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Zum Tod von Gerhard Szczesny

Mitteilungen17909/2002Seite 55

Mitteilungen Nr. 179, S.55

Dr. Gerhard Szczesny, der Initiator der HUMANISTISCHEN UNION und ihr erster Vorsitzender ist am 27. Oktober im Alter von 84 Jahren verstorben. Der streitbare Intellektuelle und Publizist trug Maß gebend zum Aufbau einer kritischen Öffentlichkeit hierzulande bei. Im Adenauer-Staat der Nachkriegszeit und erst recht in Bayern wurden sein Feingefühl für weltanschauliche Fragen und seine Bestrebungen zu einem religionsübergreifenden Diskurs grob verkannt. Nachdem Szczesny als verantwortlicher Rundfunkredakteur immer wieder beim CSU-Staat und den Kirchen aneckte, verließ er konsequent den Bayernrundfunk, um unabhängig für eine kritische Öffentlichkeit zu wirken: Am 6. Juni 1961 rief Gerhard Szczesny zur Gründung der HUMANISTISCHEN UNION. Sein offener Brief „an circa 200 Persönlichkeiten des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens“ forderte u.a. auf „für die Wahrung oder Wiederherstellung unserer Grundrechte zu sorgen, die gemeinschaftlichen Werte und Einrichtungen unseres Staates zu verteidigen, für eine freie und weltoffene Erziehung, Bildung und Forschung einzutreten.“ Der Aufsehen erregende Aufruf wurde zur Geburtsurkunde der HU. Von einem Sammelbecken kritischer Intelligenz mit aufklärerischem Programm mutierte die neuartige Interessenorganisation („einer der merkwürdigsten Vereine Nachkriegsdeutschlands“ SPIEGEL: Nr. 22/1967) alsbald zu einem bundesweiten Verband zum allgemeinen Schutz der Grundrechte und zum Vorbild für weitere außerparlamentarische Organisationen. An den Universitäten trug die parallel entwickelte HUMANISTISCHE STUDENTENUNION zu einem stärkeren Kritikbewusstsein bei. Daneben schrieb Szczesny – und publizierte in seinem Verlag – etliches, was für die Bundesrepublik prägend wurde. Von seinen eigenen Schriften wurden bekannt: „Zukunft des Unglaubens“ (1959), „Das sogenannte Gute – vom Unvermögen der Ideologien“ (1971) und Autobiografisches: „Als die Vergangenheit Gegenwart war – Lebenslauf eines Ostpreußen (1994). Da war er bereits aus der HU ausgetreten, deren radikal demokratische und streng pazifistische Ausrichtung dem Konservativen nicht mehr gefallen wollte. Vor wenigen Jahren schrieb er der HU: „Dennoch halte ich die Mitglieder der HU nicht für meine „Feinde“, sondern einfach für meine politischen Gegner. Und davon gibt es auch in meinem engsten Freundeskreis eine ganze Reihe, mit denen ich heftig streite.“ Andere Überzeugungen nahm der provokative Aufklärer Gerhard Szczesnyeben stets ernst; hiervon kündet auch sein publizistischer Nachlass im Münchner Institut für Zeitgeschichte.

                                                                                          Tobias Baur

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