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Zwei Anmerkungen zu den Mittei­lungen Nr. 177

Mitteilungen Nr. 177, S.31

Buchbesprechungen – Max Kruse

Die „knappe Bilanz der Kulturgeschichte“ Max Kruses geht von der heute mit guten Gründen bestrittenen wissenschaftlichen Meinung früherer Jahrhunderte aus, daß der „Mensch des Menschen Wolf“ sei. Diese Auffassung vom „Wilden“ paßte nur zu gut zu den Zielen der weißen Kolonisatoren.
Paläontologie, Archäologie und Ethnologie haben inzwischen ganz andere Erkenntnisse gewonnen (gut dargestellt in Jost Herbigs „Am Anfang war das Wort“). In den zunächst äußerst dünn bewohnten Gebieten waren die Menschen auf andere Menschen zum Überleben angewiesen. Das erste Werkzeug, meint Herbig, war wahrscheinlich nicht ein Steinmesser, sondern ein Tragebeutel zum Transport gesammelter Nahrung, um sie mit den anderen im Lager zu teilen. Erfolgreiche Jagd verlangte Zusammenarbeit und Verständigung.
Gastfreundschaft gilt und galt allen Naturvölkern als hoher Wert. Und so weiter. Auch was wir über heutige „Steinzeitmenschen“ wissen, widerspricht der These vom „Zerstörungstrieb“, der der Moral vorauseile.
Nein, ich fürchte, unsere heutigen Probleme können wir nicht dem Steinzeitmenschen in uns anlasten. Wir sehen uns nicht mehr wie er als Teil der Natur; wir wollen nicht mehr teilen, sondern mehr haben als die anderen; als Gast empfangen wir nur, wen wir brauchen; unser Gott ist nicht ein Baumgeist, sondern das Geld. Und so weiter.

Zu Frau Prof. Dr. Gisela Charlotte Fischers Vorschlägen

Einen gestaffelten Berufsausstieg haben wir schon. Auch im
öffentlichen Dienst kann über die 65-Jahre-Grenze hinaus gearbeitet
werden. Ob das allerdings angesichts so vieler arbeitsloser junger Leute wünschenswert ist? Die Koppelung der Rente an eine verpflichtende ehrenamtliche Tätigkeit finde ich sehr problematisch:
1. erwirbt man ja durch seine jahrelangen Einzahlungen ein
Anrecht auf eine Rente;
2.wer soll die individuellen Kapazitäten beurteilen? Der letzte
Arbeitgeber? Wieviele Menschen sind nicht froh, endlich
ihre ungeliebte Tätigkeit aufgeben zu können; sollen
sie trotzdem weiter verpflichtet werden? Oder wenigstens
Laub harken?
3.wer in höherem Alter richtig arbeitet, muß auch richtig
dafür bezahlt werden; viele Menschen müssen nämlich
heute schon ihre Rente durch Arbeit aufbessern, um über
die Runden zu kommen;
4. die finanziellen Engpässe in den Kommunen sind politisch
gemacht (durch Umverteilung der Steuern von Kommunen
zu Ländern zum Bund). Diese Entwicklung muß
zurückgedreht und nicht durch den Einsatz von Rentnern
noch unterstützt werden;
5.wenn Rentner unentgeltlich außerhalb des Stellenplans
arbeiten statt notwendige Ausweitungen der Stellenpläne
politisch zu unterstützen,werden die jungen Arbeitslosen
ihnen das, mit Recht, kaum danken.
6. Umfragen zeigen eine hohe Bereitschaft der Bevölkerung,
Beitragserhöhungen in Kauf zu nehmen, wenn sich dadurch
die gesundheitliche Versorgung verbessert.                                    Die „öffentliche Diskussion“ soll wahrscheinlich die Privatisierung des Gesundheitswesens vorbereiten, die unsere Regierung als nächsten Schritt nach der Riester-Rente durchsetzen will. Die richtige Antwort darauf scheint mir nicht, ältere Leute ehrenamtlich auf mögliche Arbeitsplätze jüngerer zu setzen, sondern politisch gegen diese Pläne zu kämpfen.
Selbstverständlich stimme ich der Autorin zu, daß es für die
Lebensqualität und Gesundheit älterer Menschen wichtig ist, etwas Sinnvolles zu tun zu haben. Ich halte es für eine gute Idee, durch steuerliche und vor allem sonstige Vergünstigungen für ehrenamt-liche Tätigkeiten zu werben. Aber es darf sich nur um echte ehrenamtliche Tätigkeiten handeln und nicht um verkappte Arbeitsplätze, also zum Beispiel Mitarbeit in der Friedens- oder Ökologiebewegung, nachbarschaftliche Hilfe, grüne Damen, Schulaufgabenhilfe, interkulturelle Gesprächskreise, Tauschringe oder Beratung von ExistenzgründerInnen. Und es muß ohne finanzielle Einbußen möglich bleiben, endlich noch mal seinen gesamten Shakespeare zu lesen, finnisch zu lernen, sein eigenes Gemüse zu züchten oder eine Weltreise zu machen.

                                                                               Antonie Brinkmann

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