Themen / Demokratisierung

Wundersames aus dem Beirat der HU

01. Juni 2001

Nachtrag zur Anhörung des Bundestags-Innenausschusses zum Versammlungsrecht.

Mitteilungen Nr. 174, S. 40/41

Am 16. 05. 2001 fand eine kurzfristig anberaumte Anhörung des Innenausschusses des Bundestages statt. Gegenstand war der Gesetzentwurf der Unionsparteien zur Verschärfung des Versammlungsrechts. Da die Union mehr als 25 Prozent der Abgeordneten hat, kann sie solche Anhörungen durchsetzen. Aus bürgerrechtlicher Sicht lief die Veranstaltung gut. Der vom Berliner Innensenator inszenierte Gesetzentwurf fand nicht einmal den ungeteilten Beifall der Münchener Polizeibehörden. Letztlich saß der Senator – pikanterweise von der CDU als Sachverständiger benannt – allein da, mit seinem Machwerk. Die Koalitionsparteien haben, durch ihre beiden innenpolitischen Sprecher Wiefelspütz (SPD) und Özdemir (Bündnis 90/Grüne), mit klaren Worten den Entwurf abgelehnt. Ärgerlich war in diesem Zusammenhang das Bekenntnis des als Sachverständigen geladenen HU-Beirats Prof. Kutscha zu einer „Antifa-Klausel“ im Grundgesetz. Im Gefolge der Landesregier-ung von Mecklenburg-Vorpommern schlägt die PDS vor, „Handlungen, die geeignet sind…, nationalsozialistisches Gedankengut wiederzubeleben“ ausdrücklich für verfassungswidrig zu erklären. Mit diesem Vorstoß – zu allem Übel auch noch in diesem Rahmen vorgetragen – gerät eine liberale Position wie die der HU in die Zange. Wenn es so einfach ist, das Böse schlicht zu verbannen, stehen wir Bürgerrechtler als Deppen da. Wenn die HU zugestehen muß, das Freiheit auch die Duldung des Unliebsamen bedeuten kann, muß sie sich jetzt von Werthebach und Kutscha ihre jeweiligen Patentrezepte vor die Nase halten lassen. Der Vorschlag selbst ist auch juristisch zweifelhaft. Nicht jede rechte Aktion ist automatisch eine Verherrlichung des Nationalsozialismus. Bei dem zu Grunde liegenden Rechtsverständnis dürften entsprechende Analogien – auch im Strafrecht – wohl keinen Hemmungen begegnen. Mit Rechtsstaatlichkeit hätten diese juristischen Freiübungen aber wenig zu tun. Ein weiterer Antrag der PDS zur Verschärfung des Strafrechts macht das Vorhaben nur noch schlimmer. Wollen BürgerInnen und Behörden wirksam und doch rechtsstaatlich gegen Neonazis vorgehen, dürfen nicht wie Werthebach es fordert zuerst die Bürgerrechte wie das Versammlungsrecht zusammengestrichen werden. Eine Generalklausel zu Diensten der Behörden ist rechtstaatlich bedenklich. Anders als das Parteienverbot nach Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes entscheiden hier die Behörden nach Gutdünken, nicht das oberste deutsche Gericht auf Antrag oberster Verfassungsorgane. Um der historischen Wahrheit die Ehre zu geben, sei indes folgendes angemerkt. Bei der Entstehung des Grundgesetzes hatte der Kalte Krieg und die Lehre vom Totalitarismus längst auch den Parlamentarischen Rat erreicht. Anders als die ersten Länderverfassungen lässt sich dieser politische Stimmungswandel nach dem Zerbrechen der Anti-Hitler-Koalition nicht allein an den Verfassungsberatungen, sondern auch am Grundgesetztext selbst gut nachweisen. Wer die subjektiv-historische Methode bei der Verfassungsinterpretation bemüht, sollte daher ihrem wissenschaftlichen Anspruch auch gerecht werden. Wer heute unter Berufung auf die Verfassungseltern Beschränkungen der bürgerlichen Rechte fordert, bereitet in der Konsequenz unweigerlich einem autoritären Verfassungsverständnis mit weniger Rechten für die BürgerInnen den Weg. Wer dies anstrebt oder zumindest riskiert, sollte das redlicherweise sagen. Die HU als älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation ist hier in der Pflicht, in dieser Diskussion Stellung zu beziehen.

                                                                                          Jürgen Roth

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