendungsbereich […] auszunehmen“. „Die Ausschlußwirkung [wäre] auch dann nicht verfassungswidrig, wenn sie im konkreten Fall zum Ausschluß grundrechtsrelevanter Einwendungen führen würde.“ Kurz: Selbst Grundrechtsverletzungen werden dann vom Gericht nicht mehr geprüft.

Im Bundes-Immissionsschutzgesetz war die „Zulassung vorzeitigen Beginns“ (jetzt: § 8 a BImSchG) früher auf die Änderung von bereits genehmigten Anlagen beschränkt; nunmehr ist auch die Neuerrichtung und sogar der Probebetrieb ohne Genehmigungsbescheid möglich. Damit erweitert die Novelle die Möglichkeit, vor Abschluß des Verfahrens und damit auch ohne Beteiligung der Betroffenen vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Beteiligungsrechte bei der Änderung von Anlagen wurden bereits 1993 stark eingeschränkt. Mit der engen Fassung der „wesentlichen Änderung“ entfällt in vielen Fällen jetzt sogar das Genehmigungsverfahren. Hier reicht inzwischen häufig eine bloße Anzeige der Änderung bei der Behörde ohne Öffentlichkeitsbeteiligung.

Verstößt die Behörde gegen die verbleibenden Mitwirkungsrechte im Verwaltungsverfahren, so wird dies künftig in vielen Fällen folgenlos bleiben: § 45 VwVfG ermöglicht die Heilung bestimmter Formfehler (z. B. eine fehlende Anhörung eines Beteiligten oder eine fehlende Begründung) neuerdings bis zum Abschluß des gerichtlichen Verfahrens. Die Neufassung des § 46 VwVfG erweitert den Bereich gänzlich unbeachtlicher Verfahrensverstöße. Mängel bei der Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen, z. B. der in Einwendungen vorgebrachten Belange der Betroffenen, führen nur dann zur Aufhebbarkeit eines Planfeststellungsbeschlusses, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind, bei erheblichen Mängeln darf mittels Planergänzung nachgebessert werden. Diese umfangreichen Heilungs- und Unbeachtlichkeitsvorschriften entwerten so das Verwaltungsverfahren, das ja eigentlich die Gewähr der Richtigkeit der Entscheidung durch einen formalisierten Weg der Entscheidungsfindung sicherstellen soll.

Weitere Hilfestellungen für eine Behörde, die Verfahrensvorschriften mißachtet hat, bietet die Verwaltungsgerichtsordnung im gerichtlichen Verfahren. Das Gericht soll auf Antrag die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, die Initiative zu derartigen Heilungsbemühungen darf sogar vom Gericht ausgehen. Eine derartige gesetzlich angeordnete Unterstützung erfahren Klägerinnen und Kläger nicht, daher wird bereits vom „parteiischen Verwaltungsrichter“ gesprochen.

Keine der genannten Vorschriften ist – für sich allein betrachtet – offensichtlich verfassungswidrig, die Tragweite des Abbaus der Mitwirkungs- und Klagerechte zeigt sich erst im Zusammenspiel der Beschleunigungsgesetze, daher gilt einmal mehr: Liberty dies by inches.

Hoffen auf Europa?

Sand im Getriebe der Beschleuniger ist das europäische Umweltrecht: So garantieren die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und die IVU-Richtlinie der EG ein Mindestmaß an Öffentlichkeitsbeteiligung und behördlicher Kontrolle. Ein Recht auf den Zugang zu behördlichen Umweltinformationen enthält die Umweltinformationsrichtlinie. In Deutschland befolgt man jedoch nur widerwillig das gerne als „besatzungsrechtsähnlich“ diffamierte EG-Umweltrecht. Der bereits erwähnte § 8 a BImSchG ist europarechtswidrig, soweit der Probebetrieb ohne Genehmigung zugelassen wird. Die Plangenehmigung im Fernstraßenrecht verstößt nach verbreiteter Auffassung gegen die UVP-Richtlinie. Auf subtile Art wird das UVP-Recht schließlich über die Anwendung der genannten Heilungs-, Unbeachtlichkeits- und Präklusionsvorschriften ausgehebelt. Bezweifelt werden darf daher, daß angesichts der massiven Abwehrhaltung von Bundesregierung und Teilen der bundesdeutschen Justiz eine Aufwertung der Mitwirkungsrechte für die „Mobilisierung des Bürgers für den Umweltschutz“ gelingt, die von seiten der EG mit den Beteiligungsrechten des europäischen Umweltrechts ausdrücklich bezweckt wird.

Die Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger erfüllen bislang nicht die hohen Erwartungen an die Funktion der Partizipation in der Zivilgesellschaft. So führte die Öffentlichkeitsbeteiligung weder zu einer Emanzipation oder Politisierung der Bevölkerung, noch haben sich die Behörden den Sachverstand der Bürgerinnen und Bürger im Sinne einer Kontroll- und Effektivierungsfunktion der Mitwirkung in größerem Umfang zunutze gemacht. Gleichwohl lohnt es sich, auch unter diesen schlechten Vorzeichen für Mitwirkungsrechte zu streiten, vielleicht gerade wegen ihrer scheinbaren Dysfunktionalität im beschleunigten „schlanken Staat“. Bernhard Schlink hat darauf hingewiesen, daß jeder Steuerung der technischen Entwicklung durch Recht eine aufhaltende, „katechontische“ Funktion zukommt. Sie schafft Raum in Politik und Gesellschaft, um die avisierte Entscheidung noch einmal zu überdenken. Die Fälle Wyhl, Kalkar und Wackersdorf haben gezeigt: „Entschleunigung“ zahlt sich am Ende aus, bei hohen Geschwindigkeiten wird das Wenden gefährlich!

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