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Bericht vom Verbandstag

Mitteilungen09/2002Seite 53-54

Mitteilungen Nr 179, S.53-54

Die beiden Themen Menschenwürde und Sicherheitsgesetze bestimmten das HU-Wochenende vom 21. bis 23. Juni in Düsseldorf. Am Freitag referierte die HU-Beirätin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: „Die zerschützte Verfassung – Grundrechte auf dem Weg in die Verstaatlichung“. Dieter Schürmann vom LKA-NRW merkte Kritisches aus Sicht der Polizeipraxis an, und das kundige Publikum diskutierte lebendig: Schon der Lauschangriff zeige dass zu schnell und zu häufig überwacht wird. Der Richtervorbehalt werde oft nicht beachtet, auch gebe es bis dato kaum Zahlen. Demnach sei die Hälfte der Belauschten nicht betroffen, fast die Hälfte wurde nicht benachrichtigt, so Burkhard Hirsch. Weitere Beispiele, wie das lange nicht besetzte Kontrollgremium in NRW oder die voreilige Einführung des IMSI-Catcher deuten darauf, dass das Parlament sein Kontrollrecht mangelhaft wahrnehme. Die Referentin appellierte an die Verantwortung der Abgeordneten, nötig sei auch die Unterstützung gestalterischer Minderheiten im Parlament: Eine wichtige Aufgabe für Bürgerrechtsorganisationen! Am Samstag referierte Jürgen Kühling vom HU-Vorstand zum Thema „Menschenwürde“ (siehe S. 49 ff.). Vortrag und Debatte zu Schutzpflichten des Staates lieferten wichtige Anregungen zur Arbeit der HU, auch weil sich neue Bündnisse im Interesse der Bürgerrechte ergeben könnten. In der Diskussion wurden Beispiele genannt, so ein „strategisches“ Bündnis des LV Berlin mit engagierten Kirchenleuten in der AG „Leben mit Obdachlosen“. Debattiert wurden die Grenzen staatlicher Schutzpflicht und des weiten Begriffs der Menschenwürde. Weil Grundrechtseingriffe oft in der konkreten Anwendung liegen, wurde für die Bürgerrechtsarbeit ein pragmatischeres Herangehen im Einzelfall gefordert. Till Müller-Heidelberg destillierte aus der Diskussion, dass „Menschenwürde“ eine Chance bietet, aus der argumentativen Verteidigungsposition herauszukommen, andererseits besteht die Möglichkeit, je nach Sachfrage geeignete Verbündete zu suchen. Auch Jürgen Kühling plädierte für Ad-hoc-Bündnisse: Unabhängig von der rechtsdogmatischen Einordnung könne die Schutzpflicht ein taugliches Vehikel für die Bürgerrechtspolitik sein, dabei müsse aber gut bedacht werden, welches Instrument einem Thema angemessen sei. Nach seiner Einschätzung steuere die HU hierbei einen guten Kurs. Zum Anwendungsfall „Menschenwürde von Ausländern in Deutschland“ referierte Volker Maria Hügel (Pro Asyl) Fälle von Diskriminierung und Chancenlosigkeit – auch Armut verletzt die Menschenwürde. Das Zuwanderungsrecht unterstützt das vorherrschende Konzept der Assimilation und setzt auf Abschreckung durch Verschärfungen der Asylgesetze. Dagegen wirke jede Befristung eines Aufenthalts oder Begrenzung des Familiennachzugs als Integrationshindernis für MigrantInnen und Flüchtlinge. Diskriminierend kann auch die schroffe Handhabung von Gesetzen wirken, z.B. die Verwaltung durch Polizeibehörden, die für Sicherheit und Abschiebungen zuständig sind. Ähnlich wirkt eine „juristisch verbrämte“ Verwaltungsbürokratie, die z.B. ärztliche Versorgung nur bei akuten Krankheiten gewährt. Unwürdig sind auch die langen Verfahren und die Zustände in Flüchtlingslagern. Nachmittags berichtete Prof. Dr. Wilhelm Hering aus dem AK Gentechnik zu „Menschenwürde und Bioethik“. Erörtert wurden Zwischenergebnisse zu den Themen: Menschenwürde, Präimplantations- und Pränataldiagnostik (PID bzw. PND), Gentests sowie Forschungsfreiheit. Eine Grundfrage für Menschenwürde sind die verschiedenen Ansatzpunkte zur Entstehung von „Leben“. Zum steigenden Interesse an therapeutischer Forschung und Grundlagenforschung gibt es den Vorschlag, eine internationale Stiftung als Träger einzurichten. Die Diskussion thematisierte Abgrenzungsfragen zwischen „Würde“ und „Leben“, dabei wurde auch auf die sozialen Zwänge für Frauen und die vorhandenen ökonomischen Interessen abgestellt und die Forderung nach sorgfältigen Präzisierungen erhoben. Schließlich wurde zusammengedacht, was sich aus der vorangegangenen Diskussion zur Menschenwürde ergab, etwa: Das Recht, bzw. die Chance, Respekt zu erwarten. Oliver Pape präsentierte die Neugestaltung der HU-Internetseite, die nach Themenbereichen, Pressemitteilungen und verbandsinterner Kommunikation aufgebaut werden soll. Am Sonntag eröffnete der Vorsitzende die Aussprache zwischen Bundesvorstand, Ortsverbänden und Mitgliedern. Bei den Aktivitäten des Vorstands wurde das harmonische Arbeitsklima im Vorstand betont, der nun auch via Internet kommuniziert. Hervorgehoben wurde die erfreuliche Mitgliederentwicklung: Zuletzt gab es – nach langjährigen Verlusten von über 40 Mitgliedern – gleich viele Aus- wie Eintritte. Auch sonst prägten die bürgerrechtlichen Folgen der „Schily-Pakete“ die Arbeit. Vertreten durch den Vorsitzenden hatte die HU bei der Gesetzesanhörung Protest erhoben. Auch wurden Resolutionen der HU von anderen Organisationen übernommen und die Bundesgeschäftsstelle koordinierte ein Bündnis von 24 Organisationen – im Ergebnis leider erfolglos. Derzeit wird zu diesem Komplex das HU-Buch „Innere Sicherheit als Gefahr“ aufgelegt. An den Bundestag gingen weitere Stellungnahmen der HU, so ein Memorandum von Ulrich Klug von 1986, das Straffreiheit für Ärzte fordert, die auf ernsthaftes Verlangen Sterbehilfe leisten. Derzeit geplant ist ein „Berliner Gespräch zu Staat, Religion, Weltanschauung“ Anfang November. Weitere Schwerpunkte ergaben sich aus dem jährlichen Bürgerrechtstreffen mit GHI, Komitee und Liga, z.B. ein Memorandum an die zu wählenden neuen Abgeordneten und ein Bildungskongress im Frühjahr 2003. Moderiert von Fredrik Roggan gab es eine Aussprache zum Vorstandsbericht. Thematisiert wurden u.a. die Themen: Altern, Frieden, das gescheiterte Antidiskriminierungsgesetz oder Bildung. Weitere Berichte und Themen lieferte die Aussprache zwischen den Landes- und Ortsverbänden zur PISAStudie und Kunst in Psychiatrie und Gefängnis. Besprochen wurde auch die Notwendigkeit verbesserter Öffentlichkeitsarbeit, einige Anwesende zeigten Interesse an einer Initiative unter Federführung von Notker Bakker. Das Schlusswort Till Müller-Heidelbergs fasste zusammen: Immer wieder zeigt sich wie vielgestaltig die HU ist, besonders erfreulich sind die Diskussionen auf hohem Niveau.

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