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Bericht zur Fachtagung „Inter­na­ti­o­nale Konflikt­lö­sung“

01. September 2000

Fachtagung des HU-Bildungswerk NRW am 4. und 5. März

Mitteilung Nr. 171, S. 69-70

Nach der Begrüßung durch den Bundesvorsitzenden der HU, Till Müller-Heidelberg, referiert der Journalist Andreas Zumach, der seit Anfang der 80er Jahre in der Friedensbewegung aktiv ist und schwerpunktmäßig zum Thema nationale und internationale Konflikte berichtet. Er beginnt seine Ausführungen mit der Betrachtung der politischen Umwälzungen 1989/90, die mit dem Glauben verbunden waren, eine bessere Funktionalität von UNO und KSZE (heute OSZE) zu ermöglichen. Noch im Mai 1992 stellte die UNO unter dem damaligen Generalsekretär Boutros Boutros-Gali eine Agenda für den Frieden auf. 4/5 des Papieres befasste sich mit friedlichen Konfliktlösungsmöglichkeiten, etwa Diplomatie, wirtschaftliche Hilfe, Vermittlung und Nachsorge. Das restliche Fünftel äußerte sich zu erforderlichen Zwangsmaßnahmen, durchgeführt von einer defensiv ausgerichteten UNO-Polizeitruppe für den Fall, dass alle anderen Lösungsmöglichkeiten versagen. Leider seien die Inhalte dieses Papieres politisch nie ernsthaft diskutiert worden. Dies liege insbesondere daran, dass die westlichen Mächte im Sicherheitsrat die Sorge hatten, durch solch weitreichende Kompetenzen der UNO in ihrem weltweiten Einfluss geschwächt zu werden. Die Folgezeit war dann geprägt von einer systematischen Entmachtung der UNO, aber auch der OSZE, durch mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung, aber auch durch politische Diskreditierung. Interessanter Weise existierte schon 1991 ein 1993 verabschiedetes NATO-Papier, das jeglichen Bemühungen um eine UNO-eigene Polizeitruppe bereits im Vorhinein eine Absage erteilte. Nach diesem Papier erklärt sich nämlich die NATO bereit, im Auftrag der UNO zu handeln, behält sich aber vor, über die Annahme jedes einzelnen Auftrages zu entscheiden und hält sich ferner für berechtigt, die durch den Einsatz gewonnenen strategischen Informationen für ihre eigenen Bedürfnisse zu behalten. Mit dem Bosnien-Einsatz zeigte die NATO dann auch deutlich nach außen, dass sie die UNO für nutzlos hält und ihrer Meinung nach selbst das einzig geeignete Konflikt-lösungsinstrument ist. Die Strategie der Westmächte im Kosovo-Konflikt war auch darauf ausgerichtet, friedliche Konfliktlösungs-möglichkeiten scheitern zu lassen, um eine militärische Lösung herbeizuführen. Es wurde nie ernsthaft versucht, eine UNO-Maßnahme mit russischer Unterstützung durchzuführen, die in den Kosovo entsendeten OSZE-Beobachter waren zahlenmäßig zu wenig und nicht zur Selbstverteidigung in der Lage, ihr Scheitern wurde benutzt, um die Unfähigkeit der OSZE darzustellen. Auch bei der Erarbeitung des Vertrages von Rambouillet wurde von vornherein ein Text entwickelt, der bewusst so angelegt war, dass Rest-Jugoslawien nicht zustimmen würde. Letztlich ist der Kosovo-Krieg als die Spitze einer Entwicklung anzusehen, die darauf hinausläuft, Konflikte verstärkt militärisch zu lösen, um den weltweiten Machtanspruch der NATO-Mächte, insbesondere der USA, nach Ende des 2-Fronten-Systems zu verdeutlichen. Abschließend versucht Zumach, Perspektiven anderer Konfliktlösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Er warnt aber vor dem falschen Weg, die EU stärker zu bewaffnen, denn die EU sei bei der Konfliktlösung im ehemaligen Jugoslawien nicht wegen fehlender militärischer Macht, sondern wegen fehlender gemeinsamer politischer Analyse gescheitert. Zumach schlägt statt dessen ein 4-Punkte-Paket vor: Es müssten mehr Ressourcen für die Krisenprävention bereitgestellt werden (z.B. für diplomatische UNO-Missionen), der militärische Apparat ist zu reduzieren, die nationale Souveränität über militärische Instrumente ist zu Gunsten einer UNO-Polizeieinheit zu hinterfragen, dieser allein ist die Reaktion auf Konflikte, deren friedliche Lösung nicht gelingt, vorbehalten. Während der anschließenden Diskussion wird wegen der nur sehr langsam möglichen Reformierung der UNO vorgeschlagen, dass es den nationalen Regierungen anzuraten wäre, einen Teil ihres eigenen Militärs freiwillig direkt der UNO zu unterstellen.
Nach einer Auseinandersetzung des Idar-Obersteiner Militärpfarrers Matthias Engelke mit der Herkunft der Menschenwürde referiert Manfred Mohr, Vorstands- und Gründungsmitglied der deutschen IALANA (Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen, für gewaltfreie Friedensgestaltung) zum Thema „Völkerrecht und Intervention“. Nach Mohr gibt es zwei wesentliche Rechtsquellen des Völkerrechts: zum Einen zwischenstaatliche Verträge, zum Anderen von den Staaten anerkanntes Gewohnheits-recht. Das heutige Völkerrecht baut dabei auf einer Normenhierar-chie auf, an deren Spitze die UNO-Charta steht. Ausgangspunkt der UNO-Charta ist die Idee des sozialen Fortschrittes und der internationalen Zusammenarbeit sowie die der Gewaltlosigkeit. Hauptsicherheitsorgan der UNO ist der Weltsicherheitsrat, ihm steht das Gewaltmonopol zu, das lediglich durch das Selbstverteidigungs-recht des einzelnen Staates durchbrochen ist. Ein allgemeines Notwehrrecht, wie es zur Rechtfertigung des Kosovo-Einsatzes herangezogen wurde, existiert in diesem Rechtsgefüge nicht. Doch beim Kosovo-Einsatz ist zu beachten, dass nicht nur die Kriegserklärung der NATO völkerrechtlich nicht gerechtfertigt war, sondern dass auch die Art und Weise der Kriegsführung als völkerrechtswidrig anzusehen ist. Der Krieg wurde nämlich durch Bombardierung von Krankenhäusern, Kulturdenkmälern und Fernsehstationen auch bewusst gegen die Zivilbevölkerung geführt. Es wurden verbotene Waffen, insbesondere Streubomben und Uranmunition, eingesetzt. Von daher kann der NATO-Einsatz auch nicht als humanitäre Intervention betrachtet werden. Juristisch ist unter Intervention ein rechtmäßiger Einsatz zu verstehen, hier aber handelt es sich um einen rechtswidrigen Einsatz, so dass der Begriff der humanitären Intervention schon in sich einen Widerspruch darstellt.
Am nächsten Morgen wird die Tagung mit einem Referat von Andreas Buro, Mitbegründer des Komitees für Grundrechte und Demokratie, fortgesetzt. Zu Beginn zeigt Buro bedrohliche Tendenzen des 21. Jahrhunderts und daraus möglicher Weise resultierende gewaltsame Konflikte auf. Das Bedürfnis des Kapitals nach Expansion wird steigen, auch das Streben der Großmächte EU, USA und Japan nach weltweitem Einfluss wird sich fortsetzen. Zur Sicherung dieses Einflusses wird eine qualitative Aufrüstung stattfinden, auch die Umwelt- und Ressourcenzerstörung wird sich insbesondere in der Dritten Welt fortsetzen, gekoppelt mit einem fortgesetzten Bevölkerungswachstum werden die Lebensgrundlagen weiter zerstört werden, was zu verstärkten Kriegen um Ressourcen führen wird. Aber auch in den GUS-Staaten drohen weitere gewaltsame Konflikte zur Konsolidierung der Einzelstaaten und zur Frage der Rolle Russlands. Einen weiteren Konfliktherd stellt die Frage nach der Grenzziehung im Bereich der ehemaligen Kolonialstaaten, z.B. Indonesien oder Sri Lanka, dar. Als Möglichkeiten der Prävention solcher Konflikte nennt Buro insbesondere die Ausweitung der Arbeit globaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Förderung der regenerativen Energieerzeugung zur Vermeidung von Ressourcen-konflikten, die Etablierung politischer Kontrolle über global operierende Unternehmen, die Etablierung ziviler Konfliktbearbeitung auf der politischen Ebene, die Schaffung eines Systems der Rüstungskontrolle zur weltweiten Abrüstung, die Stärkung der internationalen Organisationen – insbesondere der UNO, die Sozialisation zu Frieden und Gewaltlosigkeit auf gesellschaftlicher Ebene sowie die Ausrichtung der wissenschaftlichen Forschung auf zivilen Fortschritt und Friedenserhalt. In der nachfolgenden Diskussion wird unter Anderem die Frage erhoben, ob die bisherige Vormachtstellung der genannten Großmächte EU – Japan – USA vielleicht durch innere Erosion zerstört werden wird, weil die Staaten über ihr Weltmachtstreben die eigene soziale Lage im Land vollkommen vernachlässigen.
Nachfolgend spricht Winni Nachtwei, MdB zum Thema „Ausbildungsprogramme für zivile Konfliktbearbeitung“. Als Beispiel stellt er ein Konzept zur Ausbildung von Fachkräften der friedlichen Konfliktbearbeitung im Rahmen eines zivilen Friedensdienstes in NRW dar. Es haben vier 16wöchige Vollzeitkurse mit anschließendem Sprachkurs und praktischer Tätigkeit mit 55 Absolventen stattgefunden. Basis des Kurses ist die Schulung zur Wahrnehmung von Konflikten, aber auch die Vertiefung psychologischer Kompetenz insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit Traumata. Geachtet wird auf die Teilnahme auch von Menschen aus Konfliktregionen sowie auf eine Altersmischung. Voraussetzung ist allerdings das vollendete 23. Lebensjahr, ein beruflicher Abschluss sowie besondere Belastbar-keit. Nach Nachtwei sind aber die Finanzmittel des Bundes für den zivilen Friedensdienst aufzustocken. Die Allianzen mit Friedensgruppen in der jeweiligen Krisenregion müssen gefördert werden, die Teilnehmerzahl muss durch kontinuierliche Öffentlich-keitsarbeit erhöht werden und die Teilnehmer des Friedensdienstes müssen sozial abgesichert sein.
Nach einem Bericht von Hans Beckers, seit 25 Jahren in der Flüchtlingsarbeit tätig, über die Tätigkeit der IOM (International Organization of Migration), wird in der Abschlussdiskussion insbesondere Kritik an humanitären Einsätzen der Bundeswehr geübt, z.B. über den Aufbau von Flüchtlingscamps oder zur Bekämpfung des Oderhochwassers. Solche Aufgaben ließen sich ebensogut durch zivile Organisationen durchführen, sie würden aber der Bundeswehr übertragen, um für diese eine Scheinlegitimation zu schaffen. Auch wird darüber diskutiert, ob die Bundeswehr angesichts eines fehlenden potentiellen Angreifers überhaupt noch benötigt wird, da ihr Auftrag nach dem Grundgesetz lediglich die Verteidigung ist. Diskutiert wird auch der Vorschlag, große Kontingente der Bundeswehr ausschließlich der UNO-Befehlsgewalt zu unterstellen. Winni Nachtwei zweifelt, ob die Rechtslage dies überhaupt zulasse. Matthias Engelke schlägt daraufhin vor, erforderlichenfalls in absehbarer Zeit zu diesem Thema eine Fachtagung durchzuführen.

Steve Schreiber

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