Themen / Frieden

Gemeinsame Erklärung anlässlich der Verleihung des Fritz-­Bau­e­r-­Preises der Humanis­ti­schen Union im Jahre 2001

01. Juni 2001

Mitteilung Nr. 174, S. 44

Berlin, den 31. Mai 2001

Als im März 1999 der Krieg der NATO-Staaten gegen Jugoslawien begann, waren auch viele Menschen mit einem kritischen politischen Verstand unsicher, wie dieser Krieg zu bewerten sei. Einerseits gab es keinen Zweifel, dass er gegen das Völkerrecht und die Verfassung verstößt, andererseits konnte es so scheinen, dass er zum Schutz der Menschenrechte der albanischen Kosovarinnen und Kosovaren erforderlich ist. Diese Verwirrung war nicht zuletzt das Ergebnis einer von der Regierung und ihren Claqueuren in den Medien geführten Kampagne. In dieser Situation griffen die jetzigen Preisträger zu einem spektakulären Mittel. Sie verfassten Ende März – wenige Tage nach Kriegsbeginn – einen Aufruf an die Soldaten der Bundeswehr, jegliche Einsatzbefehle im Zusammenhang mit diesem Krieg zu verweigern und zu desertieren. Sie begründeten diesen Schritt mit einer strikt am Grundgesetz und am Völkerrecht orientierten Argumentation. Der Aufruf wurde seit dem 1. April verbreitet und am 21. April 1999 in der taz – die tageszeitung als Anzeige veröffentlicht. Um gegen eine erdrückende und bedrückende Meinungsmache anzugehen und mit einer gewissen öffentlichen Wirksamkeit über den Jugoslawien-Krieg aufzuklären, gingen sie mit diesem Aufruf das Risiko ein, mit Strafverfahren überzogen zu werden. Der weitere Verlauf bestätigte, dass sie mit ihrer Verurteilung des Krieges auch politisch im Recht waren. Es ist inzwischen bewiesen, dass die maßgeblichen Politiker und in Folge die Medien Lügen und Halbwahrheiten verbreitet haben, um sich der Zustimmung der Bevölkerung zu versichern. Auf der Strecke geblieben sind dabei die Friedensbemühungen der OSZE, das Vertrauen in die Kontrollfunktion des Parlaments und allgemein die demokratische Kultur. Noch im Jahre 1998 hat es politische Möglichkeiten gegeben, den Konflikt im Kosovo einer wenn auch schwierigen Lösung zuzuführen. Die für die Bevölkerung Jugoslawiens opferreichen Bombardements jedenfalls haben keines der Probleme gelöst, dafür aber neue geschaffen. Sie waren eine entscheidende Mitursache für die nach Kriegsbeginn einsetzende massenhafte Vertreibung und Flüchtlingsbewegung; die Legende des Ministers Scharping von einem „Hufeisenplan“ der serbischen Regierung hatte die Funktion, diese Peinlichkeit zu kaschieren. Die Flüchtlinge konnten nach Beendigung des Krieges zwar bald wieder in den Kosovo zurückkehren. Unter den Augen der KFOR wurden aber Serben, Roma und Juden von den Ultranationalisten durch Terror aus dem Kosovo vertrieben. Mit ihrer Politik der Schaffung eines multi-ethnischen, demokratischen Kosovo, wenn sie je ernst gemeint war, ist die Bundesregierung gescheitert. Schließlich haben die von den NATO-Staaten unterstützten und möglicherweise auch aufgerüsteten albanischen Ultranationalisten in einem Randgebiet Serbiens und in dem durch den Krieg in Jugoslawien schwer getroffenen und mit Flüchtlingsproblemen überforderten Mazedonien neue kriegerische Auseinandersetzungen eröffnet, ohne dass ersichtlich wäre, dass die NATO ihre starke militärische und politische Präsenz im Kosovo nennenswert dazu nutzte, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Es gibt Schätzungen, dass die NATO noch für Jahrzehnte im Kosovo bleiben wird, mit großen Kosten für die Staaten der NATO und mit den negativen Folgen, die eine Besatzungsökonomie für das besetzte Land hat. Während des Krieges in Jugoslawien wurde von Politikern immer wieder gesagt, dass die Selbstmandatierung der NATO für diesen Krieg ein Ausnahmefall bleibe. Auch diese Lüge hatte kurze Beine. Mit der Verkündung der neuen NATO-Doktrin im April 1999 und dem Aufbau der „neuen” Bundeswehr und einer europäischen Eingreiftruppe ist offenbar geworden, dass der Angriffskrieg der NATO in Jugoslawien von den NATO-Staaten als ein Präzedenzfall für künftige Angriffs-kriege verstanden wird, die gegebenenfalls auch ohne Mandat des Sicherheitsrates geführt werden. Diese Kriege, immer unter dem Deckmantel der Verteidigung von Menschenrechten, wird es geben, solange sich in Deutschland und in anderen NATO-Ländern keine Gegenbewegung entwickelt, die dies verhindert. Dass von der im Zeichen einer globalen Durchsetzung ökonomischer Interessen stehenden Rüstungs- und Außenpolitik Deutschlands und der anderen NATO-Staaten allgemein Kriegsgefahren ausgehen, lassen die Pläne der USA zur Installierung eines Abwehrsystems gegen mit A-, B- oder C-Waffen bestückte Raketen erahnen. Jener Aufruf könnte sich als ein kleiner Schritt hin zu einer am Frieden orientierten Außenpolitik erweisen. Vom Standpunkt großer Teile der politischen Klasse aus mag es deshalb konsequent erscheinen, wenn die Unterzeichnenden des Aufrufs strafrechtlich verfolgt werden. Stattdessen müsste sich die Justiz gegen die politisch Verantwort-lichen selbst richten. Die Unterzeichner des Aufrufs haben sich nicht strafbar gemacht.

Der Aufruf ist durch Völkerrecht und Verfassung gedeckt.

Wir freuen uns, dass seine Verfasserinnen und Verfasser mit dem Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union die Anerkennung finden, die ihr Einsatz für Recht und Frieden verdient.                                

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