Themen / Europa / Internationales

Humanis­ti­schere Europäische Union?

01. Dezember 1999

Diskussionsthema am Vorabend der HU-Delegiertenkonferenz in Nürnberg

Mitteilung Nr. 168, S. 89

„Europa in schlechter Verfassung“ so lautete das Einstiegsthema am Vorabend der HU- Delegiertenkonferenz in Nürnberg. Die referierende HU-Beirätin Claudia Roth, MdB und Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses warb eindringlich für einen Europäischen Verfassungsdiskurs – auch und gerade aus bürgerrechtlicher Sicht. Der frühere UNO-Botschafter und HU-Mitglied Dr. Hans Arnold moderierte Vortrag und Diskussion: Immer mehr Entscheidungen finden auf europäischer Ebene statt; deren demokratische Standards sind jedoch nur schwach entwickelt und wenig verfaßt. Eine demokratische Grundrechtecharta für Europa muß aber erst noch entwickelt und durchgesetzt werden. Kernpunkte von Vortrag und Diskussion waren die fehlende Gewaltenteilung in der EU, insbesondere die rudimentäre Kontrolle durch das Parlament, sowie der überfällige Handlungsbedarf im Hinblick auf eine liberale europäische Innen- und Rechtspolitik. Claudia Roth belegte dies besonders eindringlich am Beispiel der stark unterentwickelten Flüchtlings- und Migrationspolitik innerhalb der EU. Als Resümee der Diskussion ergab sich, daß eine EU-Grundrechtecharta von einer breiten europäischen Bewegung eingefordert werden müßte. Sie sollte Ergebnis eines gründlichen Diskussions- und Aneignungsprozesses sein: „Dies stellt eine große Herausforderung für die Bürgerrechtsbewegung dar – und damit auch für die Humanistische Union …“ , so Claudia Roth, denn die Voraussetzungen einer demokratischen Verfaßtheit Europas lassen sich letztlich nur aus der innenpolitischen Debatte herausbilden und: der Weg zu einer verfaßten Europäischen Union ist noch lang… Die Qualität einer wirksamen EU-Grundrechtecharta hängt auch davon ab, daß: „…wir auf nationaler Ebene schaffen, was wir von Europa wollen und verlangen.“ Für die Bürgerrechtsarbeit hierzulande könnte sich hieraus die Chance ergeben, zugleich eine „Renaissance der Grundrechte“ einzufordern, eine neue Wertigkeit der Grundrechte. Eine neue Aufgabe für die HU mit Europäischer Perspektive und teils altbekannten Themen? Die These Roths lautete: „…Wer von den Grundrechten des Grundgesetzes nicht begeistert ist, wird sich für solche Grundrechte in Europa auch nicht begeistern lassen. Wenn wir hier bei uns erfolglos sind, werden wir auch in Europa keinen Erfolg haben…“ Dieses Thema sollte die Delegiertenkonferenz der HU weiter begleiten. Einer der Schwerpunkte soll eine verstärkte europaweite Vernetzung der Bürgerrechtsarbeit werden, beschlossen die Vertreter der Orts- und Landesverbände später. Deshalb wurde das Amt einer Beauftragten für Europa und die internationale Zusammenarbeit im HU-Vorstand eingerichtet. Gisela Goymann wird diese Aufgabe übernehmen.

Tobias Baur

nach oben