Publikationen / Mitteilungen

System Leuna?

Mitteilungen12/2001Seite 113

Mitteilungen Nr. 176 S. 113

Am 19. April dieses Jahres schrieb Wilhelm Hennis in der Zeit über Deutschlands „untätige Justiz.“ Wen solch ein Appell noch nicht wachgerüttelt hat, dem könnte spätestens jetzt ein Licht aufgehen über die atemberaubende Nähe von Politik und Wirtschaft einerseits und zwischen Politik und Justiz, der sogenannten dritten Gewalt, andererseits. Denn es ist ein Buch erschienen, das am Beispiel des Verkaufs der Leuna-Werke an das Konsortium Thyssen-Elf in den Treuhand-Jahren 1991-94 und an den Folgen bis heute demonstriert, wie zutreffend Wilhelm Hennis´ Anklage war. Zurecht sind in kurzer Zeit mehr als 10.000 BürgerInnen der Aufforderung gefolgt, die Bonner Generalstaatsanwaltschaft mit massenhaften Beschwerden zu konfrontieren, weil diese das Verfahren wegen Aktenvernichtung und Datenlöschung 1998 im Bundeskanzleramt einstellen wollte, bevor es begonnen hatte. Diese beachtliche BürgerInnenaktivität war allein durch Hennis´ Artikel provoziert worden.
Welche Reaktionen könnte, sollte erst der Bericht der beiden Zeit-Journalisten Thomas Kleine-Brockhoff und Bruno Schirra auslösen, der sich wie ein Kriminalroman ließt. Während der Sonderermittler Burkhard Hirsch seit Juni 2000 im Rahmen eines eng kalkulierten Regierungsauftrags duldsam und gewissenhaft die der Aktenvernichtung in Kohls Kanzleramt entgangenen Dokumente studierte, recherchierten die beiden Autoren Akteure und Zusammenhänge. Warum interessiert sich in Deutschland niemand für die Leuna-Ermittlungen der Genfer Staatsanwaltschaft?
Wer solche Fragen heute in Deutschland stellt, wie die beiden Spurensucher es tun, steht erst mal im dichten Nebel und lernt dann „eine Welt aus Druck, Angst und Macht“ überdeutlich zu erkennen. Es geht um „Käuflichkeit der deutschen Politik“ und um eine Justiz, von der die Nutznießer dieses „Systems“ nichts zu fürchten haben. Gut, dass wenigstens die vierte Gewalt noch bisweilen funktioniert. Möchte man meinen. Doch in Hamburg erwartet die Autoren schon ein erster Prozess. Prinzip Öffentlichkeit ?
Thomas Kleine-Brockhoff / Bruno Schirra: Das System Leuna. Wie Politiker gekauft werden. Warum die Justiz wegschaut. Reinbek bei Hamburg, Rowolt Taschenbuch, 2001, 303 S., Preis 17,41 DM

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