Themen / Rechtspolitik

Legalitäts- und Oppor­tu­ni­täts­prinzip

01. Januar 1999

Mitteilung Nr. 165, S. 03

Ausgangspunkt:
Die Staatsanwaltschaft hat gegen „Die drei Tenöre“ ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet. Erste Folge: Der Tenor Domingo tritt nicht mehr in Deutschland auf, weil er seine Verhaftung fürchten muß. Der Tenor Pavarotti hat seine Zusage, an dem Silvesterkonzert 1998 der Berliner Philharmoniker mitzuwirken, kurzfristig zurückgenommen, so daß entgegen der Programmankündigung in letzter Minute eine Aushilfskraft engagiert werden mußte. Die Erfahrungen der Tennisspielerin Stefanie Graf und ihres tumben Vaters mit der Strafjustiz schrecken Künstler und Sportler von Weltrang.

Ein Parallelfall:
Der damalige Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorf mußte wegen eines Verfahrens gegen ihn mit dem Vorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung (Parteispendenaffäre) sein Amt als Bundeswirtschaftsminister aufgeben; bis heute erreichte keiner seiner Nachfolger sein Format.

Gegenstück:
Die Bundesregierung lehnt ein Auslieferungsersuchen an Italien gegen den Kurdenanführer Öcalan ab, obwohl ihm die Beteiligung an drei Morden in Deutschland zur Last gelegt wird und obwohl gegen ihn in Deutschland ein Haftbefehl besteht. Die Bundesregierung – schon in der neuen Formation – befürchtet Zusammenstöße mit Kurden.

Die ersten beiden Fälle folgen dem Legalitätsprinzip der Justiz, der letzte dem Opportunitätsprinzip der Politik. Der Widerspruch ist offensichtlich.

Es ist besonders deutlich im Berliner Mykonos-Prozeß hervorgetreten, in dem iranische Attentäter wegen eines tötlichen Anschlags auf eine Diskothek – noch nicht rechtskräftig – verurteilt worden sind, den sie, wie im Urteil ausdrücklich festgestellt wird, im Auftrage der iranischen Regierung ausgeübt hatten. Der Prozeß unterlag dem Legalitätsprinzip und doch hätten Teile der Bundesregierung, zu Recht diplomatische Verwicklungen mit dem Iran fürchtend, einen Freispruch gern gesehen. Zum ersten Mal in der deutschen Rechtsgeschichte ist in dem Berliner Urteil die Staatsführung eines fremden Staates als Urheber schwerer Straftaten bezeichnet worden. Bisher kannte man eine derartige Charakterisierung nur bei Staatsführungen verblichener Regime, wie dem NS-Regime oder dem der SED. In beiden Fällen tat und tut sich die Justiz schwer.

Das Legalitätsprinzip ist Ausfluß der Gleichheit vor dem Gesetz, eines Kernstücks des Rechtsstaatsprinzips und verlangt, daß alle Bürger ohne Rücksicht auf die politische Zweckmäßigkeit, ohne Rücksicht auf die „Opportunität“, gleich behandelt werden. Das Legalitätsprinzip hat es hierzulande in einer Zeit, in der die Prinzipien des Rechtsstaates zwar lauter denn je – immer ein schlechtes Zeichen – beschworen werden, aber immer weniger verstanden werden, schwer, sich Anerkennung zu verschaffen. Im Konfliktfall verlangt das Legalitätsprinzip stets ein Handeln gegen die aktuelle Zweckmäßigkeit. Es ist schwer, Politiker, aber auch Bürger zu finden, die ein solches Handeln unterstützen.

Auch in den Ausgangsfällen kann ich mir Menschen vorstellen, die eine vorzeitige Beendigung der Verfahren mit guten Argumenten für richtig gehalten hätten und die die Entscheidung der neuen Bundesregierung, nicht die Auslieferung von Öcalan zu verlangen, für richtig halten. Sie mögen bedenken, daß es auf der schiefen Bahn der Opportunität keinen Halt gibt und daß die schiefe Bahn in der Willkür der Macht endet, die die Opportunität zu definieren vermag.

Bei Licht betrachtet sind Zusammenstöße von Legalität und Opportunität oft Anzeichen für Mängel der Gesetze, die in dem Einzelfall besonders kraß hervortreten und – hier liegt der Fehler – nicht allgemein, sondern eben nur im Einzelfall, korrigiert werden sollen. So entsteht leicht der Eindruck, das Legalitätsprinzip habe die Aufgabe, blind mit der Binde vor den Augen der Justitia schlechte Gesetze durchzusetzen und daher sein verbreitet schlechter Ruf. Das Gegenteil ist richtig: Das Legalitätsprinzip ist die Aufforderung an den Gesetzgeber, Gesetze zu beschließen, die auch im Einzelfall zu opportunen Ergebnissen führen! Die Steuergesetzgebung ist hier ein ergiebiges weites Feld, das zu beackern mehr als einen eigenen Aufsatz erfordern würde. Der Fall der „Drei Tenöre“ ist ein gutes Beispiel. Finanzpolitiker im Deutschen Bundestag haben sich, angestachelt von der repressiven Feindseligkeit der Philister gegenüber Intellektuellen und Künstlern, darüber geärgert, daß ausländische Künstler in Deutschland Einnahmen erzielen, die sie nur in ihrem Heimatland versteuern, und aus diesem Ärger heraus ein Gesetz beschlossen, das die Finanzverwaltung nur in Ausnahmefällen durchzusetzen vermag. Es fordert deshalb zur Umgehung auf. Dem gut beratenen Cleveren gelingt sie, dem Vater von Stefanie Graf, einem Mann eher einfacher, wenn auch nicht immer gerader Denkungsart, ist sie mißlungen und auch deshalb mußte er in ein Haus mit Gittern einziehen. Die Zinsabschlagsteuer hat zu dem Phänomen „Luxemburg“ geführt, das den Finanzplatz Luxemburg gefördert, den deutschen Banken aber sehr geschadet hat. Die unterschiedliche steuerliche Förderung der gemeinnützigen Einrichtungen und der politischen Parteien ist die Ursache des Falles „Lambsdorf“.

Die Justiz ist auf die Verwirklichung dauerhafter Werte festgelegt. Sie darf nicht nach der Opportunität des Augenblicks schwanken und ist deshalb dem Legalitätsprinzip verpflichtet. Sie ist auf die Fähigkeit der Politik angewiesen, Gesetze zu formulieren, die den der Legalität folgenden Urteilen die Legitimität zugesellen und die Legalität mit der Opportunität versöhnen. In dem Maße, in dem die Politik diese Fähigkeit verliert, wird sich die Rechtssprechung verselbständigen und auf eigenen Wegen um Kontinuität bemüht sein.

Ulrich Vultejus

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