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„Die Hoffnung konzen­triert sich also auf die Zivil­ge­sell­schaft...“

Mitteilungen12/2008Seite 19

Aus: Mitteilungen Nr 203, S. 19

„Die Hoffnung konzentriert sich also auf die Zivilgesellschaft...“

Für eine juristische Dissertation ist schon der provokante Titel des Werkes recht ungewöhnlich. Aber die Autorin Alexa Albrecht ist nicht nur Juristin, sondern auch diplomierte Politikwissenschaftlerin, und ihre Untersuchung ist deshalb interdisziplinär angelegt: Sie zeichnet den Wandel nicht nur auf der grundrechtsdogmatisch-normativen Ebene nach, sondern fragt auch nach den gesellschaftlichen Wurzeln dieser Entwicklung und nach den Verteidigungsmöglichkeiten sowohl im institutionellen als auch im zivilgesellschaftlichen Bereich.

Fokussiert ist die Darstellung auf die im Grundgesetz verbürgte Unantastbarkeit der Menschenwürde und deren Infragestellung im Zuge der anhaltenden „Folterdebatte“. Ausführlich zeichnet Albrecht die Argumentation der Folterbefürworter wie insbesondere des  Staatsrechtlers Winfried Brugger sowie des Strafrechtlers Volker Erb nach und zeigt die Gefährlichkeit dieser Ansätze auf: Die Erwägungen zur Relativierung des Folterverbots „machen deutlich, wie ungehindert die politische Bereitschaft eines Mehrheitsgesetzgebers auf die Argumentation rechtspolitischer Diskurse zugreifen könnte. …Die Subtilität der positivistischen Dogmatik gibt Anlass zu der Befürchtung, dass auch ein demokratischer Gesetzgeber bei entsprechendem politischen Druck bereit ist, schwere Menschenrechtsverletzungen – positivistisch normiert – als legale ‚Rettungsfolter‘ in das Arsenal polizeilicher Reaktionen aufzunehmen“ (S. 147).

Bei der Erklärung der aktuellen Entwicklung, die sich beileibe nicht nur in der Relativierung der Menschenwürdegarantie äußert, orientiert sich die Autorin an den gesellschaftspolitischen Schlüsselbegriffen „Prävention“ und „Privatisierung“. Sie verweist auf eine „Ablösung des Sozialstaats durch einen Präventionsstaat in einem Perspektivwechsel von der sozialen zur inneren Sicherheit“ (S. 47). Gefördert werde ein Gesellschaftsbild, „das die Gestaltung des Sozialen der Ökonomie überlässt (Ökonomisierung des Sozialen).

Eine absolute Marktfreiheit drängt den Staat aus seiner Verantwortung, woraus er sich gern drängen lässt, weil die Ressourcen für eine Stabilisierung sozialer Systeme nicht mehr verfügbar sind.“ (S. 67/68). Nach der neoliberalen Ideologie seien Devianz und Kriminalität nicht mehr Merkmal persönlicher Eigenschaften oder sozial produzierter Gegebenheiten, sondern normales Risiko, welches es zu kontrollieren gelte. Diese Betrachtungsweisen fänden auch im sozialwissenschaftlichen bzw. juristischen Schrifttum ihren Ausdruck. Es schlage „die Stunde der Abwiegler und Abwägungstechniker“. Stellvertretend hierfür zitiert die Autorin den Staatsrechtler Manfred Baldus: Der Staat dürfe nicht tatenlos zusehen, wenn das „Wüten terroristischer Gewalt die Grundfeste einer freiheitlichen Ordnung wanken lässt“ (S. 69).

Neben der Darstellung dieser bedenklichen Entwicklung widmet sich das Buch sowohl den „formellen“ als auch den „informellen“ Reaktionen auf die Erosion der Menschenrechte. Als Beispiel für das Wirken einer Nichtregierungsorganisation schildert sie recht ausführlich die Aktivität von Amnesty International zur Folterdebatte. Leider beschränkt sich die Darstellung insoweit im Wesentlichen auf das Referieren (argumentativ zweifellos überzeugender) Stellungnahmen von Amnesty, während die Wirkungsbedingungen solcher aufklärerischen Äußerungen in der heutigen, vorrangig auf Massenunterhaltung zielenden Mediengesellschaft kaum analysiert werden.

Dem gegenüber fällt das Urteil der Autorin über die institutionellen Möglichkeiten internationalen Menschenrechtsschutzes mitunter gar zu apodiktisch aus: „Trotz aller internationalen Bemühungen um Gewährung und Durchsetzung von Menschenrechten sind diese nirgends unmittelbar anwendbar und gerichtlich einklagbar“ (S. 23). Schließlich erwähnt sie selbst den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der sich nicht scheut, selbst beim Menschenrechtsschutz angeblich so vorbildliche Staaten wie Deutschland z. B. wegen des Brechmitteleinsatzes durch die Polizei (Fall Jalloh) zu verurteilen. Auch wäre es reizvoll gewesen, die Möglichkeiten des 2006 berufenen Menschenrechtsratsrates der UN näher auszuloten.

Zu Recht kritisiert Alexa Albrecht freilich die Institution des „Menschenrechtsbeauftragten“ der Bundesregierung, bei dem wegen der Parteilichkeit als Exekutivvertreter der „Bock zum Gärtner“ gemacht werde (S. 122). Zustimmung verdient auch ihr Schlussplädoyer für kritische Aufklärung mit den Zielvorstellungen Demokratisierung, Partizipation, Gleichberechtigung und Ressourcengerechtigkeit. „Die Hoffnung konzentriert sich also auf die Zivilgesellschaft, die absolute Grenzen jedweden Zugriffs auf Menschenrechte und Menschenwürde reklamieren muss und der Gesellschaft kritische Aufklärung über die destruktiven Wirkungen von Transformationsprozessen schuldig ist“ (S. 193). In der Tat darf sich, so wäre hinzuzufügen, konsequente Menschenrechtsarbeit nicht auf die juridische Verteidigung der klassischen Abwehrrechte beschränken, sondern muss auch die sozialen Grundlagen ihrer Wahrnehmung in den Blick nehmen.

Alexa Albrecht: Zur Erosion der Menschenrechte im demokratischen Rechtsstaat. Reaktionen der Systeme und der Zivilgesellschaft. Peter Lang Frankfurt a. M. 2007, 216 S. , ISSN 0170-6918.

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