Beitragsbild Zeitbombe Internet
Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 215/216

Zeitbombe Internet

Mitteilungen215/21606/2012Seite 40

Mitteilungen 215/216 (Heft 1/2012), S. 40f.

Zeitbombe Internet

Thomas Fischermann und Götz Hamann:
Zeitbombe Internet.
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011.
255 Seiten. 19,90€

Facebook, Google, Onlinebanking – das Internet gehört zum Nervenzentrum unserer Gesellschaft. Aber diese Entwicklung birgt auch Risiken: „Die Sache wird gerade lebensgefährlich„, meinen die beiden Autoren Thomas Fischermann und Götz Hamann. In ihrem reißerisch geschriebenen Sachbuch „Zeitbombe Internet“ stellen sie Datenschutz- und Sicherheitsprobleme des Internet in den Vordergrund.

Cybercrime – Verbrechen im Internet – ist ein großes Geschäft. Organisierte Kriminelle betreiben verborgene Rechnernetze, von denen Angriffe durchgeführt werden oder massenweise Email-Werbung versendet wird. Diese sogenannten Botnetze umfassen schon mal mehre Millionen Computer.

Die Autoren schildern anhand zahlreicher Ereignisse der letzten Jahre diverse Sicherheitsdefizite des Internet. Die Darstellung reicht von einzelnen Hacker-Angriffen unterschiedlichster Art, über den Kampf gegen die organisierte Internet-Kriminalität bis zu Computerviren mit geheimdienstlichem Hintergrund oder systematischer Überwachung der Kommunikation der Bürger eines Landes durch dessen Staatsorgane.

Erörtert werden auch Sicherheitsdefizite und Überwachungsfunktionen der „Smart Grid“, ein Bereich der sich gerade entwickelt und eine bessere Stromnutzung durch Rückkopplung der Stromzähler mit den Stromerzeugern über das Internet verspricht. Wie unlängst der Presse zu entnehmen war, lässt sich anhand der Stromverbrauchsdaten sogar ermitteln, welche Fernsehsendung gerade gesehen wird.

Aus Datenspuren werden Daten­pro­file

Mit der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche besitzen immer mehr Menschen „ganze Taschen voller Geräte„. Damit einhergehend werden in sozialen Netzwerken wie Facebook verstärkt persönliche Informationen, Fotos und Angaben über Beziehungen zu Freunden, Verwandten, Kommilitonen und Kollegen preisgegeben. Facebook mit inzwischen rund 900 Mio. Nutzern weltweit ist dadurch in der Lage, Datenprofile zu erstellen, an denen nicht nur die Werbebranche Interesse hat. „Wer sagt, dann sollen die Leute doch auf eine Mitgliedschaft verzichten, der hat die soziale Dynamik noch nicht ganz begriffen.“ Einladungen zu Veranstaltungen und Partys werden über Facebook verschickt – wer nicht bei Facebook ist, wird nicht eingeladen. Diese „sozialen Kosten“ werden von abgeklärten Senioren mit einem mitleidigen Lächeln quittiert, sind aber für junge Menschen, deren soziales Umfeld anders funktioniert, inakzeptabel.

Aber auch andere Unternehmen erstellen umfassende Datenprofile: Apple verkaufte über 200 Mio. iPhones und kennt nun den Alltag seiner Käufer. Bereits nach zwei Wochen weiß der Konzern „Wo du lebst, wo dein Arbeitsplatz ist, wie und wann du zur Arbeit fährst, wo du einkaufst, wen du anrufst, ob du Kinder hast und ob du sie in den Kindergarten oder in die Schule bringst.“ Um das Profil der iPhone-Nutzer weiter zu verfeinern, werden diese Daten mit den Daten der kostenlosen Internet-Angebote aus demselben Hause, wie E-Mail-Programme, Fotospeicher und Musikangebote abgeglichen. Die Kommunikation im digitalen Raum befindet sich in der Hand weniger großer Unternehmen, die allein durch diese Konzentration über immense Datensammlungen verfügen, kritisieren die Autoren. Neben dem ohnehin schon gegebenen Missbrauchspotential besteht auch die Gefahr, dass diese sensiblen Daten durch Sicherheitsdefizite in die Hände von Internet-Kriminellen gelangen.

Speku­la­tives Gefah­rens­ze­nario

Fischermann und Hamann benennen als zentrale Ursache für die Probleme strukturelle Defizite in der technischen Infrastruktur des Internet. Aber auch Konzerne wie Microsoft oder Google müssen sich vorhalten lassen, dass ihre Produkte und Dienste viele Sicherheitsmängel aufweisen. Die Politik wird kritisiert, weil sie vorrangig dem Wunsch der Digitalwirtschaft nach Selbstregulierung folgt. Und sogar eine Fundamentalkritik am dominierenden technikbasierten Fortschrittsdenken fehlt nicht im Buch.

Im letzten Kapitel entwickeln die Autoren Lösungsvorschläge: Es sollten nur Computersysteme an das Internet angeschlossen werden, die nicht in lebenswichtigen Bereichen eingesetzt werden. Der wachsenden Datensammelwut setzen die Autoren eine „Datendiät“ entgegen. Politische Versäumnisse müssen durch neue Regulierungskonzepte abgelöst werden. Die Lösungsvorschläge der Verfasser sind jedoch nicht immer überzeugend: Mit der provokanten Formulierung „Ein neues Netz muss her“ fordern sie ein abgeschottetes Parallelnetz mit strikten Zugangsregeln. Aber wie so etwas realisiert werden könnte, erläutern sie nicht. Die plakative Forderung „Entschärft die Zeitbombe!“ bleibt letztlich ein pauschaler Slogan.

Die Autoren bauen in ihrem Buch ein Gefahrenszenario auf, das oft auf spekulativen Elementen basiert. Am deutlichsten wird dies in Kapitel 7, das sich der militärischen Kriegsführung im Internet widmet (Cyberwar) und vielfach auf Schlussfolgerungen aus nicht überprüfbaren Quellen beruht.

Die Autoren haben ein fesselndes Buch in leicht verständlicher Sprache geschrieben – beide sind als stellvertretende Leiter des Wirtschaftsressorts der Wochenzeitung DIE ZEIT tätig und wissen, wie so etwas funktioniert. Die technische Expertise holen sie sich aus zahlreichen Interviews mit Sicherheitsexperten und Computerwissenschaftlern.

Die Kritik an den Sicherheitsmängeln des Internet ist nicht neu; schon Anfang der 1990er Jahre warnten Experten vor den Folgen der strukturellen Defizite des Internet. Provokante Forderungen, wie in diesem Buch vorgebracht, tragen zwar nicht unbedingt zur Lösung der Probleme bei, aber führen vielleicht zu einer breiteren Sensibilisierung für ein Thema mit zunehmender Relevanz. Wer noch nie etwas von Botnetzen gehört hat oder seine Daten und Fotos freizügig bei Facebook einstellt oder ein iPhone verwendet, sollte dieses Buch unbedingt lesen.

Die Autoren betreiben ein Blog zum Buch. Dort findet sich auch ihr Manifest: „Was wollen wir eigentlich? 6 Vorschläge für ein besseres Internet“ unter http://zeitbombeinternet.wordpress.com/2011/09/13/das-zeitbomber-manifest/.

Siehe auch: Markus Beckedahl, Zeitbombe Internet: Geht’s auch eine Nummer kleiner? Rezension auf www..netzpolitik.org vom 13.9.2011.

nach oben