Themen / Innere Sicherheit

Linker Jugend­ver­band wird für friedliche Gelöb­nispro­teste abgestraft

01. Juni 2000

Mitteilung Nr. 170, S. 33

Erstmals in seiner Geschichte ist der parteiunabhängige und radikaldemokratische Jugendverband JungdemokratInnen / Junge Linke (JD/JL) im Verfassungsschutzbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz aufgenommen worden. In dem Anfang April 2000 vorgestellten Verfassungsschutzbericht (1999) wird der Verband unter der Rubrik „linksextremistische Bestrebungen“, Unterpunkt „Parteien und sonstige Gruppierungen“, aufgeführt. Im Bericht heißt es, JungdemokratInnen / Junge Linke vereine „die sozialrevolutionär begründete Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung“. Einigermaßen empört und entsetzt reagierten der Vorstand und die Mitglieder der JD/JL auf diese Diffamierung des Verfassungsschutzes. Der Verfassungsschutzbericht war schon immer ein innenpolitisches Kampfinstrument, weswegen JD/JL seine Abschaffung samt des entsprechenden Amtes seit jeher fordern. Ein Geheimdienst, der seine Bürger und Bürgerinnen bespitzelt und als Verfassungsfeinde an den Pranger stellt, ist mit einem demokratischen Rechtsstaat schlichtweg nicht zu vereinbaren.

Dass JungdemokratInnen/Junge Linke jenseits ihrer grundsätzlichen Kritik am Verfassungsschutz einmal in die Situation kommen würden, Protest gegen die undemokratische Behörde in eigener Sache anmelden zu müssen, hatte niemand erwartet. Die Beurteilung nicht nur als Verfassungs- sondern gar als FDGO-feindlich ist selbst nach den Maßstäben eines Verfassungsschutzamtes einfach absurd für einen Jugendverband, der sich seit Jahren für den Erhalt von Grundrechten – wie das Asylrecht und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Engagement gegen den Großen Lauschangriff), das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Protest gegen die Volkszählung 1987) – oder gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und Krieg einsetzt.

Bei der Auswahl der JD/JL als taugliches Observierungsobjekt sieht man sich mit einem klassischen Lehrstück über den Verfassungs-schutz konfrontiert: Regierungskritiker werden als Verfassungsfeinde abgestempelt. Konkret: für ihre regierungskritischen Proteste gegen das Gelöbnis der Bundeswehr wird der Jugendverband JD/JL nun mittels Diffamierung im Verfassungsschutzbericht abgestraft. Augenscheinlich war der Anlass für die Aufnahme der JD/JL in den Verfassungsschutzbericht die Beteiligung einiger Berliner JungdemokratInnen an der Gelöbnis-Protest-Aktion vom 20. Juli des vergangenen Jahres. Junge Männer und Frauen, z.T. oben unbekleidet, störten mit aufgespannten Regenschirmen mit der Aufschrift „Tucholsky hat recht“ das Gelöbnis mit Bundeskanzler Schröder. Trotz schärfster Sicherheitsvorkehrungen wurde friedlich, aber gleichwohl sehr öffentlichkeitswirksam statt der Selbstinszen-ierung der Bundeswehr die friedenspolitischen Proteste in den Mittelpunkt der Medienöffentlichkeit gestellt.

Man könnte diese Retourkutsche schlicht als weiteren Beleg für die Überflüssigkeit des Verfassungsschutzes nehmen und den Vorgang gelassen auf sich beruhen lassen. Als Jugendverband bringen derartige staatliche Einschüchterungsmaßnahmen jedoch für JD/JL besonders schwerwiegende Probleme. Die Mitglieder von JD/JL sind im Alter zwischen 14 und ca. 27 Jahren, befinden sich also teilweise noch im Elternhaus und jedenfalls in der Phase der Ausbildung oder beruflichen Orientierung. Die Erwähnung im Verfassungsschutz-bericht verunsichert erheblich die jugendlichen Mitglieder des Verbandes, die sich um persönliche Konsequenzen sorgen. Ein gravierendes Problem entsteht zudem für die ausländischen Mitglieder, die eine Einbürgerung ins Auge gefasst haben. Da die jüngst verabschiedete bundeseinheitliche Verwaltungsvorschrift eine Regelanfrage bei den Verfassungsämtern vorsieht, ist die Sorge um negative Konsequenzen bei der Einbürgerung nicht unberechtigt.

Gegen die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht erwägen die Jungdemokraten nun juristische Schritte.

Zwischenzeitlich haben JD/JL ihr Unverständnis über das labeling als FDGO-feindlich aber schon mal an die politisch verantwortliche Stelle gerichtet: In einem Brief haben die Jungdemokraten den Bundesinnenminister Otto Schily aufgefordert, ihre Erwähnung im Verfassungsschutzbericht vor seiner Drucklegung zu streichen. Eine Reihe von Bürgerrechtsorganisationen und Verbänden, unter ihnen die Humanistische Union, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen, sowie der Republikanische Anwälteverein und die Deutsche Vereinigung für Datenschutz haben ebenfalls Anfragen an das Innenministerium gestellt und ihre Verwunderung zum Ausdruck gebracht.

Marei Pelzer, Stv. Bundesvorsitzende der JungdemokratInnen/Junge Linke

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