Themen / Innere Sicherheit

Bürger­rechts­gruppen protes­tieren gegen Überwachung eines namhaften Kritikers der Geheim­dienste

01. Januar 1999

Pressemitteilung der Gustav Heinemann-Initiative und der Humanistischen Union, veröffentlicht am 12. Jan. 1999

Mitteilungen Nr. 165, S. 08

Es ist keine Realsatire über „Schlapphüte“, die nach Beendigung des Kalten Krieges beschäftigungslos geworden sind, sondern bitterer Ernst: Nach wie vor – und das heißt seit über 28 Jahren – wird Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt, renommierter Publizist und engagierter Bürgerrechtler vom Verfassungsschutz geheimdienstlich überwacht. Diese Tatsache hat das Bundesamt – auf Antrag – dem Betroffenen vor kurzem mitgeteilt.
Mit dieser systematischen Langzeitüberwachung wird – um ein Sprichwort umzukehren – letztlich ein „Gärtner zum Bock“ erklärt. Rolf Gössner gehört nämlich zu den kenntnisreichsten und aktivsten Streitern für die Bewahrung und Stärkung der Freiheitsrechte unseres Grundgesetzes. Ob es um den Erhalt des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung, die Einhaltung des Datenschutzes oder die Einschränkung von Freiheitsrechten ging, stets erhob Gössner in aller Öffentlichkeit seine Stimme als Schriftsteller, Referent und langjähriger parlamentarischer Berater (u.a. des Bundestages). Erst vor kurzem verfaßte er für acht Bürgerrechtsgruppen ein Memorandum in Sachen Menschen- und Bürgerrechte, das – nach langen Jahren der Grundrechtsdemontage – der neuen rot-grünen Bundesregierung den Reformbedarf im Bereich der sog. Inneren Sicherheit deutlich machen und ein „Umsteuern“ nahelegen wollte (dokumentiert in: Frankfurter Rundschau vom 14.10.1998).
Mit Rolf Gössner wird also ausgerechnet ein namhafter Streiter gegen den permanenten Abbau der Bürgerrechte behandelt wie ein „Verfassungsfeind“ – und nicht etwa diejenigen „Sicherheitspolitiker“, die in den vergangenen Jahren der Verfassung schwer zugesetzt haben, indem sie u.a. die Grundrechte auf Asyl und (mit dem Großen Lauschangriff) auf Unverletzlichkeit der Wohnung bis zur Unkenntlichkeit aushöhlten.
Bezeichnenderweise wird Rolf Gössner nicht etwa inhaltlich eine feindliche Agitation gegen die Verfassung vorgeworfen, sondern lediglich, daß er im Rahmen seiner vielfältigen beruflich-politischen Arbeit u.a. auch mit Gruppen und Redaktionen Kontakt hatte, die der Verfassungsschutz als „linksextremistisch bzw. linksextremistisch beeinflußt“ einstuft. Es ist unseres Erachtens eines freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaats unwürdig, daß schon bloße „Kontaktschuld“ für eine geheimdienstliche Beobachtung ausreichen soll.
Mit diesen vagen Kriterien wird jedwede Kritik in der Öffentlichkeit zu einem privaten und beruflichen Risiko. Es ist im Rahmen aktiver Bürgerrechtsarbeit schlechterdings nicht möglich und auch nicht sinnvoll, selektiv nur Gleichgesinnte oder die neuentdeckte „Neue Mitte“ anzusprechen und andere auszugrenzen. Es käme einem Verbot der Teilnahme an Veranstaltungen mit zahlreichen Organisatoren gleich, wenn diejenigen, die dort Referate halten, ohne Rücksicht auf den Inhalt ihrer Reden vom Verfassungsschutz erfaßt würden. Gerade auch der Diskurs mit Andersdenkenden steht für eine lebendige Demokratie.
Wenn selbst renommierte Fachleute – wie der als Experte für das komplizierte Gebiet der Geheimdienste weithin bekannte Rechtsanwalt Gössner – zum Objekt staatlicher Beobachtung werden, dann drängt sich der Verdacht auf, daß hier unbequeme Mahner eingeschüchtert werden sollen.
Als Bürgerrechtsgruppen protestieren wir gegen die Überwachung des Bürgerrechtlers Rolf Gössner und verlangen vom Bundesamt für Verfassungsschutz, diese Praxis sofort einzustellen. Wir appellieren an die rot-grüne Bundesregierung, diesem unkontrollierbaren Treiben nach 28 Jahren endlich ein Ende zu setzen.

Dieser Protest wird unterstützt von folgenden Bürgerrechtsgruppen:

– Gustav-Heinemann-Initiative
– Humanistische Union
– Internationale Liga für Menschenrechte
– Strafverteidiger-Vereinigungen
– Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen
– BAG Kritische Polizistinnen und Polizisten
– Europ. Vereinigung für Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt e.V

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