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"Ich habe den Eindruck, dass wir beginnen, die Maßstäbe zu verlieren."

Mitteilungen19512/2006Seite 20-21

Festliche Verleihung des Fritz-Bauer-Preises 2006 an Dr. Burkhard Hirsch

Mitteilungen Nr. 195, S. 20-21

Etwa 130 Gäste waren der Einladung gefolgt, die am 16. September eine festliche Preisverleihung im Freiburger Konzerthaus versprach. Den Abend eröffnete Udo Kauß als Gastgeber, nicht ohne die Anwesenden auf die kulturpolitischen Ambivalenzen des Ortes aufmerksam zu machen. Das Freiburger Konzerthaus, als kommerzieller Veranstaltungsort eine Bedrohung vieler kleinerer Bühnen und Schauplätze Freiburgs, sei normalerweise nicht der Hort kritischer Kultur. Das dennoch so viele kritische Geister auch aus dem Freiburger Umfeld erschienen seien, müsse der Prominenz des Preisträgers zuzurechnen sein. Nach einer kurzen musikalischen Einstimmung durch ein Trio um Mike Schweizer begrüßten Rosemarie Will (für die Humanistische Union) und Rolf Bernd (für die Friedrich Naumann- Stiftung).

Laudatio von Heribert Prantl

Die Laudatio eröffnete mit einer Lehrstunde in Sachen politischer Tierkunde: Heribert Prantl erläuterte den versammelten Zuhörern mit einer Beschreibung aus Brehms Tierleben die Richtungswechsel der FDP anhand der wechselnden Hautfarben eines Chamäleons. Innerhalb der wechselhaften Geschichte der Partei, die sich nur schwer zwischen liberalem Gewissen, verlässlichem Regierungspartner und neoliberalem Marktführer entscheiden könne, steche Burkhard Hirsch mit seinen antizyklischen Positionen hervor. Dies habe ihn manchmal – wie in den Zeiten der Kohl-Regierung – fast zu einem Einzelkämpfer innerhalb seiner Partei werden lassen. Burkhard Hirsch zeichne aber – neben seiner Beharrlichkeit – auch eine urliberale Gelassenheit aus, die dem streitbaren Geist oft nicht zugetraut werde. Heribert Prantl würdigte ausführlich den politischen Werdegang Burkhard Hirschs, wobei er besonders die rechtspolitische Bedeutung der beiden von ihm vorbereiteten Verfassungsbeschwerden hervorhob. Sie repräsentierten die Summe von Hirschs rechtspolitischem Denken. Das Urteil zum Großen Lauschangriff habe nicht nur zu einem besseren Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung geführt, sondern auch gezeigt, dass die angeblich unumgängliche Überwachung keineswegs so zwingend war, wie immer versichert wurde: „Über das Juristische hinaus entlarven das Urteil und das Verfahren, auf dem es fusst, die Hysterie der Politik. Alle maßgeblichen politischen Kräfte im Land hatten 15 Jahre lang so getan, als hingen Sein und Nicht-Sein des Staates vom Großen Lauschangriff ab. Der Große Lauschangriff war zum Synonym für Kriminalitätsbekämpfung geworden. Wer ihm nicht zustimmte, galt als nützlicher Idiot des Verbrechens. So wurde auch Burkhard Hirsch in und außerhalb seiner Partei betrachtet. Die Beweisaufnahme vor dem Bundesverfassungsgericht und das nachfolgende Urteil zum Großen Lauschangriff waren seine Rehabilitation. Das Urteil war eine Art Großes Bundesverdienstkreuz, verliehen im Namen des Volkes vom höchsten deutschen Gericht an Burkhard Hirsch.“ Das Vermächtnis Fritz Bauers, der die Voraussetzungen für eine strafrechtliche Aufarbeitung des NS-Regimes vielen Anfeindungen und Verleumdungen zum Trotze schuf, sei bei Burkhard Hirsch gut aufgehoben.

Aus der Rede des Preis­trä­gers

„Es ist mir nicht nur eine Ehre, ich freue mich richtig, diesen Preis bekommen zu haben. Diesen Preis, benannt nach Fritz Bauer, von der Humanistischen Union als einer Bürgerbewegung, die ich für die wichtigste in unserem Land halte.“ Mit diesen Worten eröffnete Burkhard Hirsch seine Dankesrede. In Antwort auf die Laudatio betonteer, dass er sein Eintreten für die Bürgerrechte weniger als einen Kampf gegen die FDP, sondern als einen Kampf gegen den herrschenden Zeitgeist geführt habe, einen „Zeitgeist, der viele Menschen immer mehr bedrängt und überwältigt hat.“ Dann ging der Preisträger auf seine (geistigen) Verbindungen zu Fritz Bauer ein. Eine erste Gemeinsamkeit ergebe sich in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Burkhard Hirsch schilderte seine persönlichen Erfahrungen nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, als aus den Mitläufern von gestern plötzlich Helden des Widerstands gegen das Hitler-Regime wurden. An Fritz Bauer habe ihn dessen Gegenwartsbezug fasziniert: Bauer ging es nicht nur um die „Bewältigung der Vergangenheit“, sondern auch um die Frage, wie aus historischen Erfahrungen die Kraft für eine künftige „Humanität der Rechtsordnung“ zu gewinnen sei. Burkhard Hirsch ließ keinen Zweifeldaran, dass für ihn die schonungslose Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit notwendiger Bestandteil der demokratischen Kultur sei. Aus diesem Grund beunruhige ihn auch die zunehmende Popularität rechtsradikaler Gruppen, speziell in Ostdeutschland. „Mich beunruhigt, dass die dortigen deutschen Hassprediger den Eindruck haben, den tatsächlichen, wirklichen, heimlichen Volkswillen darzustellen. … Mich beunruhigt, dass die örtlichen kommunalen Würdenträger diese Vorgänge verniedlichen oder ängstlich hinnehmen.“ Die Bemühungen auf Bundes- und Länderebene, dagegen vorzugehen, seien bisher nicht überzeugend erkennbar. Damit leitete der Preisträger zu einem zweiten Berührungspunkt mit Fritz Bauer über: den Bemühungen um eine Humanität der Rechtsordnung. „Wir haben – und das sieht man aus den Grundrechte-Reporten der Humanistischen Union seit vielen Jahren ja sehr viel besser als aus den Verfassungsschutzberichten des Amtes – … in den letzten 25 Jahren durch immer höhere Strafandrohungen und Praxen polizeilicher Eingriffsrechte einen schleichenden Umbau unseres Straf- und Strafverfahrensrechtes in ein präventiv- polizeiliches Überwachungsrecht erlebt: Den fast vollständigen Abbau des Asylrechts, die Schleifung des Fernmeldegeheimnisses, den dreisten Zugriff des Staates auf den Kernbereich privater Lebensbeziehungen, auf das Gespräch unter vier Augen…“ Diese Entwicklung führe nicht in die Zukunft, sondern zurück in die Vergangenheit. So befinde sich die Polizeigesetzgebung mit der Einführung der Schleierfahndung, das heißt der polizeilichen Jedermann-Kontrolle, auf dem Stand des preußischen Polizeirechts von 1850 – damals allerdings erforderten solche Eingriffe die vorherige Ausrufung des Belagerungszustandes. Das Problem eines schwindenden rechtsstaatlichen Maßstabes verdeutlichte Burkhard Hirsch anhand der zunehmenden Ausweitung polizeilicher Vorfeld- Beobachtungen. Polizeiliche Ermittlungen setzten längst nicht mehr erst ein, wenn jemand eine Tat begangen habe. Die Frage, was aber alles zum Vorfeld eines Handelnden gehöre, sei schier grenzenlos – letztlich beginne sein Vorfeld mit seiner Geburt. Manchmal entstehe der Eindruck, die Polizei solle bereits tätig werden, wenn sie „böse Gedanken vermuten“ könne. Welche Auswüchse dieser Sicherheitswahn hervorbringen kann, hat Hirsch mehrfach in den Anhörungen zu seinen Verfassungsbeschwerden vor dem Karlsruher Gericht erleben müssen. Wenn etwa Sachverständige des BKA darauf bestehen, auch das Schlafzimmer abhören zu dürfen (schließlich werde ja gerade da die Wahrheit gesagt), oder Piloten der Bundeswehr natürlich einem Befehl zum Abschuss einer Passagiermaschine Folge leisten würden („Man muss dem System vertrauen und schulde ihm Gehorsam.“), weist dies auf einen rapiden Abbau unserer Rechtskultur hin. „Da wird die Freiheit zu einer Gefahr, vor der man in der Sicherheit Zuflucht sucht.“ Das derartige Tendenzen in der juristischen Fachdiskussion wissenschaftlich vertieft würden, verschlimmere die Sache nur noch. Als Beispiele hierfür nannte Hirsch das angebliche „Recht auf Sicherheit“ (Isensee), die Einführung eines Feindstrafrechts (Jacobs) und die Debatten um rechtsstaatlich abgesicherte Folterverhöre. Eine Humanisierung der Rechtsordnung dagegen könne nur gelingen, wenn den immer neuen technischen Überwachungsmöglichkeiten auch menschliche Fähigkeiten beigebracht würden. Datenschutz stelle in dieser Hinsicht nichts anderes als eine Humanisierung von Überwachungstechnik dar: „Also Löschungsfristen, weil man vergessen können muss. Zweckbindungen, weil niemand außer Gott allwissend sein soll. Übermittlungsschranken, weil hemmungslose Tratscherei jedes Vertrauen zerstört. Schutz des Kernbereichs privater Lebenssphäre, weil man die Tür hinter sich zumachen und jemandem beichten können muss – auch, wenn man nicht Katholik ist.“ Zum Abschluss seiner Rede zitierte Burkhard Hirsch aus einem Aufruf der Humanistischen Union von 1978, der auch heute noch gültig sei: „Man bekämpft die Feinde des Rechtsstaates nicht mit dessen Abbau, und manverteidigt die Freiheit nicht mit deren Einschränkung.“

Nach der Überreichung des Fritz-Bauer-Preises, der traditionell aus einer Plakette mit einem eingravierten Zitat des Namensgebers besteht, hatte der stellvertretende Bundesvorsitzende Fredrik Roggan noch eine Überraschung für den Preisträger parat: Zu Ehren des Preisträgers ist im Berliner Wissenschaftsverlag eine Festschrift „Mit Recht für Menschenwürde und Verfassungsstaat“ erschienen, deren erstes Exemplar an Burkhard Hirsch überreicht wurde. Der Sammelband vereint die Referenten der diesjährigen Tagung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Außerdem würdigen darin zahlreiche Weggefährten Hirschs dessen bürgerrechtliches Engagement. Mit ihnen gemeinsam gab es beim anschließenden Empfang im Foyer des Konzerthauses reichlich Gelegenheit, sich über die nächsten Vorhaben auszutauschen.

Sven Lüders

Auszüge aus der Laudatio, die Rede des Preisträgers und weitere Informationen zum Hören und Lesen finden sich im Internet: https://www.humanistische-union.de/fritz_bauer_preis/

Die Festschrift für Burkhard Hirsch ist beim Berliner Wissenschaftsverlag erschienen: Roggan, Fredrik (Hrsg.), Mit Recht für Menschenwürde und Verfassungsstaat. Festgabe für Dr. Burkhard Hirsch. Berlin ISBN: 3- 8305-1224-4 (Preis: 59,00 €)

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