Themen / Frieden

Verleihung des Fritz-­Bau­e­r-­Preises

01. Juni 2001

Verleihung des Fritz-Bauer-Preises an die Erstunterzeichner des Aufrufs zur Fahnenflucht anlässlich des Kosovo-Krieges.

Mitteilung Nr. 174, S. 41-42

Als der Aufruf zur Fahnenflucht 1999 in der „taz“ erschien, konnte ich darauf noch mit mildem Spott reagieren, in dem Sinne: „Wie macht einem das „Schweinesystem“ doch das Revoluzzen so schwer! nun muss man schon, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen, dazu aufrufen, durchs geschlossene Fenster zu springen, statt den unverschlossenen Ausgang zu benutzen.“ Zum Glück gab es keinen einzigen einfältigen Menschen, der darauf hereingefallen wäre und sich so ohne Not in Schwierigkeiten gebracht hätte. Schließlich ist hinreichend bekannt, dass sowohl der Wehrpflichtige, als auch der Zeit- oder Berufssoldat zu jedem Zeitpunkt aus Gewissensgründen einen Antrag zur Kriegsdienstverweigerung stellen kann und dass dem inzwischen auch ohne irgendwie geartete Schikanen stattgegeben wird. Da es aber leicht provozierbare Staatsanwälte gibt, die geradezu refexartig auf vermeintliche Aufrührer reagieren, war das ganze Unternehmen insoweit erfolgreich, als die Unterzeichner ihre angestrebte Opferrolle einnehmen konnten. Dabei hätte es eigentlich sein Bewenden haben können. Überhaupt nicht belustigt bin ich über den HU-Beschluss, nunmehr diesen Leuten den Fritz-Bauer-Preis zu verleihen. Offen gestanden, ich finde die Entscheidung peinlich. Darüber hinaus stört mich, dass sich die HU mit Ihrer Presseerklärung an die Spitze der großen Vereinfacher gestellt hat: Hier diejenigen, die ihrem Gewissen gefolgt und dort die, die der allgemeinen Kriegseuphorie verfallen sind. Derart undifferenzierte und unwahrhaftige Zuspitzungen sind mir bislang aus der HU nicht bekannt. In meiner Umgebung hat es sich niemand so leicht gemacht. Vielmehr habe ich stets schwierige Abwägungs-prozesse erlebt, ob nun völkerrechtliche Aspekte höherwertig gegenüber menschen- und bürgerrechtlichen zu betrachten seien. Auch die Frage, ob kriegerische Intervention überhaupt geeignet sei, der Eskalation der Gewalt im Kosovo Einhalt zu gebieten, trieb viele um, ebenso wie die ratlose Suche nach anderen wirkungsvollen Möglichkeiten des Eingreifens und Einhaltgebietens. In dieser konflikthaften, vielschichtigen, von vielen Unsicherheiten geprägten Abwägung respektiere ich sowohl die Gegnerschaft als auch die Befürwortung des militärischen Eingreifens als Ergebnis aufrichtiger Reflexion. Wenn ich Letzterem zuneige, dann vor allem deshalb, weil lange bevor irgend eine Intervention im Gespräch war, völlig verstörte Flüchtlingskinder in den Sonderschulen auftauchten, ich ihre Familien kennen lernte und Einblick in deren Schicksale erhielt. Ein Ignorieren oder gar Negieren der Menschenrechtsverletzungen im Kosovo war mir daher nicht möglich. Auch wenn in diesem Konflikt Gut und Böse nicht einfach der einen beziehungsweise der anderen Seite zugeschrieben werden kann, waren die Kosovaren in der unterlegenen, schwachen Position gegenüber einer auf Überlegen-heit und Unterdrückung ausgerichteten serbischen Vorherrschaft. Keineswegs erleichtert hat mir meine Entscheidung die Erkenntnis, dass es den gerechten, sauberen Krieg nicht gibt. Es liegt im Wesen des Krieges, das er auch immer unlautere Absichten mit befördert, das er archaische Kräfte im Menschen frei setzt und das er mit Mitteln der Desinformation und Propaganda arbeitet. Aus einem Krieg geht keine der beteiligten Parteien mit sauberen Händen hervor. Das haben unter anderem die berechtigten Befreiungs-kämpfe des vergangenen Jahrhunderts gezeigt. Kriegseuphorie konnte ich nirgends ausmachen, nicht einmal auf einer Diskussions-veranstaltung mit Offizieren, die im Kosovo Dienst taten. Ihnen machte der seit Generationen schwelende Hass zwischen den Bevölkerungsgruppen zu schaffen sowie die Besorgnis, dieser Hass werde sich zunehmend gegen diejenigen richten, die ihn im Zaum zu halten suchten. Es ist sehr bedauerlich, dass die Diskussion über den Krieg im zerfallenen und weiter zerfallenden Jugoslawien und insbesondere über den Nato-Einsatz gegen die Serben in der deutschen Linken mit so ungeheurer Polemik, mit so schrillen Tönen, mit vielen Halbwahrheiten und dem Ausblenden von Tatsachen einhergeht, so als müsse man jede Irritation des eigenen fest gefügten Weltbildes heftig abwehren, als müsse man jeden Zweifel schleunigst unterdrücken und ausschließlich Beweise für die Richtigkeit der eigenen Thesen zulassen. Dabei wären Zweifel (oder sollte ich sagen „Verzweiflung“) das einzige, was uns weiterführen könnte. Schließlich geht es um die unbeantwortete, in der Tat verzweiflungsvolle Frage: „Wie soll die Völkergemeinschaft, wie sollen wir Europäer in Zukunft der Unterdrückung von Minderheiten begegnen? Wie verhalten wir uns, wenn Menschen ihre Autonomie, ihrer Identität, ihrer Sprache beraubt werden sollen? Wie reagieren wir auf Vertreibung und Mord durch Paramilitärs oder auf einen Genozid wie in Ruanda? Ist das Völkerrecht grundsätzlich von so übergeordneter Bedeutung, dass sich jede Art der Einmischung in innere Angelegenheit verbietet? Wenn nein, welche Form der Intervention ist legitim und zugleich erfolgreich? Wie schließlich stehen wir zum Widerstand gegen Unterdrückung und zu denjenigen, die sich selbst als Freiheitskämpfer begreifen, von der jeweils herrschenden Mehrheit aber als Terroristen angesehen werden und die sich in der Tat alsbald durch ihre eigenen Gewalttaten ebenfalls ins Unrecht setzen?“ Wenn es freilich in der Diskussion nur noch um den Besitz der Wahrheit geht, um Recht haben und um das Gefühl moralischer Überlegenheit geht, sind derlei Gedanken störend.

An den Vorstand möchte ich die herzliche Bitte richten, an der HU-Tradition festzuhalten, anderen Meinungen mit Toleranz zu begegnen und komplizierte Sachverhalte nicht durch grobe Vereinfachung zu verfälschen.

                                                                                      Elisabeth Kilali

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