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Das absolute Folter­verbot muss auch bei der inter­na­ti­o­nalen Terro­ris­mus­be­kämp­fung gelten

28. März 2006

Am 6. März 2006 fand das jährliche Gespräch des Forums Menschenrechte mit dem Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier statt.

Mitteilungen Nr. 192, S.10-14

Am 6. März 2006 fand das jährliche Gespräch des Forums Menschenrechte mit dem Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier statt. In diesem Jahr nahm Rosemarie Will für die Humanistische Union an dem Gespräch teil. Zwei Schwerpunkte des Gesprächs waren die Forderung nach einem Festhalten am absoluten Folterverbot durch die Bundesregierung und die Verpflichtung, dass sich deutsche Geheimdienste und Polizeibehörden auch bei Auslandseinsätzen an grund- und völkerrechtliche Standards im Umgang mit Gefangenen halten müssen. Wir drucken hier eine erweiterte Fassung der Positionen ab, die Rosemarie Will bei diesem Gespräch für die Humanistische Union und das Forum Menschenrechte vertreten hat.

I. Die umfassende Geltung des absoluten
Folterverbots

Das Forum Menschenrechte geht davon aus, dass sich für die Bundesrepublik Deutschland sowohl aus dem Völkerrecht als auch aus innerstaatlichem Recht ein absolutes Folterverbot ergibt. Die Bundesrepublik ist Vertragsstaat des (UN-)Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Anti-Folter-Konvention der UN vom 10. Dezember 1984).

Nach Artikel 1 Absatz 1 der Anti-Folter-Konvention der UN wird unter Folter eine von staatlichen Organen ausgehende Zufügung erheblicher körperlicher oder seelischer Schmerzen oder Leiden verstanden, um das Opfer zu einer Aussage zu veranlassen, es zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen. Folter wird dabei gleichgesetzt mit unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, die ebenso verboten ist. Die Anwendung von Folter ist gemäß Artikel 2 der Anti-Folter-Konvention der UN absolut verboten. Das absolute Folterverbot und seine Gleichsetzung mit dem Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung findet sich auch in Artikel 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950. Darüber hinaus findet man das absolute Folterverbot in Artikel 7 des Internationalen Pakts vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte und im Europäischen Übereinkommen vom 26.11.1987 zur Verhütung von Folter.

Die völkerrechtlichen Übereinkommen zum Schutze vor Folter machen den Folterbegriff an drei Merkmalen fest.

1. Ein staatliches Organ handelt.

2. Es wird körperlicher oder seelischer Zwang ausgeübt (Misshandlung).

3. Es wird ein Geständnis oder eine Aussage gefordert (subjektives Element).

Dabei spielt es keine Rolle, um welche Art von Aussagen es sich handelt. Es macht aus Sicht des Gefolterten und des Schutzzweckes des Folterverbots keinen Unterschied, ob die erzwungene Aussage im Strafverfahren oder zur Gefahrenabwehr stattfindet.

Im Grundgesetz (GG) wird das Folterverbot in Artikel 104 Absatz 1 Satz 2 konkretisiert. Aber auch Artikel 1 Absatz 1 GG, Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 sowie § 136a Strafprozessordnung schützen vor Folter. Hierbei wird auf die Folterdefinition aus der Anti-Folter-Konvention zurückgegriffen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) versteht unter Folter „vorsätzliche schwere körperliche oder psychische Misshandlungen einer Person durch staatliche Organe oder durch mit staatlicher Billigung tätig werdende Personen.“ In der Rechtsprechung hat der BGH den Begriff der Folter gegenüber der UN-Konvention erweitert. Er stellt fest: „Folter setzt heute allerdings nicht mehr zwingend, wie noch der engere rechtshistorische Folterbegriff, als Zweck der Misshandlung die Erlangung von Informationen oder die Erzwingung eines Geständnisses voraus“ (BGHSt 46, 292, 303). Dies führt zur Erweiterung des Folterverbots vom subjektiven zum objektiven Begriff. Danach ist Folter jede „bewusste Zufügung von erheblichen Übeln zum Zwecke der Willensbrechung oder Einschüchterung einer Person durch einen Träger öffentlicher Gewalt“.

Die daraus entwickelten Grundsätze gelten für deutsche Behörden auch dann, wenn Privatpersonen unzulässige Vernehmungsmethoden anwenden und auch, wenn Angehörige fremder Staaten sich solcher Vernehmungsmethoden bedienen. Wir begrüßen deshalb die im Bericht der Bundesregierung zu den Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus gemachte Aussage, dass es ein „notstandsfestes“ Folterverbot auch bei der Vernehmung von Terroristen gibt (S. 74). Zugleich bewerten wir jedoch einige der in diesem Bericht gemachten Äußerungen als Verletzung dieser Grundsätze.

Eine Verletzung des absoluten Folterverbots sehen wir:

– im Passiv-Bleiben bei der Anwendung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von deutschen Staatsbürgern durch die USA

– in der Beteiligung deutscher Behörden an Vernehmungen in ausländischen Gefängnissen, bei denen vorangegangene Folter nicht ausgeschlossen werden kann und die Aussagen im Kontext von unmenschlicher und erniedrigender Behandlung erfolgen

– in der Weitergabe von Informationen durch deutsche Behörden an die CIA bzw. an andere ausländische oder zwischenstaatliche Stellen, von denen man annehmen muss, dass sie zur Anwendung von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung führen

– in der Verwertung von Informationen, die unter Folter oder Bedingungen gewonnen wurden, die unmenschlich oder erniedrigend sind.

Auch im Kampf gegen den Terrorismus darf es kein Outsourcing von Folter oder das Ernten ihrer Früchte geben.

II. Der Streit um das
absolute Folterverbot in den USA

Auch die USA sind seit 1994 Vertragsstaat der Anti-Folter-Konvention der UN von 1984. Seit dem Sommer 2002 versucht die US-Regierung, die Definition der Folter enger zu ziehen, um das absolute Folterverbot zu umgehen. In einem Schreiben des damaligen US-Rechtsberaters des Weißen Hauses hieß es:

Von verbotener Folter könne nur die Rede sein, wenn die zur Anwendung gebrachten Methoden „schwere körperliche oder geistige Schmerzen oder Leiden“ verursachten. Schwere Schmerzen werden dabei aber als solche definiert, die „zum Tode, zu Organversagen oder zu bleibender Beschädigung von wichtigen Körperfunktionen führen.“ Folter liege erst dann vor, wenn wir „in den Kern der Fähigkeit des Individuums zur Wahrnehmung der es umgebenden Welt eindringen, seine kognitiven Fähigkeiten tiefgreifend beeinträchtigen und seine Persönlichkeit grundlegend verändern.“

Zudem vertreten das Justiz- und das Verteidigungsministerium der USA die Auffassung, die Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen finde keine Anwendung bei mutmaßlichen Al-Qaida-Terroristen bzw. bei Kämpfern der islamistischen Taliban. Es handle sich nur um „unrechtmäßige feindliche Kämpfer“. Wohl hat der damalige Außenminister Colin Powell die Anwendung der Genfer Konvention gefordert und den engen Folterbegriff abgelehnt; Präsident Bush machte den engen Folterbegriff dennoch zur politischen Richtlinie. Das Pentagon erstellte verbindliche Kataloge, welche Methoden erlaubt oder verboten seien: dazu gehörten u.a. Schlafentzug, Lärmbelästigung, Isolation für 30 Tage und Dauerverhöre, Entkleiden, Überstülpen einer Kapuze, Bedrohung mit angeleinten Hunden. Das Oberste Gericht der USA hat die Auffassung der US-Regierung mehrfach zurückgewiesen.

III. Verhör der in Guantanamo Gefangenen
(Murat Kurnaz und Mohamedou Ould Slahi)

Die Frage des Status, der Rechte und der Behandlung der Gefangenen auf Guantanamo ist seit langem Gegenstand des politischen Dialogs zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Einstufung der Verdächtigen als „ungesetzliche Kämpfer“ („unlawful combatants“) bzw. „feindliche Kombattanten“ („enemy combatants“) mit der Folge, dass sie keinen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren haben, ist nach Auffassung des Forums Menschenrechte mit dem geltenden Völkerrecht nicht in Einklang zu bringen. Wir begrüßen, dass auch der Deutsche Bundestag in seinem Beschluss vom 26. Januar 2006 dies zum Ausdruck gebracht hat.

Die Bundesregierung hält jedoch bis heute die Befragungen der beiden in Guantanamo inhaftierten Gefangenen Murat Kurnaz und Ould Slahi durch Vertreter deutscher Sicherheitsbehörden im Jahr 2002 für geboten. Diese Befragung fand aufgrund von Hinweisen über eine in Bremen möglicherweise existierende islamistische Terrorzelle statt, die möglicherweise Querverbindungen zur „Hamburger Terrorzelle“ um Mohamed Atta unterhielt.

Wenn aber die Befragungen durch BND und BfV auf Guantanamo nach heutiger Auffassung der Bundesregierung nicht mehr opportun sind, waren sie es auch damals nicht. Der Gefangene Kurnaz ist nach vier Jahren dort immer noch inhaftiert. Die rot-grüne Bundesregierung hätte sich mit mehr Nachdruck für seine Freilassung einsetzen müssen. Es ist anzuerkennen, dass Bundeskanzlerin Merkel sich bei ihrem USA-Besuch im Januar 2006 für die Freilassung von Kurnaz verwendet hat (vgl. dazu den Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG), S. 35 ff.).

VI. Befragung im Geheimdienstgefängnis
in Damaskus (Zammar)

Die Auffassung des PKG, dass eine Befragung im Ausland zu unterbleiben hat, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Betroffene im Aufenthaltsland in völkerrechtswidriger Weise behandelt, insbesondere gefoltert oder in sonstiger Weise in seiner körperlichen Integrität oder geistig-seelischen Identität beeinträchtigt wird, teilt das Forum Menschenrechte. Darüber hinaus sind wir wie der Abgeordnete Ströbele der Meinung, dass solche Anhaltspunkte sich auch aus allgemein- oder offenkundigen Gegebenheiten im Aufenthaltsland oder offenkundigen Gewohnheiten der Aufsichtspersonen ergeben können.

Entgegen der Auffassung der Bundesregierung und der Mehrheit des PKG gab es durchaus konkrete Hinweise auf Folter im Fall des Inhaftierten Zammar. Er hat angegeben, dass er nach seiner Verhaftung in Marokko und in Syrien geschlagen worden ist. Außerdem teilte der syrische Fallführer vom dortigen militärischen Geheimdienst mit, dass Zammar drei Tage lang auf die Befragung im Interesse einer konstruktiven Haltung vorbereitet wurde. Angesichts der offenkundigen Tatsache, dass in syrischen Gefängnissen gefoltert wird und gerade auch der syrische Geheimdienst bekannt ist für Folterpraktiken, hätten die Hinweise zumindest dazu führen müssen, dass die Befrager diesen Anhaltspunkten nachgehen, nachfragen und mit dem Befragten allein und ohne Aufsicht des „Vorbereiters“ die Umstände und Gründe der Bereitschaft, Angaben zu machen, ergründen oder dies zumindest versuchen.

Der Umstand, dass der Befragte keine Folterspuren aufwies und keine weiteren Angaben zu Misshandlungen gemacht hat, durfte nicht dazu führen, von einer freiwilligen Bereitschaft, Angaben zu machen, auszugehen. Moderne Foltermethoden sind in der Regel schon Stunden oder Tage später nicht mehr ohne weiteres erkennbar. Die Befragung hätte angesichts der besonderen syrischen Gewalt- und Unterdrückungsverhältnisse gar nicht angesetzt oder doch nach solchen Hinweisen abgebrochen werden müssen. Konsequenzen aus dieser Fehlentscheidung müssen gezogen werden.

V. Verschleppung und Vernehmung El Masris

Im Fall des im Dezember 2003 an der serbisch-mazedonischen Grenzen entführten und von CIA-Agenten nach Kabul verschleppten deutschen Staatsbürgers Khaled El Masri sieht das Forum Menschenrechte eine schwere Menschenrechtsverletzung und verlangt weitere Aufklärung durch die Bundesregierung bzw. die zuständigen (Strafverfolgungs-)Behörden. Von deutscher Seite darf nicht hingenommen werden, dass US-amerikanische und mazedonische Behörden trotz Nachfragen bislang keine sachdienlichen Angaben über ihre Erkenntnisse im Entführungsfall El Masri gemacht haben.

Aber auch deutsche Behörden sind aufgefordert, die auch nach der Unterrichtung des PKG weiterhin offenen Fragen aufzuklären. Dazu zählen insbesondere die Fragen, die in der abweichenden Bewertung des PKG-Mitglieds Ströbele aufgeworfen werden:

– Ob und welche Informationen der damalige Bundesinnenminister Schily in weiteren Gesprächen mit Botschafter Coats und anderen US-Stellen erhalten hatte, und warum diese nicht verwertet und nicht weitergegeben wurden.

– Ungeklärt ist weiterhin, wer die von El Masri als Deutscher identifizierte Person „Sam“ war, die am Ende der Vernehmungen im Kabuler Gefängnis anwesend war und El Masri auf dem Rückflug nach Mazedonien begleitet hatte.

– Aufzuklären ist ferner, welche Informationen über El Masri die bayerische Polizei (etwa die EG „Donau“) und das Landesamt für Verfassungsschutz an die CIA weitergegeben und von der CIA erhalten haben und zwar in der Zeit vor, während und nach der Entführung El Masris.

– Aufzuklären ist schließlich, ob Presseberichte zutreffen, wonach Mitarbeiter der deutschen Botschaft Informationen über die Festnahme und Vernehmung El Masris erhalten hatten.

VI. Konsequenzen

Das Forum Menschenrechte sieht nach den genannten Vorfällen von Verschleppungen und Vernehmungen in Foltergefängnissen dringenden Handlungsbedarf auf Seiten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages. Der Auffassung der Mehrheit des Parlamentarischen Kontrollgremiums, dass keine weiteren Konsequenzen zu ziehen seien, wird daher nicht gefolgt.

– Für Befragungen durch Mitarbeiter deutscher Behörden im Ausland müssen verbindliche Richtlinien erlassen werden, die das „Ernten der Früchte von Folter“ ausschließen. Befragungen oder Vernehmungen müssen ausgeschlossen sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Inhaftierte Folter oder Misshandlungen ausgesetzt sind. Dafür sind auch Berichte und Erkenntnisse von unabhängigen Organisationen heranzuziehen.

– Der deutsche Staat darf nicht passiv bleiben bei der Anwendung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von deutschen Staatsbürgern im Ausland.

– Deutschen Behörden muss die Weitergabe von Informationen an ausländische oder zwischenstaatliche Stellen untersagt werden, von denen anzunehmen ist, dass sie zum Outsourcing von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung führen.

– Klarzustellen ist ausdrücklich, dass die Verwertung von Informationen ausländischer Staaten, die unter Folter oder unmenschlichen bzw. erniedrigenden Bedingungen gewonnen wurden, dem absoluten Folterverbot unterfallen.

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