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»Die Überle­gungen bei mir gehen aus von den Gesichts­punkten eines liberalen Straf­voll­zu­ges.«

Mitteilungen18905/2005Seite 17

Mitteilungen Nr. 189, S.17

Entschuldigen Sie, daß ich erst heute Ihren Brief vom 18. Juli beantworte. Ich wollte die gestellte Frage gerne auch mit einigen ehemaligen Gefangenen besprechen, außerdem traf ich gestern Sozialarbeiter des Strafvollzuges. Unsere Ansichten decken sich vollständig. Es geht um die Einrichtung einer zentralen Briefkontaktstelle bei einem inhaftierten HU-Mitglied. Die Überlegungen bei mir gehen aus von den Gesichtspunkten eines liberalen Strafvollzuges.

Ich stimme im Ergebnis den Überlegungen des Bundesvorstandes zu. Theoretisch leuchtet die Haltung der Essener Gruppe ein. Man möchte soviel wie möglich der Selbstorganisation der Gefangenen überlassen. Über den Wert der Briefkontakte für Gefangene und deren Organisation müssen wir ja wohl nicht diskutieren. Es geht also nur um die Praxis unter den obwaltenden Umständen.

Ich habe in der Tat, wie Sie, Bedenken, wahllos Adressen von Bürgern in die Hände von Strafgefangenen zu geben. Den in Aussicht genommenen Kontaktmann kenne ich – Gott sei Dank – nicht, meine Überlegungen sind also völlig neutral. Ja, ich unterstelle, dass dieser Mann, der sich wahrscheinlich erst in der Haft der HU angeschlossen hat, zuverlässig ist und keine der Adressen unlauter benutzen würde.

Leider sind alle Selbsthilfeorganisationen von Gefangenen und Entlassenen bisher ins Zwielicht geraten (außer wohl in Norwegen, wo eine starke Gruppe „anderer“ die Organisation mitträgt). Die Gruppen sind immer wieder in strafbares Verhalten hineingeraten, was angesichts ihrer Situation verständlich ist. Deshalb verbinde ich mit dieser Feststellung kein Werturteil. Selbst die bisher renommierte „Prisoner Union“ in den USA hat schließlich offenbar auch einen solchen Weg gefunden, wenigstens neben ihren vernünftigen Aktivitäten.

Doch selbst wenn solche Gefahren für den einzelnen betroffenen Mann auszuschließen wären, so muss man doch wissen, dass er mit seinem Adressenmaterial unter einen mächtigen Druck der Mitgefangenen geraten würde, direkt oder indirekt. Er würde sich diesem Druck, solche Adressen für Entlassungen herzugeben, kaum widersetzen können, würde das wohl sogar für unkameradschaftlich empfinden und also auch in inneren Druck kommen. Wenn er dem dann schließlich nachgäbe, so könnten zahllose Adressen in sehr bedenkliche Hände kommen, die es nun einmal im Strafvollzug gibt. Das auszuschließen wäre unrealistisch. Es würde zu einer Überforderung des einzelnen Mannes führen. Das würde auch kaum anders zu bewerten sein, wenn die einzelnen Adressengeber zustimmen würden. Auch sie können aus ihrem Idealismus heraus die realen Gefahren möglicherweise nicht übersehen.

Hinzu kommt, dass die Weitergabe von Adressen für Kontakte ja auch ein wenig sortiert werden müsste. (…) Wir haben solche Aufgaben der Gefangenenmitverantwortung übertragen. In Ihrem Falle könnte das einer HU-Gruppe in der jeweiligen Anstalt ja vielleicht übergeben werden.

Nicht ganz verstanden habe ich, was Sie unter Zentralisierung in diesem Falle verstehen. Es könnte sich ja wohl nur um eine Zentralisierung in jeweils kleinen geographischen Einheiten handeln. Ich meine, solche Kontakte sollten möglichst so vermittelt werden, dass aus den Brief- gelegentlich auch Besuchskontakte werden können. Das aber schließt zu weite Entfernungen aus. Mir erscheint es am sinnvollsten für eine effektive Vermittlung – und darum geht es ja wohl doch – wenn jede Anstalt über Kontaktadressen verfügte und dann danach die Vermittlung übernehmen könnte.

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