Themen / Frieden

Wehrpflicht - noch zeitgemäß?

15. Dezember 1996

Mitteilungen Nr. 156 (Heft IV/1996), S. 108/109

Diese Themenfrage wurde auf einer Diskussionsveranstaltung der Müncher HUMANISTISCHEN UNION und des Münchner Friedensforums mit den Referenten Universitätsprof. Dr. Erich Küchenhoff (Münster), Pfarrer Gerhard Heinz, Beauftragter der ev.-luth. Kirche Bayern für Kriegsdienstverweigerung und Dieter Brosche vom „Darmstädter Signal“ einmütig verneint.

Zur allgemeinen Begründung fanden die 14 Punkte (Vorlage Pfr. Heinz, siehe Kasten) weitgehende Zustimmung. In der speziellen Auseinandersetzung wurde die These widerlegt, daß die bisher fast nur in Fachkreisen bekannten sog. neuen Aufgaben der Bundeswehr „out of (NATO-)area“ von der Themafrage nicht berührt würden, weil Wehrpflichtige dabei gar nicht eingesetzt würden. Zum einen würden gruppendynamische Einwirkungen von Vorgesetzten und Kameraden, sich auch als Wehrpflichtiger doch freiwillig zu Einsätzen wie Somalia, Adria und Bosnien mit durchaus kriegerischem Charakter außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung zu melden, auch von Vertretern der Bundeswehr durchaus bestätigt. Zum andern sei ganz offen in alle Bundeswehrplanung die Tatsache einbezogen, daß sich mehr als die Hälfte der Berufs- und Zeitsoldaten zu diesen Dienstformen erst während ihrer Wehrpflichtzeit zu melden pflegen, weshalb die Wehrpflicht ganz bundeswehroffiziell als Voraussetzung für den „Aufwuchs“ der als notwendig angesehenen Anzahl von Berufs- und Zeitsoldaten angesehen wird.

Vor allem könne auch der Charakter der Wehrpflicht selbst von dem gegenwärtigen tiefgreifenden Wandel von Aufgaben und Aufbau der Bundeswehr nicht unberührt bleiben. Denn dieser Wandel widerspräche gerade dem Kern herkömmlicher Wehrpflicht-Begründungen als demokratisches und nationales Volksaufgebot zur Verteidigung von Volk und Heimat gegen drohende fremde Interventionen und Unterjochung. Ganz offiziell würden die neuen Schwerpunktaufgaben, nämlich als „Gemeinsame Krisenbewältigung in und für Europa“, als „Europäisches Krisenmanagement“ im Rahmen einer „Neuen NATO“ o.ä. umschrieben. Ganz offiziell seien dafür „Krisenreaktionskräfte“ (KRK) und ein „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) im Aufbau, die von den nur noch mehr oder weniger nominell auf Landes- und Bündnisverteidigung bezogenen sogen. „Hauptverteidigungskräften“ unterschieden werden.

Diese neuen Aufgaben und neue Strukturen seien daher auch mit der den Rahmen der grundgesetzlichen Wehrpflicht präzisierenden (grundgesetzlich ausdrücklich festgelegten) Begrenzung der Aufgaben der Streitkräfte auf Landes- (einschließlich Bündnis-)Verteidigung ebensowenig vereinbar wie sie etwas mit ihren vom Grundgesetz vorgesehenen weiteren polizeilichen Aufgaben im inneren Notstand und zum Katastrophenschutz zu tun haben. Auch werden sie weder vom feierlichen Gelöbnis noch von dem ausdrücklich wiederum auf die Landesverteidigung beschränkten strafrechtlichen Schutz von Aufgaben der Bundeswehr (Besonderer Teil des StGB § § 109-109k, 5. Abschn. „Straftaten gegen die Landesverteidigung“, insbesondere gegen Störpropaganda, Sabotage und fremde Nachrichtendienst) erfaßt.

Eine Wehrpflicht zur Erfüllung verfassungswidriger Aufgaben wäre ein Widerspruch in sich (angesichts der aller Staatsgewalt von Art. 1 III und 20 III GG und der aller militärischen Befehlsgewalt von § 10 IV Soldatengesetz noch einmal vorgeschriebenen Rechts- und Verfassungsbindung).

Eine Rechtfertigung ergibt sich auch nicht aus sog. Aufträgen der NATO, diese ist ein reines Verteidigungsbündnis; ihre Rechtsgrundlagen erlauben keine Intervention, zu welchen Zwecken und in wessen Auftrag oder Namen auch immer.

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