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Warum nicht durchs Branden­burger Tor?

01. März 2001

Mitteilung Nr. 173, S. 1-3

Die Innenminister von Bund und Ländern wollen nicht zum erstenmal das Demonstrationsrecht einschränken. In den siebziger Jahren waren Anschläge der RAF, in den Achtziger „vermummte Autonome“, in den Neunzigern die PKK-Mitglieder, die Autobahnen blockierten und jene türkischen Jugendlichen, die sich nach den Solingener Morden mit nächtlichen Autokorsos Luft verschaffen wollten, der Anlaß. Einen Zusammenhang mit wirklichen Demonstrationen gab es nicht.
Und auch jetzt sind die marodierenden Nazi-Banden nur eine Begründung, ein Anlaß für diejenigen, die schon immer die Freiheitsrechte einzuschränken versuchen. Mit der Beschneidung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit wird dem Treiben der Neonazis kein Einhalt geboten. Sie halten sich nach allen Erfahrungen der Polizei doch meist strikt an Anweisungen, wenn sie denn wirklich demonstrieren. Aber Hetzjagden durch ostdeutsche Innenstädte, Nazischmierereien an Gedenkstätten, Anschläge gegen Synagogen, Pöbeleien gegen Minderheiten und rassistische Angriffe sind keine Demonstrationen. Wer auf das Treiben der Feinde der Freiheit mit der Beschneidung und Einschränkung von Freiheits-rechten reagiert, macht die Demokratie mit kaputt, die es zu verteidigen gilt.
Es ist fast tragisch, daß auch der nordrhein-westfälische Innenminister, der doch zugleich Verfassungsminister ist, diesen Forderungen nicht vehement entgegengetreten ist. Dabei ist so offensichtlich verfassungswidrig, was die Innenminister gefordert haben, daß kundige Juristen und sogar Polizeibeamte verständnislos den Kopf schütteln, ob solch offensichtlicher Ignoranz gegenüber dem Kerngedanken der Demonstrationsfreiheit.
Zu dieser gehört, daß friedliche Demonstrationen überall stattfinden können, daß es die konstitutive Voraussetzung für dieses Grundrecht ist, genau dort sich unter freiem Himmel friedlich und ohne Waffen zu versammeln, wogegen der Protest sich richtet. Also auf zentralen Plätzen der Kritik, in der Nähe der Regierungen, in der unmittelbaren Nähe des Atomkraftwerks oder Atommüllagers, des Raketendepots, auf dem Gelände der geplanten Autobahn oder selbst in Sichtweite der Botschaft des Landes, das die Menschenrechte mit Füßen tritt. Davon gibt es nur ganz beschränkte Ausnahmen im weitgehend umstrittenen Gesetz über die Bannmeile, das allein das Parlament, die obersten Verfassungsorgane und damit die Demokratie schützen soll.
Welcher verfassungsrechtliche Teufel reitet Innenminister, die meinen, per einfachem Gesetz Orte festlegen zu können, an denen nur mit Ausnahmegenehmigung demonstriert werden darf? Warum will Herr Beckstein gar per Landesgesetz diese Orte festlegen? Etwa München als mögliche Hauptstadt eines künftigen Weltwirtschafts-gipfels insgesamt tabu, der Flughafen München sowieso, die bayrischen AKWs, die Zentralen von BMW, Siemens, Leo Kirch, als demonstrationsfreie Zonen rein ins Gesetz und vielleicht dazu noch die Gedenkstätte in Dachau – das wär´s doch, gell, Herr Beckstein?
Zum Glück haben die Karlsruher Richter bereits im „Brokdorf-Urteil“ dafür gesorgt, daß Protest seinen Raum nehmen kann, auch wenn er ärgerlich ist. Aber ärgerlich sind Nazi-Aufmärsche an KZ-Gedenk-stätten nicht, sie gefährden die öffentliche Sicherheit, sie erfüllen möglicherweise andere Tatbestände, der Volksverhetzung, der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener; und das Versammlungsrecht hält bereits heute genügend Vorschriften bereit, um gegen solche Veranstaltungen vorzugehen, wenn bei den Verantwortlichen, bei Polizei und Staatsanwaltschaft, die Bereitschaft besteht, die Gesetze auch gegen Neonazis wirklich anzuwenden. Leider hapert es daran, und das ist das eigentliche Problem, in der Praxis insbesondere in Ostdeutschland allzu oft. Und warum sollen wirklich die Opfer des Naziregimes, wenn sie an ehemaligen Konzentrationslagern eine Mahnwache veranstalten, zukünftig dafür um Erlaubnis bitten müssen?
Warum soll es schlimmer sein, wenn Neonazis durch das Brandenburger Tor marschieren, als wenn sie durch Weimar, Stuttgart, Rostock, Dortmund oder Viersen-Neviges marschieren? Warum soll ein einziger Ort besser vor braunem Pack geschützt werden als andere, wo es doch darum geht, das ganze Land zu schützen? Was privilegiert das Tor, durch das zwei kriegslüsterne deutsche Kaiser und ihre Soldaten paradierten, das die heimkehrenden Kolonialtruppen begrüßte, die zuvor in Deutsch-Südwest Hottentotten niedergemetzelt hatten und das später Kulisse der Aufmärsche der NSDAP, der Wehrmacht, SA und SS und ihres Rassenwahns wurde?
So wie die Chance verspielt wurde, durch die deutsche Einheit der Geschichte des Brandenburger Tors eine demokratische Wende zu geben, indem nicht das eiserne Kreuz auf der Quadriga als kulturelles Symbol autoritärer Tradition rekonstruiert worden wäre, so sind die Innenminister im Begriff die Glaubwürdigkeit zu verspielen, etwas gegen den Rechtsextremismus zu tun. Wer Grundrechte abbaut, kommt den Feinden der Freiheit entgegen. Wer angesichts marodierender Neonazis über Leitkultur schwafelt, gibt ihren Träumen Stoff. Wer angesichts von Fremdenhaß und dumpfer Ausländerfeindlichkeit die Abschaffung des Asylrechts fordert, reicht dem braunen Mob das Zündholz für die Lunte.
Mit Herrn Beckstein an der Seite ist die Demokratie nicht zu verteidigen. Es gibt ihn nicht, den großen Konsens der Demokraten, endlich konsequent gegen rechte Gesinnung vorzugehen, aber es gibt Beckstein und Co. denen jedes Argument recht ist, um Bürger-rechte abzubauen. So wurden von der Innenministerkonferenz im Windschatten der jahrelang versäumten Bekämpfung von Neonazis flugs und unbemerkt auch zwei neue bundesweite Dateien „linksextremistisch motivierte Straftäter“ und „extremistisch motivierte Ausländerkriminalität“ eingeführt, weil die ja jetzt wirklich das größte Problem des Landes sind.
Die vorgebliche Behauptung, etwas gegen die braune Gefahr unternehmen zu wollen, kann man nicht zynischer ad absurdum führen! Kein Kampf gegen rechts hat da stattgefunden, sondern drei lange geplante neue bundesweite Dateien mit „mutmaßlichen“ Straftätern, also aufgrund von Verdachtstatbeständen wurden angelegt, die den gängigen Hauptkategorisierungen der Verfassungsschutzberichte entsprechen.
Nicht bestimmte Orte bedürfen in diesen Tagen besonderen Schutzes, wenn die freiheitliche Demokratie des Grundgesetzes gemeint ist, sondern Menschen und ihre Rechte. Die ermordeten Opfer der Neonazis hätten dieses Schutzes bedurft, die anderen Opfer rassistischer Gewalt, bedrohte Minderheiten, Flüchtlinge und Schwache bedürfen des Schutzes der Innenminister, nicht irgendwelche Orte. Die Verfassung zu schützen, kann man heute den Innenministern nicht mehr überlassen. Das können engagierte Menschen, Demokratinnen und Demokraten, die ihre Bürgerrechte wahrnehmen und das Demonstrationsrecht mit Leben erfüllen, besser.
                                                                                        Roland Appel

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