Themen / Innere Sicherheit

Der "Krieg gegen den Terror" im Kampf gegen den Rechts­s­taat?

28. August 2006

Bundeskabinett verabschiedet Entwurf eines Terrorismusbekämpfungs-Ergänzungsgesetzes.

Mitteilungen Nr. 194, S. 6-8

Darf man Behörden, deren Praktiken gegenwärtig Gegenstand eines Untersuchungsausschusses sind, die möglicherweise in die Entführung deutscher Staatsangehöriger verstrickt sind, mit zusätzlichen Schnüffelbefugnissen ausstatten? Behörden, die außerdem verdächtig sind, sich in schwerwiegender Weise gegen das Folterverbot vergangen zu haben, indem sie „zurechtgefolterte“ Gefangene in ausländischen Folterverliesen vernahmen? Man darf, sagt die Bundesregierung mit ihrem Kabinettsbeschluss vom 12. Juli dieses Jahres.

Mit dem entsprechenden Beschluss nahm die Regierung den Entwurf eines Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes (TBEG) aus dem Innenministerium zur Kenntnis. Der Gesetzentwurf sieht nicht nur vor, die Geltungsdauer der mit dem sog. „Zweiten Otto-Paket“ (dem TBG) eingeführten Befugnisse um fünf Jahre zu verlängern, die Geheimdienste sollen zur Terrorismusbekämpfung zukünftig auch Auskünfte bei Banken, Luftfahrt-, Post-, Telekommunikations- und Teledienstunternehmen zur Aufklärung solcher verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Inland einholen dürfen, die die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördern. Zu diesem Zweck soll auch der IMSI-Catcher – unter im Übrigen vereinfachten Voraussetzungen – eingesetzt werden dürfen. Neben den Polizeien sollen nun auch die Geheimdienste die Ausschreibung von Personen zur europaweiten – verdeckten! – Registrierung im Schengener Informationssystem (SIS) zur Abwehr von erheblichen Gefährdungen für die innere oder äußere Sicherheit veranlassen können. Die weiterhin geplante Möglichkeit zur Auskunft über Bankdaten einschließlich der Information über Geldbewegungen soll wegen der anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Befugnissen nach dem Kreditwesengesetz zurückgestellt werden. Die Befugnis zur zollamtlichen Sicherstellung bei Geldwäscheverdacht soll auf Fälle des Terrorismusfinanzierungsverdachts übertragen werden. Und schließlich sollen die Schlapphüte aus Köln (Bundesamt für Verfassungsschutz und MAD) und Pullach zu einem automatisierten Abruf von personenbezogenen Daten aus dem Zentralen Fahrzeugregister des Kraftfahrtbundesamtes berechtigt werden. Die Regelungen sollen erneut fünf Jahre gelten und einer Evaluation unterzogen werden, diesmal unter Mitwirkung eines wissenschaftlichen Sachverständigen.

Die Kritik der Humanistischen Union setzt bei letztgenanntem Punkt an: Eine Evaluation war bereits beim jetzt auslaufenden TBG vorgesehen. Ein Evaluationsbericht, der diesen Namen auch verdient, liegt für die jetzt auslaufenden Befugnisse nicht vor. Stattdessen meint das Kabinett, dass ein eher als Tätigkeitsbericht der verschiedenen Geheimdienste zu lesender „Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes“ ausreiche, um die Erforderlichkeit der Ermächtigungen zu belegen. An einer Evaluation, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügte, etwa einer vorherigen Bestimmung des (unabhängigen!) Trägers der Untersuchung, dem Evaluationsverfahren und der zu verlangenden Datenbasis, fehlt es dagegen völlig. Die Humanistische Union hat das neue Gesetzgebungsverfahren deshalb insgesamt als unseriös kritisiert (Presseerklärung vom 9.7.2006). Mit dem vorliegenden Bericht der Bundesregierung kann die Verhältnismäßigkeit der neuen Befugnisse überhaupt nicht eingeschätzt werden. Folglich können sich auch die Abgeordneten des Bundestages bei der für das Ende des Jahres anstehenden Abstimmung kein Urteil darüber bilden, ob die zu verlängernden Befugnisse mit Verfassungsgrundsätzen vereinbar sind oder nicht. Eine parlamentarische Abstimmung gerät so zum Blindflug. Das gilt erst recht deswegen, weil noch nicht einmal der Erfahrungsbericht im Bundestag beraten wurde.

Erheblichen Bedenken begegnet der gegenwärtig diskutierte Entwurf auch unter dem Gesichtspunkt der Normenklarheit. Dieser Grundsatz besagt im Wesentlichen, dass sich aus Eingriffsermächtigungen klar und für Bürger erkennbar ergeben muss, welche Voraussetzungen vorliegen müssen und welchen Umfang die Beschränkung von Grundrechten haben. Dieser Anforderung genügt die neue Regelung in weiten Teilen nicht. Mitunter sind die neuen Regelungen selbst für Kenner des Geheimdienstrechts nahezu unverständlich (siehe unten). Erst im Jahr 2004 hatte das Bundesverfassungsgericht eine ähnlich gewundene Vorschrift aus dem Außenwirtschaftsgesetz für normenunklar und damit verfassungswidrig erklärt. Gelernt haben die Verfasser des vorliegenden TBEG-Entwurfs aus dieser Entscheidung offenbar wenig.

Auch in inhaltlicher Hinsicht verdient der Entwurf bürgerrechtliche Kritik. Bisher galt: es müssen tatsächliche Anhaltspunkte für die Planung oder Begehung von Staatsschutz-Straftaten vorliegen, damit der IMSI-Catcher durch das Bundesamt für Verfassungsschutz eingesetzt werden darf. Künftig soll er auch zur Aufklärung von verfassungswidrigen Bestrebungen oder Tätigkeiten genutzt werden dürfen. Diese Absicht verkennt die Eingriffsintensität der Maßnahme. Denn sie bezieht ihre Grundrechtsrelevanz nicht nur daraus, dass (nicht-telefonierende) Handys von Zielpersonen geortet werden, sondern aus dem Umstand, dass beim IMSI-Catcher-Einsatz immer auch völlig „unverdächtige“ Mobilfunktelefone ins Visier der Ermittler geraten. Mit anderen Worten: Ein Handy-Nutzer muss stets den (unbemerkten) Abgleich seiner Mobilfunk-Verkehrsdaten mit einem „Verdächtigen-Raster“ fürchten. Das Bundesverfassungsgericht wird aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr über die Verfassungsbeschwerde der Humanistischen Union gegen die Regelung in der Strafprozessordnung befinden. Damit könnte sich die Annahme, es handele sich beim IMSI-Catcher um eine Ermittlungsmethode geringerer Intensität, schnell als irrtümlich herausstellen.

Durch die Fortschreibung von Auskunftsbefugnissen werden die Geheimdienste sukzessive zu omniinformierten Sicherheitsbehörden entwickelt, deren Tätigkeit – insbesondere auch im Inland – immer mehr in Szenen hineinragt, deren Gefährlichkeit an die terroristischer Zusammenschlüsse keineswegs heranreicht. Tatsächlich eröffnen viele der neuen Befugnisse einer immer unkontrollierbareren  Schnüffelpraxis der Geheimdienste Tür und Tor. Durch die immer ausufernder ausgestalteten Übermittlungsregelungen, gerade auch im Geheimdienstrecht, nehmen diese zunehmend den Charakter von Vorfeld-Ermittlungsbehörden an.

Die geplante Anti-Terror-Datei ist ein Beispiel für eine solche Schnittstelle von Informationen unterschiedlichster Herkunft. In ihr sollen nicht nur verdächtige Personen (einschließlich Informationen über Bank-, Telefon-, Internetverbindungen, Führerscheindaten sowie ihre Kontaktpersonen) und terroristische Vereinigungen verzeichnet werden, sondern auch Stiftungen und Unternehmen mit möglichen Verbindungen ins islamistische Milieu. Die informationelle Trennung von polizeilichen und geheimdienstlichen Stellen wird durch entsprechende Datenpools weitgehend aufgehoben.

Der rechtsstaatliche Kern des Trennungsgebots, wonach derjenige, der (fast) alles weiß, nicht alles dürfen soll und derjenige, der (fast) alles darf, nicht alles wissen soll, wird durch die Weiterentwicklung von gegenseitigen Zugriffsmöglichkeiten auf die Datenbestände anderer Sicherheitsbehörden praktisch abgeschafft. Denn die Geheimdienste verfügen über Informationen, die insbesondere Strafverfolgungsbehörden sich nur unter engeren Voraussetzungen (oder gar nicht) selber verschaffen dürften. Und die mit Zwangsbefugnissen ausgestatteten Polizeibehörden können auch solche Erkenntnisse nutzen, die aus geheimdienstlichen Vorfeld-Ermittlungen stammen.

Der Gesetzgeber verweigert mit dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Entwurf eines TBEG auch weiterhin die Umsetzung einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts, die sich aus dem Urteil zum großen Lauschangriff vom 3. März 2004 ergibt: Demnach sollten im gesamten „Sicherheitsrecht“ gesetzliche Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung eingebaut werden. Dieser Kernbereich wird als Voraussetzung eines menschenwürdigen Lebens gesehen; sein gesetzlicher Schutz soll (unbeabsichtigte) Verletzungen dieser Intimsphäre verhindern bzw. durch nachgelagerte Löschungspflichten und Verwertungsverbote heilen. Nichts davon findet sich im TBEG. Zwar bezogen sich die Ausführungen im Urteil der Karlsruher Richter zum Lauschangriff unmittelbar nur auf die Regelung in der Strafprozessordnung. Längst ist sich die Rechtswissenschaft aber darin einig, dass diese Entscheidung auch für andere Rechtsmaterien anzuwenden ist.

Die Humanistische Union wird den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens zum TBEG weiter beobachten und sich zu gegebener Zeit mit einer ausführlichen Stellungnahme zu Wort melden.

Fredrik Roggan
ist Rechtsanwalt in Berlin und Mitglied des Bundesvorstandes der Humanistischen Union

Der Gesetzgeber und die Klarheit von Normen

Das Bundesverfassungsgericht zur Klarheit von Eingriffsnormen im so genannten AWG-Beschluss

„Auch für die Bürger als Normadressaten ist bei Regelungen mit tiefgestaffelten Verweisungen schwer erkennbar, worauf mögliche Eingriffsmaßnahmen gestützt werden können. Deshalb wird in der Literatur zum Teil gefordert, der Betroffene müsse aus der Eingriffsnorm selbst entnehmen können, welche Eingriffe in sein informationelles Selbstbestimmungsrecht prinzipiell möglich sind (vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, 1992, S. 174 f.; Denninger, in: Bäumler, Polizei und Datenschutz, 1999, S. 16 f.; Gusy, Polizeiarbeit zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, StV 1993, S. 269 (274)). Eine solch strikte Anforderung lässt sich der Verfassung zwar nicht entnehmen. Ist es auf Grund der Verweisungstechnik aber – wie hier [im alten Außenwirtschaftsgesetz, Anm. F. R.] – allenfalls Experten möglich, sämtliche Eingriffsvoraussetzungen mit vertretbarem Aufwand zu erkennen, spricht dies gegen die Beachtung des Grundsatzes der Klarheit einer Norm, die sich auch auf das Verhalten und die Rechte der Bürger auswirkt.“
(zitiert nach: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 110, S. 33/S. 64)

Ein Beispiel für die neuen Befugnisnormen aus dem Regierungsentwurf für ein Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz (TBEG) – BR-Drucks. 545/06

Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall Auskünfte einholen:
bei denjenigen, die geschäftsmäßig an der Erbringung von Angeboten zur Information oder Kommunikation, soweit nicht die redaktionelle Gestaltung zur Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund steht (Datendienste, zum Beispiel Verkehrs-, Wetter-, Umwelt- und Börsendaten, Verbreitung von Informationen über Waren und Dienstleistungsangebote) mitwirken ( § 2 Abs. 2 Nr. 2 TDG),

zu Merkmalen der Identifikation des Nutzers eines solchen Teledienstes, Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Teledienste ( § 8a Abs. 2 Nr. 5 BVerfSchG lt. TBEG-Entwurf),

soweit dies erforderlich ist zur Aufklärung von Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben ( § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG)

und die aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, Gewalt vorzubereiten, einschließlich dem Hervorrufen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Sachen befürworten ( § 8a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BVerfSchG lt. TBEG-Entwurf)

über Personen, bei denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie die Leistung (des Teledienstes) für eine Person in Anspruch nehmen, bei der tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie schwerwiegende Gefahren in Gestalt von Bestrebungen, die aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, Gewalt vorzubereiten, einschließlich dem Hervorrufen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Sachen befürworten, nachdrücklich fördert ( § 8a Abs. 3 Nr. 2a in Verbindung mit Nr. 1 BVerfSchG lt. TBEG-Entwurf).

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