Themen / Informationsfreiheit

Dichte Nebelbänke

01. Dezember 2000

Bundesregierung engagiert sich nicht für Informationsfreiheit – Europäische Union will NATO-Geheimhaltungsregeln einführen

 
Mitteilung Nr. 172, S. 81-83

Im dichten Nebel bewegen sich derzeit Beamte, Bürger und nicht zuletzt auch Lobbyisten im Berlin-Bonner Papierdschungel. Wer die Nase in den Wind hält und die richtigen Leute kennt, erfährt schnell, was in den Ministerien derzeit geplant und erarbeitet wird. Doch wer sich „einfach einmal“ informieren will, ist auf den Good-Will der Ministerien angewiesen. Je nach politischer Wetterlage wird dann bei der Freigabe amtlicher Dokumente einmal so und einmal anders entschieden.
In anderen Ländern gibt es deshalb schon lange gesetzliche Regelungen. Sie bestimmen, was als Dokument zu gelten hat, was zu archivieren und freizugeben ist. Die Liste der Themen, zu denen Dokumente nur mit Einschränkung oder gar nicht herausgegeben werden kann, differiert von Land zu Land. Schweden beispielsweise veröffentlicht so gut wie alles, in den USA kann man ebenfalls nahezu alles einsehen – doch hier entscheiden eigens eingerichtete Büros über die Freigabe und eventuelle Schwärzungen und Auslassungen.

Der Solana-Vor­schlag

Auch in der Europäischen Union gibt es laut Amsterdamer Vertrag ein ausdrückliches Recht der Bürger auf Zugang zu Informationen. Doch zahlreiche Ausnahmeregelungen verhindern vollen Zugang zu EU-Dokumenten. Nach Auffassung von Tony Bunyan von der britischen Bürgerrechts-Watchgroup Statewatch wird die Reihe der Ausnahmen durch einen neuen Kommissionsvorschlag sogar noch erweitert. Mary Preston hingegen, die den Vorschlag für die Kommission erarbeitet hatte, ist der Auffassung (siehe ZEIT-Diskussion), dass der neue Vorschlag eine größere Klarheit schaffe und die bisherige Praxis wiedergebe.
Der defacto Außenminister der Europäischen Union, Xavier Solana, macht jetzt mit einem eigenen Vorschlag Schlagzeilen. Demnach sollen unter Geheimhaltung gestellte Dokumente, darunter fallen auch die als „Limité“ gekennzeichneten Papiere, niemals veröffentlicht werden dürfen. Dazu gehören alle Dokumente zur „Sicherheit und Verteidigung der Union oder einer ihrer Mitgliedstaaten oder zum militärischen und nicht-militärischen Krisenmanagement“.
Verabschiedet wurde der Vorschlag Ende Juli auf einer Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter in Brüssel – mit nur drei Gegenstimmen aus den Niederlanden, Finnland und Schweden und einer Enthaltung aus Frankreich. Formal soll er nach Angaben von Statewatch auf einer Ratssitzung im September verabschiedet werden.
Nach Auffassung von Tony Bunyan werden damit alle Zugangsrechte der Bürger „in die Mülltonne geworfen“. Die finnische Abgeordnete des Europäischen Parlaments Heidi Hautala sagte, durch den Vorschlag führe „die NATO ihre Geheimhaltungskultur durch die Hintertür ein“. Bunyan ging noch einen Schritt weiter und bezeichnete Solanas Vorschlag als „Gefahr für die Bürgerrechte und Demokratie“.

Nebel in Deutschland

In Deutschland ist Bürgern der Zugang zu öffentlichen Materialien und Dokumenten nur teilweise möglich. Auf Länderebene sind in Deutschland erste Informationsfreiheits-Gesetze entstanden. So verabschiedete Anfang Februar die Schleswig-Holsteinische Landes-regierung ein solches Gesetz, Brandenburg und Berlin verfügen bereits seit 1998 und 1999 über entsprechende Regelwerke. Die Rot-Grüne Koalition kündigte im Koalitionsvertrag an, ein bundesweites Informationsfreiheitsgesetz einzuführen. Geschehen ist bislang aber noch nichts.
Allein der CSU-Bundestagsabgeordnete Martin Mayer stellte angeregt durch die ZEIT-Debatte der Bundesregierung einige Fragen. Die Antworten (BT Drs. 14/3816) liegen jetzt vor – und das Ergebnis ist – wie zu erwarten war – „nebulös“, so Mayer. So weist die Regierung auf eine „Vielzahl von Spezialgesetzen“, das Umweltinformationsgesetz, das Stasiunterlagengesetz und die Pressegesetze der Länder hin. Die Spezialgesetze schränkten die Datenweitergabe „aus Gründen des Datenschutzes“ ein, aber auch aus Geheimhaltungsgründen.
Das einzige Gesetz in Deutschland, das das Recht auf Zugang zu Dokumenten regelt, ist das Umweltinformationsgesetz. Obwohl die Koalition nun ein bundesweites Informationsfreiheitsgesetz einführen will, hat sie das Umweltinformationsgesetz noch gar nicht evaluiert: „Es liegen weder Daten noch Schätzungen zur Anzahl der Informationsgesuche“ vor, heißt es in der Antwort. Auch gibt es keine regelmäßig erhobenen statistischen Zahlen aus den Ländern. Allein in Brandenburg wurden 1998 68 Anträge gestellt. Dies widerlege die Befürchtung, dass durch „allgemeine Informations-zugangsansprüche die Behörden mit einem unzumutbaren Verwaltungsmehraufwand belastet“ werden würden, so die Regierung.
Andere Fragen von Mayer nach Art und Umfang, Nutzung und Kosten der Internetangebote der Regierung bleiben unbeantwortet. Die Bundesregierung weiß „offenbar nicht einmal genau, welche Angebote sie selbst ins Internet stellt, welche Bundesbehörden ein eigenes Internetangebot unterhalten und wie hoch die Kosten dafür sind“, resümiert Mayer. „Auch konnte sie in ihrer Antwort nicht erklären, was künftig ihrerseits geplant ist, um die Darstellung im Internet quantitativ und qualitativ zu verbessern“. Auf der Tagesordnung steht offenbar die übliche Kurzzeit-Planung.
Aufträge werden an Online-Agenturen herausgegeben – das umfassende Konzept lässt auf sich warten. Viel erwarten kann man nicht: Deutschland stimmte im Sommer (26. Juli 2000) Solanas Vorschlag zu.

Christiane Schulzki-Haddouti

Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin für Neue Medien (Homepage: http://members.aol.com/InfoWelt) schreibt unter anderem für die c‘t und telepolis und beschäftigt sich seit langem mit Themen wie Privatsphäre, Geheimdienste, Abhören, Wirtschafts-spionage, Verschlüsselung und Internetzensur.

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