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Dankesworte des Bruders der Preis­trä­gerin

Dr. jur. Gerhard Seibert, Richter am Bundesverwaltungsgericht a.D.:

Mitteilungen Nr. 166, S. 40

…Wenn ich hier in Stellvertretung für meine verstorbene Schwester Helga Seibert den ihr verliehenen Fritz-Bauer-Preis entgegen genommen habe, so habe ich dies mit sehr zwiespältigen Gefühlen getan. Im Vordergrund steht – zumal so kurz nach ihrem Tode und in dem Wissen, wie gern meine Schwester diese Ehrung persönlich entgegen genommen hätte – eine grenzenlose Trauer, unausweichlich verbunden mit der Frage, warum ihr dieses Schicksal widerfahren mußte. Aber da ist auch das Gefühl der Dankbarkeit und der Freude darüber, daß ihr Wirken als Richterin des Bundesverfassungsgerichts von Ihnen, der Humanistischen Union, durch die Verleihung des Fritz-Bauer-Preises in solch herausragender Weise gewürdigt worden ist. Ich habe am Krankenbett meiner Schwester miterleben können, wie tief die Nachricht von der beschlossenen Ehrung sie bewegt und wie sehr sie sich darüber gefreut hat, zumal sie davon in der Endphase ihrer Krankheit erfuhr, als auch ihr die Aussichtslosigkeit ihres Kampfes immer deutlicher wurde. Diese starke Freude – und in gewisser Weise auch Genugtuung – die sie sich in ihrer aktiven Richterzeit mit Sicherheit nicht gegönnt hätte, währte nicht nur für den Augenblick, sondern begleitete sie wie ein ständiger Trost von der ersten Kenntnisnahme bis zu ihrem Tode wenige Wochen später. Dabei war – wie sie meine Schwester gekannt haben – ganz gewiß nicht Eitelkeit der Grund ihrer Freude, sondern das Empfinden, daß damit ihr Wirken als Richterin des Bundesverfassungsgerichts, dem sie alle ihre Kraft gewidmet hatte, sowie ihre dabei stets verfolgte Maxime richtig verstanden und anerkannt wurden. Dieses Wirken war insgesamt und in jedem zu entscheidenden Einzelfall von der Maxime geleitet, die Würde eines jeden Menschen zu achten und zu schützen. Insoweit darf ich auf Ihre, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, freundliche Würdigung meiner Schwester verweisen.Diesem obersten Gebot unserer Verfassung fühlte sich meine Schwester aber nicht allein in ihrem Richteramt, sondern gleichermaßen im unmittelbaren Umgang mit ihren Mitmenschen verpflichtet, und zwar in einem Maße und mit einer Rigidität, die in ihren Konsequenzen gelegentlich schwer verständlich waren und von manchen sogar schmerzlich empfunden wurden. Das galt vor allem für ihre Distanziertheit selbst gegenüber nahen Angehörigen, guten Freunden und anderen ihr wohl vertrauten Menschen. Wer sie gut genug kannte, wußte indessen, daß diese Distanziertheit nichts mit persönlicher Ferne oder gar Desinteresse zu tun hatte, sondern ausschließlich Konsequenz ihrer – geradezu unerbittlichen und in erster Linie gegen sich selbst verfolgten – Maxime war, aus ihrer hohen Achtung vor der individuellen Würde eines jeden Menschen niemandem zu nahe zu treten, sich niemandem aufzudrängen, niemandem lästig zu werden, niemandem ungebetene Ratschläge zu erteilen, kurzum: sich in niemandes Leben einzumischen. Erst dann, wenn ihre persönliche Hilfe offenkundig gebraucht oder ausdrücklich erbeten wurde, war sie selbstverständlich zu jeglicher Hilfe und Unterstützung bereit.Warum ich im Rahmen dieser Preisverleihung hierauf zu sprechen komme? Weil ich meine, daß man erst in Kenntnis dieses Zusammenhangs den grundlegenden Wandel ermessen kann, den die schwere Krankheit meiner Schwester bei ihr bewirkt hat, nämlich hinsichtlich ihrer Bereitschaft und ihrer Fähigkeit, sich anderen Menschen persönlich zu öffnen und die mannigfachen Beweise persönlicher Zuneigung dieser Menschen unbefangen und dankbar entgegen zu nehmen, ja, sie gleichsam wie eine heilsame Medizin in sich aufzusaugen.Dies gilt auch für ihre vorbehaltlose und dankbare Freude darüber, daß Sie, die Humanistische Union, sie durch ihre Verleihung des Fritz-Bauer-Preises persönlich geehrt haben. Nach meinem Empfinden hat sie diese Ehrung nämlich nicht in erster Linie als Zeichen fachlicher und persönlicher Wertschätzung, sondern vor allem auch als einen Beweis persönlicher Zuneigung für den Menschen Helga Seibert begriffen und sich darüber gefreut, gleichermaßen, wie auch die mannigfachen Beweise persönlicher Zuneigung aus dem Kreis ihrer Kolleginnen und Kollegen, ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihrer Sekretärinnen und vieler anderer Menschen sie offenkundig sehr glücklich gemacht haben. Jedenfalls war ihr die Ehrung durch die Verleihung dieses Preises so bedeutsam, daß sie immer wieder darauf zu sprechen kam und sich insbesondere auch mit dem Zeitpunkt und den Modalitäten der Übergabe des Preises beschäftigte. Dabei brachte sie, solange sie sich noch äußern konnte, wiederholt ihren Wunsch zum Ausdruck, daß notfalls ich, der Bruder, – sofern ich dazu bereit sei – in Stellvertretung für sie den Preis entgegennehmen solle. Nur deshalb war ich auf Ihre – der Humanistischen Union – Anfrage ohne Vorbehalt bereit, in Erfüllung dieses Wunsches meiner Schwester für sie den Preis in Empfang zu nehmen, und aus diesem Grunde habe ich auch nach dem so plötzlich eingetretenen Tod meiner Schwester ihre Frage, ob die Übergabe des Preises dennoch stattfinden solle, spontan bejaht: Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, daß diese Ehrung, die sie in der letzten, schmerzlichsten Phase ihrer Krankheit so sehr glücklich gemacht hat, auch vollzogen werde. Ich möchte Ihnen daher in Stellvertretung für meine Schwester nicht allein für die Ehrung danken, die sie ihr durch die Verleihung des Fritz-Bauer-Preises haben zuteil werden lassen, sondern auch dafür, daß Sie meiner Schwester diesen letzten Wunsch erfüllt haben.Darf ich außerdem Ihnen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, für Ihre so freundliche und einfühlsame Würdigung meiner Schwester herzlich danken. Last not least geht mein Dank an Sie, sehr verehrte Frau Präsidentin, daß Sie Ihr Haus, das meiner Schwester so viele Jahre Heimat war und in dem sie so gern gewirkt hat, für diesen Festakt zur Verfügung gestellt und so würdig gestaltet haben.

Dr. jur. Gerhard Seibert

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