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Ansprache des HU-Bun­des­vor­sit­zenden

(zur Verleihung des Fritz-Bauer-Preises an Regine Hildebrandt). Mitteilungen Nr. 170 (Heft 2/2000), S. 26

(…) Der heute verliehene Preis ist benannt nach dem früheren hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der zu den Mitbegründern der ersten Bürgerrechtsorganisation in Deutschland, der HUMANISTISCHEN UNION, gehörte. Er wird verliehen an unbequeme und unerschrockene Frauen und Männer, die sich besonders für Gerechtigkeit und Menschlichkeit eingesetzt haben. Wieso ist ein solcher Preis benannt nach einem Generalstaatsanwalt? Wieso wird er heute nach langer Zeit erstmals wieder an eine Politikerin verliehen? Was hat die heutige Preisträgerin mit ihren Vorgängerinnen und Vorgängern, von denen ich lediglich beispielhaft einige erwähnen will, gemeinsam, was preiswürdig ist? – Helga Einsele, damalige Leiterin der Frauenvollzugsanstalt in Frankfurt – Gustav Heinemann, Justizminister und Bundespräsident – Heinrich Hannover, Strafverteidiger und Kinderbuchautor – die Journalisten Werner Hill, Peggy Parnass, Eckart Spoo – der Kriegsdienstverweigererpastor Ulrich Finckh – die Ausländerbeauftragte Lieselotte Funcke – der Polizeipräsident Hans Lisken – der Literaturnobelpreisträger Günter Grass – die Bundesverfassungsrichterin Helga Seibert?

Fritz Bauer wurde 1933 als jüngster Richter in Deutschland wegen seiner Nazigegnerschaft aus dem Justizdienst entlassen, während die große Masse der deutschen Richterschaft mit den neuen Machthabern gut zurecht kam. Fritz Bauer fiel aus dem Rahmen. Auch als er 1961 zu den Mitgründern der HUMANISTISCHEN UNION gehörte, war dies nicht typisch für einen deutschen Staatsanwalt. Ebensowenig, als er mit Energie und gegen viele Widerstände in Frankfurt den Auschwitz-Prozeß durchsetzte – nicht um die Schuldigen zu bestrafen, sondern um einen Strafprozeß als Instrument der Aufklärung, der gesellschaftlichen Entwicklung zu benutzen. Deshalb verleiht die HUMANISTISCHE UNION den Fritz-Bauer-Preis an Frauen und Männer, die aus dem Rahmen fallen, die gegen den Strich bürsten, die sich für Gerechtigkeit und Menschlichkeit einsetzen – schlimm genug, daß letzteres häufig schon automatisch als aus dem Rahmen fallend gilt.

Aus dem Rahmen fällt auch unsere heutige Preisträgerin, wie sich schon darin zeigt, daß wir seit drei Jahrzehnten keinen Anlaß mehr gesehen haben, eine Spitzenpolitikerin oder einen Spitzenpolitiker mit diesem Preis (nach Gustav Heinemann) auszuzeichnen, denn die Übernahme politischer Spitzenfunktionen beinhaltet eben allzu oft auch Stromlinienförmigkeit mit den Strömungen in Gesellschaft und Partei, also das Gegenteil von aus dem Rahmen fallen.

Stromlinienförmigkeit ist nun das letzte, was man Frau Hildebrandt nachsagen könnte. Und das eben ist das Besondere an ihr.

Unsere Preisträgerin hat nicht mitgemacht, was die jeweiligen Mehrheiten in den sog. staatstragenden Parteien forderten, nämlich die Ausgrenzung von rechts und links. Sie hat sich nicht angeschlossen dem Anathema gegen die PDS und genausowenig gegen die Rechtsparteien. Die HUMANISTISCHE UNION hat nicht in den 70er Jahren in vorderster Front gegen die Berufsverbote gegen Kommunisten in Westdeutschland gekämpft, um heute Berufsverbote in Ostdeutschland für frühere Funktionsträger oder auch von rechten Parteigruppierungen zu unterstützen. Einer Demokratie ist nicht gedient durch Ausgrenzung, sondern nur durch Einbeziehung.

Genauso hat sich unsere Preisträgerin gewehrt gegen das Vergessen der sozial Ausgegrenzten, sie hat immer wieder reklamiert, daß es nicht nur politische und bürgerliche Grundrechte gibt, sondern auch soziale Rechte, insbesondere auf Arbeit. Und sie hat immer wieder ihre Stimme erhoben zur Interessenwahrung der Ostdeutschen, die allzu leicht zu Ausgegrenzten im gesamtdeutschen politischen Diskurs werden. Und schließlich: Als deutlich wurde, daß nach der letzten Landtagswahl in Brandenburg die von ihr gewünschte Koalition und Politik nicht realisiert werden würde, hat Frau Hildebrandt eben nicht um des schönen Amtes willen geschwiegen und mitgemacht, sondern dann lieber auf das ihr sichere Ministeramt verzichtet. Dabei geht es uns nicht darum, ob nun eine bestimmte bzw. welche Koalition in Brandenburg geschlossen wurde, dies ist nicht Amt einer Bürgerrechtsorganisation. Uns geht es darum, daß hier eine Spitzenpolitikerin deutlich gemacht hat, daß es in der Politik um die Durchsetzung politischer Grundsätze zu gehen hat und nicht nur um persönlichen Machterhalt. Auch hiermit fällt Frau Dr. Hildebrandt – leider! – aus dem Rahmen.

Dieses ist das Gemeinsame der Fritz-Bauer-Preisträger seit 30 Jahren: Das Bürsten gegen den Strich, der Einsatz für die politisch oder sozial Ausgegrenzten, für die Schwachen – denn die Starken können sich selbst helfen -, die Aufrichtigkeit, der Kampf um die Rechte der Bürgerinnen und Bürger. Es ist – wie ich es schon bei den vergangenen Preisverleihungen formuliert habe – „das Einstehen für den demokratischen Rechtsstaat, aber auch das Wissen, daß es nicht reicht, sich an die Formen des Rechts zu halten, sondern daß Menschlichkeit und das Streben nach Gerechtigkeit hinzukommen müssen, daß der Gesetzesvollzug nicht genügt, sondern daß man mit dem Herzen dabei sein muß. Das gemeinsame ist das Streben, eine gerechte menschliche Gesellschaft zu schaffen.“

Gesetze sind nicht auf Pergament,
sondern auf empfindliche Menschenhaut geschrieben,
(Fritz Bauer, 1903 – 1968)

ein Satz, den u.a. jeder Gesetzgeber und damit jeder Politiker (und Politikerin) permanent bedenken sollte.

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