Themen / Rechtspolitik

Bürger­rechts­a­r­beit in Zeiten der großen Koalition

15. Dezember 2005

Mitteilungen Nr. 191, S.1-2

Die große Koalition ist gebildet, die Vereinbarungen dazu zwischen SPD und CDU/CSU liegen auf dem Tisch. Was bedeuten sie für unsere Arbeit in den nächsten vier Jahren? Zunächst sind die Festlegungen der Koalitionsvereinbarungen nicht einfach die üblichen politischen Ankündigungen. Hinter ihnen steht im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit für notwendige Verfassungsänderungen. Auch im Bundesrat fehlen für die Zweidrittelmehrheit zur Verfassungsänderung nur die Stimmen der FDP in den jeweils schwarz-gelb regierten Bundesländern. Der Kampf um Verteidigung und Erweiterung der Grundrechte kann deshalb sehr schnell ein Kampf gegen den Abbau der im Grundgesetz garantierten Rechte und rechtsstaatlichen Standards werden.

Seit dem 11. September 2001 und den darauf folgenden Antiterrorgesetzen hat sich der staatliche Sicherheitsbegriff stark verändert. Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit werden aufgehoben. Diese Veränderungen werden meines Erachtens am deutlichsten am Luftsicherheitsgesetz, das am 15. Januar 2005 in Kraft getreten ist. In § 14 Absatz 3 erlaubt es der Bundeswehr den Abschuss eines Flugzeuges, wenn davon auszugehen ist, dass das Flugzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll. Zum ersten Mal wird das Leben unbeteiligter Dritter zur Gefahrenabwehr geopfert. Der Bundesminister der Verteidigung, der den Befehl zum Abschuss gibt, muss Leben gegen Leben abwägen. Auch die Trennung von polizeilichen und militärischen Aufgaben wird bei dieser Gelegenheit aufgegeben. Der Einsatz der Bundeswehr in diesem Fall wirft zudem die Frage auf, ob der Einsatz nach den Vorgaben von Art. 87 a Grundgesetz verfassungsgemäß ist. Danach dürfen Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit es das Grundgesetz ausdrücklich zulässt. Diese im Luftsicherheitsgesetz deutlich werdenden Tendenzen der Aufgabe von wesentlichen Grundrechtspositionen unbeteiligter Dritter, hier Leben und Menschenwürde, der zunehmende Einsatz der Bundeswehr im Inneren, die Vermischung von polizeilichen und militärischen Befugnissen, die Zentralisierung der Entscheidungsgewalt bei der Gefahrenabwehr unter Berufung auf die Terrorbekämpfung sind die wesentlichen zu beobachtenden Tendenzen der neuen Sicherheitspolitik. Hinzu kommt an anderer Stelle noch die Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten.

Das Luftsicherheitsgesetz wird gegenwärtig vom Bundesverfassungsgericht auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft. Nach der mündlichen Verhandlung am 9. November 2005 wird eine Entscheidung im März nächsten Jahres erwartet. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir werden nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz prüfen, ob und inwieweit verfassungsrechtlicher Regelungsbedarf besteht.“

Daran wird deutlich, dass die Koalition bereit ist, ihre Sicherheitspolitik unter Verletzung bzw. Einschränkung und Rücknahme von Grundrechten fortzusetzen. Dass es dabei nicht um eine vereinzelte Tendenz, sondern um einen grundlegenden Zug künftiger Sicherheitspolitik geht, macht auch eine Reihe anderer wichtiger Vereinbarungen deutlich. Damit Bund und Länder weitergehende rechtliche Befugnisse für eine gemeinsame Bekämpfung des Terrors erhalten, ist beabsichtigt,

  • schnellstmöglich ein Gesetz zur Errichtung einer gemeinsamen Datei von Polizeibehörden und Geheimdiensten (Anti-Terror-Datei) zu schaffen. Zurückgegriffen werden soll dabei auf einen Vorschlag der Innenministerkonferenz. Dieser sieht eine Volltextdatei und keine Indexdatei vor. Gespeichert werden sollen Namen und Alias-Namen von Verdächtigen, Alter, Anschrift, Bankverbindungen, Telekommunikation und Unternehmen, mit denen sie in Verbindung stehen. In dieser Datei würden die Erkenntnisse von Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern, der Verfassungsschutzbehörden, des Militärischen Abschirmdienstes, des Bundesnachrichtendienstes und der Zollkriminalämter zusammenkommen.
  • dem Bundeskriminalamt Präventivbefugnisse zu übertragen
  • die Regelungen des Datenschutzes insoweit zu überprüfen, als sie einer „effektiven Bekämpfung des Terrorismus und der Kriminalität“ entgegenstehen.

Der repressive Grundzug der vereinbarten Sicherheitspolitik findet sich bei den geplanten Änderungen des Strafrechts. Der Schutz vor gefährlichen Straftätern soll verbessert werden durch Änderungen im Bereich des Maßregelvollzugs. Die nachträgliche Sicherheitsverwahrung soll auch bei Straftätern verhängt werden können, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurden. Auch soll die Kronzeugenregelung wieder eingeführt werden. Es wird geprüft, ob Absprachen im Strafrecht geregelt werden sollen. Über die geplante grundlegende Reform des Sexualstrafrechts findet sich im Koalitionsvertrag noch wenig. Es steht aber zu befürchten, dass es nicht um eine Liberalisierung geht, sondern dass eine Verschärfung geplant ist.

Was ist jenseits der Sicherheitspolitik für die Themenfelder unserer Bürgerrechtsarbeit vereinbart worden? Die EU-Gleichbehandlungsrichtlinien sollen, das ist überfällig, in nationales Recht umgesetzt werden. Nachdem die Opposition der letzten Legislaturperiode mit Kräften dagegen angekämpft hat, wird es nun darauf ankommen, wie auch wir uns für den vorliegenden Gesetzentwurf einsetzen werden. Ähnliches gilt für das Thema Patientenverfügung und Rechtsberatung. In der Koalitionsvereinbarung heißt es nur, dass die Diskussion über eine gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung fortgeführt und abgeschlossen wird. Wir hatten uns für die Regelungen zur Patientenverfügung, die das Betreuungsgesetz vorsah, stark gemacht. Es hätte die Linie unserer Patientenverfügung weitergeführt. Ob die schon diskutierten Regelungen nun kommen und wir diesen Teil unserer Arbeit fortführen können mit Aktionen zur Liberalisierung von § 216 StGB, bleibt abzuwarten. Nichts zu erwarten ist von der geplanten Reform der Rechtsberatung. Nach der Koalitionsvereinbarung soll sie die Qualität der anwaltlichen Beratung sichern. Damit wären Forderungen, wie sie Helmut Kramer diesbezüglich auch in unserem Namen erhebt, keineswegs abgedeckt.

Bürgerrechtsarbeit in Zeiten der großen Koalition heißt, schon wegen der Mehrheitsverhältnisse, dass es auf Bürgerrechtler/-innen und Bürgerrechtsbewegungen ankommt. Dabei ist zu erwarten, dass nun versucht wird, die seit langem angekündigten Verschärfungen und Restriktionen im Bereich der Sicherheitspolitik umzusetzen. Wir werden dem nur erfolgreich entgegentreten können, wenn wir beginnen, uns auch wieder stärker außerparlamentarisch zu organisieren.

Weiterführende Informationen:

Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD unter http://www.cducsu.de/upload/koavertrag0509.pdf

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