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Ressort­pla­nung: Staat – Religion – Weltan­schauung

Mitteilungen Nr. 215/216 (Heft 1/2012), S. 29f.

Ressortplanung: Staat – Religion – Weltanschauung

Die HU sollte sich in den kommenden zwei Jahren schwerpunktmäßig drei Themen widmen:

1. Berliner Gespräche: Schule und Religion
2. Ablösung der Staatsleistungen
3. Kirchliches Arbeits- und Dienstrecht

Berliner Gespräche

Thematisch soll sich die Veranstaltung mit der „Religion in der Schule“ befassen: Unter der Prämisse, dass die gemeinsame schulische Erziehung und Bildung aller Kinder auch in Zukunft staatliche Aufgabe ist, sollen die für einen säkularen Staat bedeutsamen Fragen behandelt werden,

  • in welchem Umfang und in wessen Verantwortung die öffentliche Schule allen Religionsgemeinschaften Zugang zum Zwecke der Glaubensvermittlung verschaffen muss, kann oder sollte (islamischer Religionsunterricht);
  • ob und ggf. in welchem Umfang der schulischen Erziehung in öffentlichen Schulen speziell das Christentum oder allgemein „Ehrfurcht vor Gott“ als besondere Werte-Basis zugrunde gelegt werden darf;
  • ob und ggf. in welchem Umfang die öffentlichen Schulen bei ihren Schülerinnen und Schülern wie auch beim Schulpersonal religiöse Rituale, Symbole oder Verhaltensweisen aller Religionsgemeinschaften akzeptieren soll oder muss;
  • in welcher Form und in welchem Umfang es geboten ist, den Schülerinnen und Schülern an öffentlichen Schulen in einem für alle verbindlichen, gemeinsamen Unterricht Kenntnisse über Geschichte, Inhalt, Bedeutung und Gefahren der Weltreligionen zu vermitteln.

Wie bei den 4. Berliner Gesprächen ist eine eintägige Diskussionsveranstaltung mit kontroversen Einführungsvorträgen geplant. Dabei sollen nicht nur die existierenden unterschiedlichen innerdeutschen Modelle erörtert werden, sondern auch mögliche Alternativen, wie sie in anderen westlichen Demokratien praktiziert werden. Besonderen Wert legen wir auf die Teilnahme von Schulpolitikern und Schulpraktikern.

Ablösung der Staats­leis­tungen

Im vergangenen Jahr ist der Umfang der Staatsleistungen in Deutschland von der HU erstmals genau festgestellt und publiziert worden. Obwohl wir alle über unsere Ergebnisse informierten und einen eigenen Gesetzentwurf vorlegten, gelang es uns jedoch nicht, die politischen Akteure dazu zu bewegen, den Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen einzulösen. Weder die Bundesregierung noch die meisten der im Bundestag vertretenen Parteien wollen eine Initiative im Sinne des Art. 138 Absatz 1 Satz 2 WRV starten. Lediglich die Fraktion der Linken hat kürzlich einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. (BT-Drs. 17/8791 vom 29.2.2012). Für die Ebene der Länder gilt das Gleiche.

Andererseits haben Kirchenvertreter mehrfach wissen lassen, dass sie zu Gesprächen über die Ablösung bereit seien, wenn die staatliche Seite dies wünsche. Für den katholischen Bereicht wurde dies mit der „Entweltlichungsthese“ Kardinal Ratzingers vom 25.9.2011 (Freiburger Rede) zusätzlichen befördert. Zusammen mit den klammen öffentlichen Finanzen und einem zunehmenden Unverständnis für die nur historische Begründung der Staatsleistungen könnte der Druck auf die Politik wachsen. Die HU sollte deshalb bei diesem Thema hartnäckig bleiben und das Anliegen durch weitere Aktivitäten voranbringen:

  • Wir versuchen, möglichst viele (auch kirchliche) Organisationen und Personen zu gewinnen für eine Kampagne zur Abschaffung der Staatsleistungen: Anzeigen, Massenpetitionen, Abgeordnetenwatch.
  • Wir prüfen nochmals ergebnisorientiert, ob es nicht doch einen Rechtsweg gegen die fortdauernde Finanzierung der Staatsleistungen (i.S.v. Art. 138 Abs.1 GG) gibt.
Kirchliches Arbeits- und Dienstrecht

Von allen Privilegien der Kirche scheint derzeit die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht besonders in der Kritik zu stehen.

Das gilt vor allem für das kollektive Arbeitsrecht, namentlich das Streikrecht. Hier haben nicht nur der DGB und speziell die Gewerkschaft Ver.di, sondern auch zwei Landesarbeitsgerichte der kirchlichen Auffassung widersprochen, es bestehe generell kein Streikrecht Bediensteter in Einrichtungen des Diakonischen Werkes. Auch in einigen Parteien (SPD, Grüne, Linke) geht die Stimmung in diese Richtung. Es wird mit einiger Spannung ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts in dem Verfahren einer diakonischen Einrichtung aus Westfalen (Az.: 1 AZR 179/11) erwartet, welches jedoch nach einer mündlichen Auskunft des Gerichtes erst im zweiten Halbjahr 2012 ergehen dürfte. Zudem muss man damit rechnen, dass die unterlegene Partei das BVerfG anrufen wird. Der sog. Dritte Weg der Kirchen (keine Tarifverträge mit Gewerkschaften) gilt bereits jetzt nicht für die Einrichtungen aller evangelischen Landeskirchen (z.B. nicht nordelbische und brandenburgische Kirche). Auch in anderen Landeskirchen klinken sich einige diakonische Einrichtungen aus den Vorgaben der Amtskirche aus. Innerkirchlich gibt es – jedenfalls bei der Evangelischen Kirche – starke Auseinandersetzungen in dieser Frage, auch nach der Magdeburger Synode der EKD vom 9. November 2011, welche in einem neuen „Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz“ für die Diakonie den Dritten Weg und die verbindliche Schlichtung (also das Streikverbot) explizit bekräftigt hat.

Auch in das kirchliche Individualarbeitsrecht kommt Bewegung. Die vollständige Freistellung kirchlicher Arbeitgeber vom Kündigungsschutzrecht durch die kirchenfromme Rechtsprechung des BVerfG (seit BVerfGE 70, 138 ff.: hier gelte nur das Selbstbestimmungsrecht des kirchlichen Arbeitgebers) gerät vor allem durch die EG-Gleichbehandlungsrichtlinien und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte („Organistenfall“) unter Druck.

Zu diesen Fragen sollte sich die HU öffentlich äußern. Als einer der ersten hat sich Jürgen Kühling bereits im Jahre 2001 für das Streikrecht kirchlicher Arbeitnehmer ausgesprochen (Jürgen Kühling, Arbeitskampf in der Diakonie, in: Arbeit und Recht 2001, S. 241 ff.); die HU behandelte das Thema (allerdings mit zaghaften Forderungen) im November 2002 bei den ersten Berliner Gesprächen. Wir sollten darauf bestehen, dass kirchliche Arbeitgeber auch und vor allem bei abhängig Beschäftigten in Einrichtungen der Kirchen „die Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ (Artikel 137 Absatz 3 WRV) strikt zu beachten haben. Ausnahmen im Sinne besonderer Loyalitätsbindungen können bei individuellen Dienstverhältnissen nur für das religiöse Verkündigungspersonal akzeptiert werden. Till Müller-Heidelberg hat sich bei der letzten Delegiertenkonferenz für einen Gesetzentwurf der HU ausgesprochen.

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