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Quo vadis, Daten­schutz?

03. November 2004

Mitteilungen Nr. 187, S.1-4

[…] Ihrer Bitte, zu Ehren der von mir hochgeschätzten Herren Dr. Helmut Bäumler und Dr. Thilo Weichert vor diesem erlesenen Auditorium zu sprechen, bin ich ohne Zögern und vor allem sehr gerne nachgekommen. Dass Ihre Referentenwahl ausgerechnet auf mich gefallen ist, begreife ich als Ehre aber auch als Ausdruck Ihres Zutrauens, das zu rechtfertigen, ich mich bemühen werde. Ganz leicht ist dies schon deshalb nicht, weil ich ihrer freundlichen Einladung entnehme, dass unsere heutige Feier weniger von datenschützerischem Pessimismus, sondern von Optimismus, mehr noch, von „italienisch beschwingtem“ Optimismus geprägt sein soll.

Nun, sehr geehrte Damen und Herren, da ich weder über das Rüstzeug einer ausgemachten Stimmungskanone, noch über das in diesem Falle vielleicht hilfreiche „sonnige Gemüt“ verfüge, fällt es mir zugegebenermaßen ein wenig schwer, in dem Wortpaar Datenschutz und Optimismus ein unbedingt wohlharmonisches Begriffsduett zu sehen. […]

Der Datenschutz hat, daran gibt es keinen Zweifel, in den knapp drei Jahrzehnten seiner Entwicklung seit der Verabschiedung des ersten Bundesdatenschutzgesetzes (1977), unsere Gesellschaft, die zivile wie die öffentliche, strukturell geprägt und durchdrungen.

An allen wichtigen Stellen, privaten wie öffentlichen, haben sich sozusagen die „Bäumlers“, die „Weicherts“ und die „Bizers“ festgesetzt, wo sie alles Mögliche tun, um dem aus dem Persönlichkeitsrecht verfassungsrechtlich abgeleiteten Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Geltung zu verschaffen.

Ohne den Datenschutz, wie er sich formal- und materiell-rechtlich sowie organisatorisch-strukturell etabliert hat, lebten wir heute in einer anderen Welt, in einer Welt, gegenüber der sich die Orwell`sche von 1984 vielleicht sogar als liberale Idylle darstellen würde. Kurzum und ohne pathetisch werden zu wollen: Datenschutz ist zu einer nicht mehr wegzudenkenden, für unsere freiheitlich-rechtsstaatliche Gesellschaftsordnung unverzichtbaren Institution geworden.

Datenschutz ist eine Kulturleistung ersten Ranges.

Also, lieber Herr Bäumler und lieber Herr Weichert, wie Sie, so bin auch ich weit davon entfernt, mit Blick auf den Datenschutz in Resignation und Pessimismus zu verfallen. […]

Ganz unitalienisch wende also auch ich mich gegen einen datenschützerischen Catenaccio, also dagegen, dass der Datenschutz sich freiwillig in die Defensive begibt, um sich dort griesgrämig, selbstzweiflerisch und kulturpessimistisch einzuigeln. Dort nämlich möchten nicht wenige unserer Zeitgenossen den Datenschutz am liebsten sehen. Vor allem diejenigen, die mit ganz unangebrachten Ratschlägen wonach sich der Datenschutz nicht zum Täterschutz entwickeln dürfe oder mit so dümmlichen Sprüchen, wonach „die Würde des Fingers auch nicht größer als die des Gesichts sei“ (O. Schily lt. SZ vom 24.8.04 in Athen) die öffentliche Reputation und Legitimation des Datenschutzes zu untergraben trachten.

Genau darin, sehr geehrte Damen und Herren, in den zunehmenden Versuchen, dem Datenschutz das Etikett des Unzeitgemäßen anzuhängen, ihn in den Augen der Öffentlichkeit herabzusetzen und damit letztlich zu delegitimieren, darin sehe ich eine ernstzunehmende Gefahr für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Und diese Lage spitzt sich zu. Nicht also deshalb, weil – wie Peter Gola und Christoph Klug in ihrem Überblick über die jüngsten datenschutzrechtlichen Entwicklungen richtig bemerken – die Begehrlichkeiten staatlicher und privater Stellen hinsichtlich der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nicht weniger werden (NJW 34/2004, S.2428 ff). Das ist das „täglich Brot“ des Datenschutzes, derentwegen er erfunden wurde. Mit dem Datenhunger privater und öffentlicher Stellen, mit dem hin und wieder ins manische gesteigerten Kontroll- und Überwachungsbedürfnis der Sicherheitsorgane müssen und werden sich die Politik und der Datenschutz jetzt und bis auf weiteres dauerhaft zu beschäftigen haben.

Die Lage spitzt sich meines Erachtens vielmehr deshalb zu, weil nicht erst, besonders aber seit dem 11. September 2001 immer stärker werdende Anzeichen einer grundsätzlichen, paradigmatischen, besser wäre zu sagen, einer ideologischen Abwendung von konstitutiven Elementen des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats ausgemacht werden können. Ich rede von einer Tendenz zum „Starken Staat“, zum autoritären Schutzstaat, also von einer Tendenz weg vom Verständnis des Staates, dessen Macht und Machtbefugnis an den Grund- und Freiheitsrechten der Bürger und Bürgerinnen seine Grenze findet.

Wie gesagt: Nicht ausgelöst, aber verstärkt durch die Ereignisse des 11. Septembers und dem Bedürfnis, sich vor dem Terror zu schützen, erleben wir auch in Deutschland eine Akzentverschiebung im Staatsverständnis. Eine Verschiebung der Akzente, deren Unterschiede bis in die Anfangszeiten der vertragstheoretischen Staatsbegründung und des Naturrechts im 17. Jahrhundert zurückreichen und etwa mit den Namen Thomas Hobbes und John Locke verbunden sind.

Beiden Denkern, Hobbes und Locke, ging es darum, um der Überwindung des Naturzustandes, des Kampfes aller gegen alle, also des allgemeinen Friedens willen, das Machtverhältnis zwischen Individuum und Staat gedanklich aufzuklären. Sie kamen zu völlig unterschiedlichen und bis in die heutige Politik wirkenden Ergebnissen.

Während für Hobbes der Mensch unentrinnbar seinen von Existenzängsten gesteuerten Trieben und deshalb seinem auf Selbsterhaltung reflektierenden Machtstreben unterworfen ist, sieht John Locke in der menschlichen Vernunft das Medium, das den Menschen in seinem Wesen ausmacht. Der allein von Existenzängsten bestimmte Hobbes‘sche Mensch schließt nun, um der Anarchie zu entgehen, einen Vertrag, in dem er unwiderruflich und uneingeschränkt sein naturgegebenes Recht auf Selbsterhaltung an den Staat abtritt, wofür der ihm im Gegenzug Sicherheit vor inneren und äußeren Feinden garantiert.

Der wesentlich vernunftbestimmte Locke‘sche Mensch hingegen ist skeptischer. Um der Anarchie zu entgehen schließt auch er einen Vertrag, in dem er sich zum bedingten Gehorsam gegenüber dem Staat verpflichtet, sofern und so lange dieser vermittels einer Rechtsordnung sein naturgegebenes Recht auf Freiheit respektiert. So stehen sich in der staatsphilosophischen Tradition also der Sicherheit garantierende autoritäre Schutzstaat und der die Freiheitsgrundrechte respektierende liberale Verfassungsstaat als konkurrierende Staatsformen idealtypisch gegenüber.

Dass sich zumindest in der westlichen Welt – dort früh und hier verspätet – im Anschluss an John Locke und Charles des Montesquieu, der den Lock‘schen Staat um die Gewaltenteilung anreicherte, der liberale Verfassungsstaat als Leitbild durchgesetzt hat, brauche ich hier nicht besonders zu erörtern. Das jedenfalls ist der Hintergrund der sich andeutenden Akzentverschiebung im Staatsverständnis.

Und dies ist auch der eigentliche gedankliche Boden, in dem das heutzutage so ausgiebig diskutierte „Grundrecht auf Sicherheit“ ideologisch wurzelt. Manche von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, werden wissen, dass trotz der Tatsache, dass der Begriff Sicherheit in unserem Grundgesetz nicht vorkommt, von einem grundgesetzimmanenten „Grundrecht auf Sicherheit“ schon vor Jahrzehnten gesprochen wurde. Ohne allerdings größere Aufmerksamkeit oder politische Wirkung zu entfalten, waren es vor allem der lange Zeit als Kronjurist der konservativen Politik geltende Bonner Staatsrechtler Josef Isensee (1984) und der Trierer Staatsrechtler Gerhard Robbers (1987), die mit ausdrücklichem Bezug auf Thomas Hobbes die Existenz eines solchen Grundrechts schon Mitte der 80er Jahren behaupteten. Mit einer ausdrücklichen Kritik an der Abwehrdimension des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung wurde den beiden noch von dem Hamburger Verfassungsrechtler Rupert Scholz und dem Speyrer Verwaltungsrechtler Rainer Pitschas sekundiert. (Scholz/Pitschas: Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, Berlin 1984)

Öffentlich und politisch wirksam wurde das Grundrecht auf Sicherheit allerdings erst im Zuge der Auseinandersetzungen um den Großen Lauschangriff 1998 und zwar von dem damaligen innenpolitischen Sprecher der SPD, Otto Schily in die Diskussion gebracht. Adressiert an die Gegner des Lauschangriffs sagte er damals im Rahmen der 247. Sitzung des Deutschen Bundestages (ich zitiere) „wer meint, ein Grundrecht auf Sicherheit sei die Erfindung konservativer Professoren, der irrt sich und beweist damit nur seine Unkenntnis der deutschen Verfassungs- und Rechtsgeschichte“. Schon in der Virginia Bill of Rights, so Schily weiter, sei das Grundrecht auf Sicherheit enthalten gewesen. Es setze sich über die verschiedenen Verfassungsdokumente bis hin zur Europäischen Menschenrechtskonvention fort, in deren Artikel 5 das Grundrecht auf Freiheit und Sicherheit verankert sei. Da die Europäische Menschenrechtskonvention, die EMRK, bei uns unmittelbare Rechtswirkung im Verfassungsrange entfaltet, ergibt sich aus deren Artikel 5, so das Schily‘sche Kalkül, dass das Bemühen um Sicherheit nicht nur zu den selbstverständlichen Staatsaufgaben gehört, was ja auch von niemandem bestritten wurde, sondern dass der Staat von Verfassungswegen verpflichtet, gezwungen ist, die innere und äußere Sicherheit der Bürger und Bürgerinnen zu gewährleisten.

Mit anderen Worten: Unter Ausnutzung des im deutschen Verfassungsrecht besonders ausgeprägten Grundrechtsdualismus, dessen verfassungsrechtliche Genese über das Lüth- und andere Urteile des Bundesverfassungsgericht ich vor diesem Auditorium nicht besonders erläutern muss, könnte – wenn es denn ein Grundrecht auf Sicherheit gäbe – der an der Ausweitung seiner Macht interessierte Staat sich unter dem Deckmantel seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der Bürger voreinander all jene Befugnisse zum Eingriff in die Grundrechte zusammenklauben, die mit der Einführung der Grundrechte gerade abgewehrt werden sollten.

Die vom Bundesverfassungsgericht und von nahezu allen Verfassungsrechtlern nach wie vor hochgehaltene Meinung, dass die Grundrechte – in den Worten des Bundesverfassungsgerichts – „ohne Zweifel in erster Linie Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat“ sind, würde ihres Inhalts beraubt und geriete zur Farce.

© www.gruene-jugend.de

Nun, sehr geehrte Damen und Herren, aus diesem guten Grunde, kennt unser Grundgesetz eben auch kein Grundrecht auf Sicherheit. Es mag dahinstehen, ob es Unkenntnis oder Absicht war, den Artikel 5 der EMRK, der in der Tat von einem „Grundrecht auf Freiheit und Sicherheit“ spricht, als falschen, irreführenden Beleg für die Existenz eines Grundrechts auf Sicherheit im deutschen Verfassungsrecht heranzuziehen. Faktum ist jedenfalls, dass die Sicherheit, die im Artikel 5 der EMRK neben das Grundrecht auf Freiheit gestellt ist, nicht nur nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, sondern auch nach aller Kommentarliteratur nicht wie von Otto Schily behauptet wird, Sicherheit durch, sondern Sicherheit vor dem Staat bedeutet. […]

Daneben hat der Begriff Sicherheit keine eigenständige Bedeutung. Er ist nach ständiger Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur im Zusammenhang mit dem Begriff Freiheit zu verstehen und soll sich gegen willkürliche Eingriffe seitens der staatlichen Gewalt in das Freiheitsrecht des einzelnen richten.“

Soweit, sehr geehrte Damen und Herren, das Zitat, dass wohl unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass die Sicherheit, auf die das Grundrecht auf Freiheit und Sicherheit der EMRK abzielt, eine Bedeutung hat, die der politischen Absicht des Bundesinnenministers diametral entgegengesetzt ist.

Das mag auch der Hintergrund für den in letzter Zeit immer wieder ersatzweise nachgeschobenen Hinweis auf Wilhelm von Humboldt sein, der als vermeintlicher Kronzeuge der Existenz eines Grundrechts auf Sicherheit herhalten muss. Wilhelm von Humboldt nämlich hatte in seinen sogenannten „Ideen“ von 1792, genauer in seinen „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“ die Forderung erhoben, dass „Der Staat sich aller Sorgfalt für den positiven Wohlstand der Bürger (enthalte) und keinen Schritt weiter (gehe) als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde notwendig ist“.

Nun stellt sich natürlich generell die Frage, ob es ausreicht nur einen verdienstvollen Menschen wie Wilhelm von Humboldt zu zitieren, um ein verfassungsrechtlich und in seinen Konsequenzen so bedeutsames Grundrecht auf Sicherheit zu begründen. Aber selbst wenn man sich darauf einlässt und den Aufsatz Wilhelm von Humboldts etwas näher betrachtet, dann ergeben sich – wie bei der EMRK – auch hier etliche Ungereimtheiten, die von den Apologeten des Starken Staates hätten erkannt und berücksichtigt werden müssen. Man müsste zum Beispiel bedenken, dass Sicherheit im Sinne Humboldts ausdrücklich Rechtssicherheit oder – in seinen eigenen Worten – „Gewissheit der rechtmäßigen Freiheit“ bedeutet.

Zu der hier allein interessierenden Frage, ob und inwieweit der Staat zur Gewährleistung dieser Sicherheit seiner Bürger deren Freiheit einschränken darf, äußert sich Humboldt nur vage mit dem Hinweis, dass die von den Befugnissen abhänge, die dem Staat eingeräumt sind. Aber, so Humboldt wörtlich, „um die Sicherheit der Bürger zu erhalten, kann das nicht notwendig sein, was gerade die Freiheit und mithin auch die Sicherheit aufhebt“.

Schon aus diesen wenigen Bemerkungen dürfte deutlich werden, dass – wie schon der Bezug zur EMRK – auch der nachgeschobene Verweis auf das Staatsverständnis Wilhelm von Humboldts ungeeignet ist, ein Grundrecht auf Sicherheit zu begründen. Weil das so ist und weil man auch den Apologeten des „Starken Staates“ die Fähigkeit zum sinnentnehmenden Lesen nicht absprechen sollte, kann man nur zu dem Schluss gelangen, dass es ihnen überhaupt nicht um eine wie immer geartete rechtstheoretische oder rechtsdogmatische Begründung eines Grundrechts auf Sicherheit geht. Vielmehr geht es ihnen um eine Neujustierung unser aller Staatsverständnis in Richtung auf den autoritären Schutzstaat im Sinne des Thomas Hobbes. Einer Neujustierung, die hinter dem ideologischen Schleier einer scheinbar verfassungsrechtlichen Zwangsläufigkeit und Begründung Legitimität und öffentliche Akzeptanz erheischen möchte. Was dies im Erfolgsfalle für die Wahrung der Grund- und Freiheitsrechte bedeutet, liegt auf der Hand und kann schon bei uns, mehr aber noch in den Vereinigten Staaten von Amerika besichtigt werden. Das Machthandeln des Staates wird zunehmend von seiner grundgesetzlichen Beschränkung entbunden. Eines der typischen Abwehrrechte, das gegen die Verfügungsgewalt des Staates über personenbezogene Daten gerichtete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, würde zunehmend seines Inhalts beraubt und als Grundrecht ins Leere laufen. Die mit der Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung legitimierte und mit der Schutzpflicht des Staates begründete schrankenlose Erhebung, Verarbeitung und Nutzung persönlicher Daten durch den Staat, droht zum Normalfall staatlichen Handelns zu werden.

Dass unsere kaum von einem Wässerchen der Erkenntnis getrübte Presse nahezu keinen Beitrag zur Aufdeckung des genannten ideologischen Schleiers leistet, ist ein trauriger Umstand, der einer gesonderten Betrachtung würdig wäre. Wie also die Erfahrung zeigt, ist von der Presse, auch von der gehobenen, keine Abhilfe zu erwarten.

Eher noch vom Bundesverfassungsgericht. Zumindest hat das jüngst vom Bundesverfassungsgericht gefällte Urteil zum Großen Lauschangriff der Schutzpflicht des Staates Grenzen aufgezeigt und gegen die hier geschilderten Tendenzen das Gewicht der Grundrechte in ihrer gegen den Staat gerichteten Abwehrfunktion gestärkt. Das gilt zumindest und besonders für die Freiheitsgrundrechte, die sich, wie auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, allesamt durch einen starken Menschenwürdegehalt auszeichnen, dessen Kern, so dass Bundesverfassungsgericht, durch staatliche Maßnahmen nicht angetastet werden darf.

Mehr noch: Ein staatlicher Eingriff in diesen Kernbereich der Grundrechte ist unter keinen Umständen, also auch dann nicht erlaubt, wenn er im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit liegt oder mit ihm der Schutz hochrangiger Rechtsgüter bezweckt werden soll. Eine Abwägung findet nicht statt, so sagt es kurz und bündig das Bundesverfassungsgericht.

Angesichts dieses Urteils, das erstmalig in der deutschen Verfassungsrechtsgeschichte einen unzulässigen Eingriff des Staates in den abwägungsfesten Kernbereich eines Grundrechts konstatiert hat, neige ich und – damit schließe ich an meine einleitenden Bemerkungen an – zu einem gewissen Optimismus. Auch die Apologeten des „Starken Staates“, die Verfechter einer rigiden eingriffszentrierten Politik der Inneren Sicherheit, werden sich in Zukunft vorsichtiger verhalten müssen, wenn sie nicht riskieren wollen, vom Bundesverfassungsgericht dauernd zurückgepfiffen zu werden.

So bin ich mir auch gar nicht sicher, sehr geehrte Damen und Herren, ob einige der gerade in jüngster Zeit verabschiedeten Gesetze zur Inneren Sicherheit einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung im Lichte der Lauschangriffsentscheidung standhalten werden. […]

Bei Ihnen allen, sehr geehrte Damen und Herren, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

* Gekürzte Fassung eines Vortrags von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger MdB, Bundesjustizministerin a.D. zur Feier anlässlich der Verabschiedung des Leiters des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) Dr. Helmut Bäumler und der Amtseinführung des neuen ULD-Leiters Dr. Thilo Weichert am 30. August 2004 in Kiel.

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