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Gerhard Szczesny zum achzigsten Geburtstag

Mitteilungen16309/1998Seite 66

Anläßlich des 80. Geburtstags von Gerhard Szczesny am 31.7.1998, dem Publizisten und Initiator der Humanistischen Union…

Mitteilungen Nr. 163, S. 66

Anläßlich des 80. Geburtstags von Gerhard Szczesny am 31.7.1998, dem Publizisten und Initiator der Humanistischen Union dokumentieren wir einen Teil seines Referats mit programmatischen Aussagen zur Arbeit der Humanistischen Union, gehalten am 19. November 1963, vor der ersten Bundes-Mitgliederversammlung der HU:

[…] Ich sprach von dem deutlich gegen einen christlichen Totalitarismus in der Bundesrepublik gerichteten Akzent bei der Gründung der Humanistischen Union. In den im § 2 unserer Satzung formulierten Aufgaben haben wir diese Ausgangsposition dann bereits wesentlich erweitert. Danach treten wir ein für die ungehinderte Entfaltung der wissenschaftlichen und künstlerischen Strömungen und treten ein für das Recht der individuellen Lebensgestaltung überhaupt.
Die politischen Ereignisse der vergangenen zwei Jahre haben diese allgemeine Zielsetzung der Humanistischen Union nun mit sehr konkretem Inhalt gefüllt. Die Vorgänge um Franz Josef Strauss, die Spiegel- und Panorama-Affären, der Entwurf eines neuen Strafgesetzes, der Plan einer Notstandsgesetzgebung, die zur Zeit diskutierten Vorkommnisse um das Brief- und Postgeheimnis sind Gefährdungen unserer demokratischen Ordnung, die zunächst nicht ausdrücklich angesprochen waren, aber sich ganz von selbst als Themen präsentieren, zu denen wir Stellung zu nehmen haben.

Es scheint mir nun jedoch wichtig, darauf zu achten, daß das Programm unserer Vereinigung nicht ins Uferlose ausgeweitet oder aber mit Forderungen belastet wird, die in keinem Fall Forderungen einer Humanistischen Union sein können. […]
Die Humanistische Union kann sich nicht mit irgendeiner Religion oder Philosophie oder Weltanschauung identifizieren. Sie kann Forum sein für die Einübung eines fairen Gesprächs zwischen den verschiedenen Anschauungen, aber im Glaubensstreit nicht selbst Stellung beziehen. Die Humanistische Union kann und darf sich sodann nicht identifizieren mit irgendeiner der innerhalb unserer demokratischen Anschauungen und Spielregeln möglichen politischen Richtung. Es ist nicht ihre Aufgabe, zu Fragen der NATO-Politik oder der europäischen Einigung Stellung zu nehmen, es ist nicht ihre Aufgabe, für diese oder jene Sozial- oder Wirtschaftsordnung einzutreten, es ist nicht ihre Aufgabe, einen pazifistischen Standpunkt zu vertreten, sondern es kann nur ihre Aufgabe sein, dafür zu sorgen, daß Pazifisten in unserem Lande unangefochten Pazifisten sein dürfen. Alle diese Dinge, oder die meisten von ihnen gehören zu den Aufgaben unserer politischen Parteien oder spezieller weltanschaulich-politischer Verbände, für die die Humanistische Union nach wie vor kein Ersatz sein will.

Andererseits nun gehören satzungsgemäß zu den Aufgaben der Humanistischen Union alle Fragen, die die freie Entfaltung des kulturellen und des einzelmenschlichen Lebens betreffen. Das ist offenbar nicht so selbstverständlich, wie es sich anhört. […] Sie wissen daß die Humanistische Union sich zu jener Schulform bekannt hat, die im Gutachten des Deutschen Ausschusses „Gemeinschaftsschule als Schule für alle“ heißt. Die Humanistische Union ist der Meinung, daß öffentliche Schulen in einem freiheitlich-demokratischen Staat nur Schulen sein können, die nicht dem Einfluß einer bestimmten Glaubensgruppe unterstellt sind. Wir sagen also ganz offen, daß wir die diesbezüglichen Bestimmungen im Grundgesetz für ein mit den allgemeinen Prinzipien unserer Verfassung nicht zu vereinbarendes Relikt aus der Zeit des Staats-Kirchentums halten. Nun habe ich von einigen Mitgliedern Briefe bekommen, in denen gefragt wurde, wie die Humanistische Union es mit ihrer Toleranzforderung vereinbaren könne, den Eltern das Recht vorzuenthalten, über die Schulform für ihre Kinder zu bestimmen. Die Antwort ist sehr einfach: Die Schulfrage ist nicht etwa, wie die Anhänger des Konfessionalismus glauben machen wollen, eine Frage, die die Freiheit der Eltern, sondern sie ist eine Frage, die die Freiheit der Kinder betrifft. Wenn man der Meinung ist, daß die Forderung nach der freien Entfaltung der Person zu Recht im Mittelpunkt aller demokratischen Verfassungen steht, dann wird man nicht umhin können, bei der Erörterung des Schulproblems von der Frage auszugehen, welche Schulform am ehesten eine Garantie dafür bietet, daß der sich entwickelnde Mensch wirklich zu der ihm gemäßen Person heranreift und nicht etwa das Objekt von Gesinnungs- und Bildungswünschen wird, die ihm von außen aufgezwungen werden. Der Verzicht des zivilisierten Menschen auf die Herrschaft über andere Menschen schließt den Verzicht der Eltern auf die absolute Verfügungsgewalt über ihre Kinder ein. […] Die Humanistische Union geht nicht von irgendeiner Weltanschauung oder Ideologie aus, bei der Erörterung der Schulfrage, sondern sie ist gegen jede glaubensmäßig und weltanschaulich gebundene Schule, sei sie christlich oder sei sie atheistisch, weil diese Schule das Grundrecht der heranwachsenden Menschen auf personale Entfaltungsfreiheit verletzt. […]

Es gibt in der Bundesrepublik eine Fülle von Vereinigungen, die sich um die Verbesserung des demokratischen Klimas und Stärkung des demokratischen Bewußtseins bemühen. All diese Bemühungen haben ihren guten Sinn. Die Humanistische Union sollte jedoch darüber hinaus die in unserem Staat vorhandenen liberalen und demokratischen Kräfte, die sich in keine Partei-Maschinerie einbauen lassen, zur politischen Wirksamkeit bringen. Das fachliche Wissen, die Erfahrung und die persönliche Reife der vernünftigen Mitglieder unserer Gesellschaft sind ein Kapital, das bisher nur ganz unzureichend ausgewertet und angelegt worden ist.

Eben dies nun scheint mir die Aufgabe einer Humanistischen Union. Sie soll nicht nur Fragen aufgreifen und die berühmten heißen Eisen einen Vortragsabend lang anpacken, sondern ihre Mitglieder veranlassen, verbindliche Antworten zu geben und diese Antworten dann auch durchsetzen – mit allen Mitteln, derer man sich in einer freien Gesellschaft zur Propagierung und Verwirklichung seiner Vorstellungen bedienen kann.

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