Beitragsbild Was hat der Papst den Abgeordneten, was hat er uns zu sagen?
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Was hat der Papst den Abgeord­neten, was hat er uns zu sagen?

04. Juni 2012

Eine Nachlese zur Rede von Kardinal Ratzinger vor dem Deutschen Bundestag. Mitteilungen Nr. 215/216 (Heft 1/2012), S. 16ff.

Was hat der Papst den Abgeordneten, was hat er uns zu sagen?

Der Jubel der Abgeordneten – jedenfalls der Mehrheit – über den Auftritt des Papstes im Bundestag am 22. September 2011 ist schnell verflogen. Eigentlich war es auch gar kein echter Jubel, sondern eher eine zugleich pflichtgemäße und ratlose Begeisterung. Dies war der Tatsache geschuldet, dass man den Papst eingeladen, die Einladung gegen alle Einwände verteidigt, große Hoffnung auf wegweisende Worte gesetzt hatte und nicht eingestehen wollte oder konnte, dass man die päpstliche Rede kaum verstanden hatte, mit ihrem Inhalt nichts anfangen und zugleich die erhofften Inhalte auch nicht ansatzweise in ihr entdecken konnte.

I. Religi­ons­führer im Parlament?

Im Vorfeld des Papstbesuchs war heftig umstritten die Frage, ob es sich mit den deutschen verfassungsrechtlichen Prinzipien vertrage, einen Religionsführer (den Religionsführer) im Bundestag, dem obersten deutschen Staatsorgan, reden zu lassen. Was hat der Exponent der katholischen  Religionsgemeinschaft (in Deutschland: einer Minderheit) im Parlament eines erklärtermaßen religionsneutralen Staates zu suchen; eines Staates, der nicht nur seit einem halben Jahrtausend durch erbitterte Auseinandersetzungen zwischen zwei rivalisierenden christlichen Konfessionen geprägt wird, sondern darüber hinaus seit einigen Jahrzehnten durch eine immer größer werdende Zahl von religionsfreien Menschen und durch eine erhebliche Anzahl von Angehörige verschiedener anderer Weltreligionen und sonstiger Weltanschauungs- und Glaubensgemeinschaften?

Die beschwichtigende Antwort lautete vorher: Der Papst werde nicht als „Vicarius Petri“ (oder gar „Vicarius Christi“?), nicht als Haupt der katholischen Weltkirche eingeladen, sondern als Oberhaupt des „Staates der Vatikanstadt“ nach Art. 26 Abs. 2 des Lateranvertrages von 1929; und es sei üblich, dass bei Staatsbesuchen Staatsoberhäupter im deutschen Parlament redeten. Benedikt XVI. hat dieser lachhaften  Camouflage, an der er selbst nicht beteiligt war (Welche politischen Fragen gibt es denn im Verhältnis zwischen Deutschland und dem kleinsten Staat der Welt zu klären?) dankenswerter Weise gleich zu Beginn seiner Rede den Boden entzogen, indem er klar stellte, ihm habe „die Einladung zu dieser Rede … als Papst, als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt“ gegolten. Danach war das Schweigen der Verantwortlichen auf diese Bloßstellung beredt.

Übrigens kann die Einladung des Papstes auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass zahlreiche Gastredner, die nicht Staatsoberhaupt oder sonstige offizielle Vertreter ihres Landes waren, vor dem Bundestagsplenum sprechen durften. [1] Denn anders als im Falle des Papstes standen diesen Auftritten nicht die Prinzipien der Religionsneutralität des Staates und der Trennung von Staat und Kirche entgegen. Soll zukünftig aus Paritätsgründen das Rednerpult des Bundestags sukzessiv auch anderen Religionsführern zur Verfügung gestellt werden? Und warum nicht  auch Vertretern der religionsfreien Bürgerinnen und Bürgern?

II. Naturrecht als Rechts­quelle?

Den Abgeordneten hat der Papst im Wesentlichen seine Gedanken zum Naturrecht nahe gelegt. Ihm war es wichtig, dass die katholische Lehre (nach seiner Auffassung) anders als andere Religionen das Recht nicht aus der göttlichen Offenbarung ableite, wie sie in den heiligen Schriften niedergelegt sei, sondern aus „Natur und Vernunft“ als den „wahren Rechtsquellen„. Er berief sich dabei – nicht ungeschickt – auf vorchristliche philosophische Traditionen (Stoa, Lehrer des römischen Rechts), auf deren Seite sich die (von Benedikt nicht näher genannten) christlichen Theologen in der Nachfolge von Paulus (Röm. 2, 14f.) gestellt hätten. Es folgt die übliche Beschreibung der abendländischen Rechtskultur als Weg von der vorchristlichen Philosophie über das christliche Mittelalter und die Aufklärung bis zu den heutigen Menschenrechtskatalogen, unter der ebenso üblichen Verschweigung aller Brüche, Kämpfe, Widersprüche und der kirchlichen Verbrechen in den letzten zwei Jahrtausenden. Wie aber kann nach Benedikt dieses sozusagen entchristlichte Naturrecht von den Menschen erkannt werden? Indem wir einerseits der Weisung der Natur folgen (Reverenz an die ökologische Bewegung) und andererseits „im stillen doch aus den Vorräten Gottes schöpfen„, denn die objektive Vernunft der Natur setze eine in ihr erkennbare schöpferische Vernunft voraus, einen Creator Spiritus. 

Was aus diesen Überlegungen des Papstes für das Auditorium, ein politisches Gremium, folgt, bleibt ein Rätsel. Sofern es um die Rechtsquellen Vernunft und Natur geht, muss jeder Abgeordnete sich entweder von einer übergeordneten Instanz (z.B. der katholischen Kirche) sagen lassen, was jeweils aus den „Vorräten Gottes“ geschöpft werden soll. Und das ist in einem säkularen Staat der worst case. Oder er muss  für sich selbst durch den öffentlichen Gebrauch der eigenen Vernunft eine Brücke zwischen Vernunft und Natur auf der einen und den praktischen politischen Problemen auf der andern Seite bauen und danach entscheiden. Im letzteren Fall ist er dort angelangt, wo der Papst das Feindbild des katholischen Naturrechts sieht.

Seiner naturrechtlichen Verankerung der Rechtsordnung stellt Benedikt das positivistische Konzept von Natur und Recht „weiter Kreise“ in Europa gegenüber, in welchen die positivistische Vernunft sich selbst genüge und „alle übrigen Einsichten und Werte unserer Kultur in den Status einer Subkultur“ verwiesen werden – welch anmaßende Behauptung. Als Hauptvertreter dieser verderblichen Richtung benennt der Papst den 1973 gestorbenen österreichischen Staatslehrer und Rechtstheoretiker Hermann Kelsen, der stets darauf beharrte, dass das Recht allein auf Willensakten von Menschen beruht. Aus der Natur könne nicht folgen, dass etwas sein soll. Damit war Kelsen ein unerbittlicher Verfechter der Demokratie als der Herrschaftsform, in welcher nicht Gott, Natur oder ewige Wahrheiten, sondern die Menschen mehrheitlich und unter Wahrung der ebenfalls auf dem menschlichen Willen beruhenden Verfassung bestimmen, was gelten soll. Rechtsnormen beanspruchen nach dieser Lehre keine Wahrheit, sondern (nur) Geltung. Das unterscheidet Kelsens Lehre von der Naturrechtslehre des Papstes. Kelsens Auffassung hat im Vergleich zu der Ratzingers den Vorteil, der demokratischen Idee zu entsprechen, was die Gesetz- und insbesondere die Verfassungsgebung angeht.

Der Papst zitiert übrigens Kelsen nicht aus dessen Schriften, sondern ausweislich der amtlichen, vom Vatikan veröffentlichten Redefassung [2]  nach einem im Jahre 2010 erschienenen Buch des Rechtshistorikers Wolfgang Waldstein, eines Gelehrten am rechten Rand des römischen Katholizismus. Von diesem übernimmt Benedikt auch die Behauptung, Kelsen habe im Alter von 84 Jahren den Rechtspositivismus im seinem Kern (Dualismus von Sein und Sollen) aufgegeben. „Hier irrte der Papst – Kelsen blieb bei seiner Lehre„, hat Horst Dreier in einem gleichnamigen Beitrag in der F.A.Z. vom 3.11.2011 nachgewiesen. Die Diffamierung Kelsens durch Papst Ratzinger ist um so bemerkenswerter, als gerade die Gelehrsamkeit dieses Papstes immer wieder als sein besonderes Kennzeichen gerühmt wird. Vor diesem Hintergrund wirft der schlampige Umgang mit Zitaten ein trübes Licht auf den Gelehrten Ratzinger. Gerade bei Kelsen, dem bedeutenden Juristen jüdischer Herkunft, der, seit 1930 in Köln lehrend, 1933 nach Amerika vertrieben wurde, wo er nach dem Krieg blieb, hätte der Papst besondere Sorgfalt walten lassen müssen.

Was der Papst sonst noch den Abgeordneten nahe zu bringen sich bemüht hat, ist entweder wenig bemerkenswert (Politiker sollen sich um Gerechtigkeit bemühen und ein „hörendes Herz“ haben) oder glaubensgeleitet und daher nicht sinnvoll diskutierbar (Überzeugung vom Schöpfergott als Quelle der Menschenrechtsidee, der Menschenwürde, der Gleichheit aller Menschen).

III. Entwelt­li­chung und Privilegien

Die Volksvertretung wäre interessierter an den Themen gewesen, von denen der Papst – jedenfalls im  Bundestag – nicht gesprochen hat: Stellung der Frauen in der Kirche, pädophile Straftaten in katholischen Einrichtungen, Verantwortung für die Aids-Ausbreitung (vor allem in den afrikanischen Ländern), Beteiligung der Kirchenmitglieder an kirchlichen Entscheidungen, Fragen der Ökumene, Behandlung Geschiedener durch die Kirche, Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensformen, Kündigung kirchlicher Arbeitnehmer nach kircheneigenen Kriterien, Fragen der Finanzierung der Kirchen und ihrer sozialen Dienste etc. – alles Fragen nach der weltlichen Stellung der katholischen Kirche. Davon im Bundestag zu sprechen sah der Papst, dem seit langem die „Entweltlichung“ der katholischen Kirche am Herzen liegt, offenbar keinen Anlass. Oder fehlte ihm der Mut dazu? Dies ist um so erstaunlicher, als bei den meisten der genannten Themen die Kirche ausgesprochen weltliche Wirkungen nicht nur beabsichtigt, sondern auch erzielt.

Nicht im Bundestag, sondern bei seiner Freiburger Grundsatzrede am 25. September 2011 trug der Papst doch noch Überraschendes zur Diskussion um die Weltlichkeit der Kirche bei; überraschend vor allem für die deutschen Würdenträger der Amtskirche. Er sprach von den „Säkularisierungen – sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder ähnliches„. Und er lobte diese Vorgänge, denn „(d)ie von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein.“ [3] Diese Auffassung ist nicht neu, sie entspricht früher geäußerten Auffassungen Ratzingers [4] und sogar den Ergebnissen des 2. Vatikanischen Konzils von 1965, wo es in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes (Ziffer 76) bereits heißt: „Doch setzt sie [die Kirche] nicht auf Privilegien, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden. Sie wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, dass durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit des Zeugnisses in Frage gestellt ist.“ [5] Sicherlich wird hier theologisch, nicht staatskirchenrechtlich argumentiert. Aber im Ergebnis treffen sich doch theologische und rechtspolitische Erwägungen. Die bischöflichen Eminenzen haben denn auch ganz richtig verstanden, was ihr Pontifex mit „Privilegien“ gemeint hat: Kirchensteuern, Abgabenbefreiungen, Staatsleistungen, Militärseelsorge, Vertretung in allerlei staatlichen Gremien, staatliche theologische Fakultäten, vielleicht sogar Religionsunterricht. Das beweist die Eile, mit der sie gleich nach der Abreise des Papstes anlässlich ihrer Herbstkonferenz in Fulda versicherten [6], dies alles sei nun aber sicherlich gar nicht gemeint gewesen.

Ja, was denn sonst?

Johann-Albrecht Haupt
ist Mitglied im Bundesvorstand

Anmerkungen:

[1]  Die Gesamtliste der Gastredner unter http://www.bundestag.de/ kulturundgeschichte/geschichte/gastredner/index.html abrufbar.

[2]  http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2011/september/documents/hf_ben-xvi_spe_20110922_reichstag-berlin_ge.html.

[3]  Zitiert nach http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2011/september/documents/hf_ben-xvi_spe_20110925_catholics-freiburg_ge.html.

[4]  Z.B. Joseph Kardinal Ratzinger, Salz der Erde. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart 1996 S. 166.

[5]  Zitiert nach Rahner/Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, 6. Aufl. 1969, S. 535.

[6]  Pressemeldung der Deutschen Bischofskonferenz Nr. 152 vom 7.10.2011, abrufbar unter http://www.dbk.de/presse/details/?presseid=1985&cHash=e911847f5bc255b81682eee1740bb81e.

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